Wohin nach der Volksschule? AHS oder Mittelschule? Eine Frage, die auch viele kindliche Freundschaften sehr belastet.

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Im türkis-grünen Regierungsprogramm kommt das Thema wohlweislich nicht vor, weil es sonst diese Koalition gar nicht gäbe: Bei der Frage, ob die Aufteilung der Kinder nach der Volksschule in Mittelschulen und AHS wirklich ideal ist, liegen nämlich Welten zwischen ÖVP und Grünen. Es ist ideologisch vermintes Sperrgebiet in der hiesigen Bildungsdebatte. Auf immer und ewig, oder gibt es Bewegung?

DER STANDARD hat bei den Parteien und bei Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) nachgefragt. Der Ressortchef ist klar kontra gemeinsame Schule: "Durch ein differenziertes Schulsystem kann auf die individuellen Talente, Potenziale und Begabungen der Kinder eingegangen werden – und man kann sie gezielt fördern. Ich halte dieses System, das Kompetenzen in den Vordergrund stellt und Leistungen transparent macht, in seiner derzeitigen Form daher für sinnvoll." Er betont das Ziel "bestmögliche Förderung" und sieht in der individuellen Kompetenzmessung eine Maßnahme für "mehr Transparenz im Bildungssystem".

Und was sagen die Bildungssprecherinnen und -sprecher der fünf Parlamentsparteien zur Frage der Bildungswegentscheidung?

Rudolf Taschner (ÖVP): "Trennung nach der Volksschule sinnvoll"

Rudolf Taschner (ÖVP).
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Für ÖVP-Bildungssprecher Rudolf Taschner ist die Trennung nach der Volksschule "sinnvoll". Grundsätzlich, weil er "eher für Vielfalt als für Einfalt" sei, "je bunter, desto besser", aber auch pädagogisch, um vom Klassen- auf das Fachlehrerprinzip mit spezifischerer Ausbildung umzustellen. Die Strukturfrage hält er für sekundär: "Wenn man es gut macht, ist es gut, wenn man es schlecht macht, schlecht." Entscheidend sei: "Wie führt man den Wechsel geschickt durch?"

Taschner macht drei Vorschläge, um den Übergang besser und mit weniger Druck zu gestalten: Die nachfolgenden Schulen müssten "ins rechte Licht gerückt werden: Es gibt wirklich gute Mittelschulen." Sie sollten die Freiheit zur Differenzierung bekommen – mit Schwerpunkten, etwa als Informatik-MS oder mit sozialer Ausrichtung, um so die Grundlage für dringend benötigte IT- oder Pflegefachkräfte zu schaffen. Er plädiert für drei "Schnuppertage" für Viertklässler, um die nächste Schule, AHS oder MS, kennenzulernen – und vielleicht noch einmal zu überdenken. Wichtig: "Die Durchlässigkeit muss sichergestellt werden."

Sibylle Hamann (Grüne): "Gemeinsames Lernen bis Schulpflichtende"

Sibylle Hamann (Grüne).
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Gemeinsame Schule? Für die Grünen kein Angstbegriff, aber politisch im Moment nicht durchsetzbar. Dennoch stellt Bildungssprecherin Sibylle Hamann klar: "Wir wollen gemeinsames Lernen, beginnend schon im Elementarbereich vor Volksschuleintritt, am besten mit zwei verpflichtenden Kindergartenjahren, bis zum Ende der Schulpflicht." Also neun gemeinsame Schuljahre für alle – allerdings "stark differenziert und auf die verschiedenen Entwicklungsgeschwindigkeiten der Kinder Rücksicht nehmend", etwa durch jahrgangsübergreifende Lerngruppen. Ein so gestaltetes Schulsystem würde "nicht mehr nur nach sozialem Milieu sortieren und wäre auch im Sinne der sozialen Gemeinsamkeit wichtig", sagt Hamann: "In der Verschiedenheit der Menschen und in milieuübergreifenden Beziehungen liegt ja auch ein wichtiger Impuls für Lernen."

Solange dieser Systemumbau nicht machbar ist, sollten die schon jetzt vorhandenen Spielräume autonom genutzt werden, etwa indem Schulstandorte beide Schulformen kombinieren oder z. B. durch AHS-Kurse in der MS den Umstieg erleichtern.

