Lustvolle Assoziationen: Tanja Erhart und Katharina Senk.

Foto: Franzi Kreis

Die Zusammenarbeit zwischen behinderten und nichtbehinderten Künstlerinnen und Künstlern ist in unterschiedlichen Kunstformen eine eigene Liga. Darin spielen auch zeitgenössische Performance und Gegenwartstanz mit. Die in London lebende Tirolerin Tanja Erhart zum Beispiel hat als Tänzerin sowohl mit der renommierten schottischen Choreografin Claire Cunningham als auch mit der berühmten Londoner Company Candoco gearbeitet.

Vor rund vier Jahren tat sich die promovierte Kulturanthropologin mit der Wiener Tänzerin Katharina Senk zusammen. Derzeit präsentieren die beiden ihr gemeinsames Stück j_e_n_g_a als Uraufführung im Brut-Theater. Und richtig: Der Titel bezieht sich auf das Geschicklichkeitsspiel Jenga – dieses Suaheli-Wort bedeutet "bauen" –, das in den 1980ern von der aus Tansania stammenden Spieleerfinderin Leslie Scott vorgestellt wurde.

Tanz als Geschicklichkeitsspiel

Am Ende von j_e_n_g_a sitzen Erhart und Senk in einer Badewanne und spielen tatsächlich Jenga. Davor hat das Publikum Gelegenheit darüber nachzudenken, warum der Tanz auch als Geschicklichkeitsspiel verstanden wird. Dass Tanz ein Spiel ist, las man schon Ende der 1930er-Jahre in dem Klassiker Homo Ludens des Kulturhistorikers Johan Huizinga. Weiters wissen wir seit den frühen Tagen des Ausdruckstanzes, dass alle Menschen Tänzer sein können. Und seit gut einem halben Jahrhundert wird dem Publikum vorgeführt, dass Tänzerinnen und Tänzer mit Behinderungen Großes vollbringen.

Selbstverständlich ist ihre Präsenz auf der Bühne bis heute nicht. Die Gründe dafür scheinen vielfältig. Gesellschaftlich verursacht etwa ein lüsterner Körperoptimierungsfetischismus Klischees, die das Bild von Hochleistungsbehinderten und Hightechprothesen mitproduzieren. Und im künstlerischen Teil des Spektrums werden Tänzerinnen und Tänzer mit Behinderungen viel zu oft in Auftritte gelockt, die von aktivistischer Vordergründigkeit bestimmt sind.

Große Diskurslast

Dem Sog dieser zweiten Falle können sich auch Tanja Erhart und Katharina Senk nicht ganz entziehen. Der Anspruch an j_e_n_g_a hat es in sich: In das Thema Behinderung fließen auch die Elemente Queerness, Kolonialismus, Rassismus und Misogynie ein. Dem Gewicht dieser Diskurslast werden programmatisches Entspanntsein und freundliche Verspieltheit entgegengesetzt.

Statt Katharsis stellen die beiden Künstlerinnen lustvolle Assoziationen in den Vordergrund. Trotzdem dominiert der didaktische Zug im Stück – vor allem, wenn das Publikum mit pronominalem "Du" angesprochen wird. Muss das sein? In den Sitzreihen des Brut gibt es unter Garantie kaum jemanden, die oder der den politischen Anliegen von Erhart und Senk nicht freundlich gesinnt wäre.

Warum also nicht weniger didaktischer Appell und mehr künstlerisches Abenteuer? Das geht schon, wie bereits verschiedentlich zu sehen war. (Helmut Ploebst, 22.1.2022)