Petra Vorderwinkler (SPÖ): "Diese frühe Trennung ist sicher der schlechteste Zeitpunkt"

Petra Vorderwinkler (SPÖ).
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Petra Vorderwinkler, Bildungssprecherin der SPÖ, beurteilt die Frage nicht nur als Politikerin, sondern kennt die Problematik als Volksschuldirektorin auch aus nächster Nähe: "Aus eigener Erfahrung und mit Blick auf wissenschaftliche Erkenntnisse dazu ist es ganz klar, dass diese frühe Trennung sicher der schlechteste Zeitpunkt ist." Die Verteilung auf zwei unterschiedliche Schulwege fördere nicht nur den Druck auf die Kinder, "beginnend in der dritten Klasse", sondern auch auf die Lehrkräfte und Eltern.

Vorderwinklers Fazit: "Ich bin für die gemeinsame Schule bis 14 plus Stärkung des Fundaments vom Kindergarten an." In dieser Zeit könnten Kinder "Schwächen aufholen und Stärken bilden". Das wäre für deren psychologische Entwicklung vorteilhaft, aber auch volkswirtschaftlich, "weil wir die individuellen Potenziale – unabhängig vom Elternhaus – besser fördern und entwickeln könnten. Um kurzfristig das bestehende System mit dem Übergang mit zehn für alle besser zu gestalten, sollten in den ersten zwei Volksschulklassen in Deutsch und Mathematik immer zwei Pädagoginnen unterrichten.

Hermann Brückl (FPÖ): "Wir brauchen auch Eliten – nicht nur geistige, auch handwerkliche"

Hermann Brückl (FPÖ).
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Die Position der FPÖ ist eindeutig: "Ich halte die Trennung nach der vierten Volksschulklasse für richtig und notwendig, unbedingt", tritt Bildungssprecher Hermann Brückl "absolut" für das differenzierte Schulsystem ein: "Kinder sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Talente und Begabungen, die muss man auch unterschiedlich fördern und fordern." Er ist überzeugt, dass der "Schnitt" nach vier gemeinsamen Lernjahren "im richtigen Moment ist, weil jedes Kind in zehn Jahren andere Begabungen entwickelt hat." Genügen zehn Jahre, um das zu erkennen? "Ja", ist der Freiheitliche überzeugt: "Das ganze Leben reicht nicht, man muss sich immer wieder entscheiden."

Mehr Chancengerechtigkeit müsse vor allem über frühzeitigen Spracherwerb geschaffen werden. Er möchte die im urbanen Bereich dominierende Rolle der AHS hinterfragen, nicht nur, weil er mit Blick auf die Mittelschulen das "Gefälle Stadt/Land" betont: "Wir brauchen auch Eliten – nicht nur geistig-wissenschaftliche, sondern auch handwerkliche. Wenn wir diese Bildungswege nicht wertschätzen, haben wir als Gesellschaft und Wirtschaft ein Problem."

Martina Künsberg Sarre (Neos): "Für innere Differenzierung und freie Schulwahl"

Martina Künsberg Sarre (Neos).
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Neos-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre skizziert die Position ihrer Partei so: "Wir müssen endlich den Kindergarten als erste Bildungseinrichtung sehen und auch die Volksschulen so ausstatten, dass es für alle Kinder möglich ist, ihren Talenten entsprechend in weiterführende Schulen zu gehen – und zwar nicht in erster Linie davon abhängig, aus welchem Elternhaus sie kommen." Denn derzeit sei das System "alles andere als chancengerecht und fair".

Statt der alten, ideologisch gefärbten Gesamtschuldebatte setzt Künsberg Sarre auf einen systematischen Aufbau der Bildungsbiografie vom Elementarbereich an. Außerdem soll der Ausbau der Ganztagsschulen ebenfalls zu mehr Chancengerechtigkeit verhelfen. Die frühe Trennung sehe sie "natürlich" auch kritisch. "Es ist besser, möglichst lange gemeinsam zu lernen. Zusätzlich brauchen wir viel mehr individualisierten Unterricht und Kleingruppenarbeit, um zu sehen, wen es wo hinzieht." Das Ziel der Neos: "Eine Schule der Vielfalt mit voller Schulautonomie, innere Differenzierung und freie Wahl der Schule ohne Schulgeld."
(Lisa Nimmervoll, 23.1.2022)