Selten hat Albrecht Dürer drastischer gemalt: Das Bild "Marter der zehntausend Christen" zeigt eine spätantike Massenhinrichtung vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die Osmanen im 16. Jahrhundert.

Foto: KHM-Museumsverband

DER STANDARD feiert seine zehntausendste Ausgabe. Aus diesem Anlass beschäftigen wir uns mit der Zahl Zehntausend.

So viel detaillierte Grausamkeit hat der Maler selten ins Werk gesetzt. Da werden Menschen gekreuzigt und gegeißelt, sie werden erstochen, aufgespießt, mit Steinen und Holzhämmern erschlagen, Köpfe werden mit Äxten und Schwertern abgetrennt. Andere Unglückselige werden auf einen Felsen getrieben und von dort in den Abgrund gestürzt – ein Gemetzel wie aus einem Splatter-Horrorfilm. Und doch sollte dieses Bild den Zeitgenossen Mut machen?

Albrecht Dürers Marter der zehntausend Christen ist eines von acht Gemälden des Renaissance-Künstlers, die sich im Bestand des Wiener Kunsthistorischen Museums befinden. Das mit 99 mal 87 Zentimetern mittelgroße Bild hängt im Saal 11 der Gemäldegalerie, und es verblasst ein wenig neben seinem berühmteren Nachbarn, Dürers Allerheiligenbild mit dem Landauer Altar von 1511.

Hadrians angebliche Untat

Die Marter der zehntausend Christen datiert aus dem Jahr 1508. Albrecht Dürer, der Meister aus Nürnberg, mit 37 Jahren damals in der Blüte seines Schaffens, erhielt den Auftrag für das Bild von Kurfürst Friedrich III. von Sachsen. Der fromme Kunstförderer, der das Werk für seine Reliquiensammlung in der Wittenberger Schlosskirche orderte, wird zehn Jahre später als Protegé von Martin Luther auf die Bühne der Weltgeschichte treten. Noch aber war dem Fürsten weniger nach Radau als nach braver Andacht.

Was stellt das Bild also dar? Das Motiv geht zurück auf eine mittelalterliche Legende, für die es keinerlei historische Belege gibt. Der römische Kaiser Hadrian (76–138) soll den Fürsten Achatius von Armenien mit 9000 Soldaten gegen Aufständische ins Feld geschickt haben. Aufgrund einer Engelserscheinung trat Achatius mit seinen Männern zum Christentum über, ehe er die Aufstände niederschlug.

Über die Meldung der Bekehrung erbost, tat sich Hadrian mit weiteren Heiden zusammen und ließ Achatius und seine 9000 gefangen nehmen und foltern. Als die Barbarenarmee sah, dass die Neuchristen ihr Martyrium erduldeten, ohne ihrem Glauben abzuschwören, traten 1000 von ihnen ebenfalls über. So ergibt sich die runde Zahl der 10.000 Märtyrer. Es wird angenommen, dass sich auch eine Christenverfolgung unter dem Perserkönig Sapor II. als historischer Hintergrund hinzugemischt hat. Jedenfalls popularisierten die späteren Kreuzfahrer die Legende auch unter dem Titel "Die zehntausend Ritter" und identifizierten sich damit. Achatius wird bis heute in der katholischen und orthodoxen Kirche als Heiliger verehrt, Kurfürst Friedrich will in seiner Reliquiensammlung sogar dessen Gebeine besessen haben.

Seltenes Motiv der Kunstgeschichte

"Als Motiv der Kunstgeschichte taucht die Legende selten auf", sagt Guido Messling, Kurator am Kunsthistorischen Museum. Dürer selbst hatte die Szene aber bereits 1496 in einem Holzschnitt dargestellt.

Aus Briefen weiß man, dass Friedrich III. 280 Rheinische Gulden für das Ölbild auf Holz springen ließ – eine stolze Summe, wenn man bedenkt, dass der Jahreslohn eines Handwerkers bei rund 60 Gulden lag. Dürer sei die Summe dennoch zu gering gewesen, sagt Kurator Messling: "Er empfand das Werk als sehr gelungen, und es war aufwendig zu malen. Und Dürer wusste zu dieser Zeit bereits, dass sich seine Druckgrafiken schneller und weit lohnender zu Geld machen ließen."

Dem Dürer’schen Selbstbewusstsein entsprechend hat sich der Meister auch gleich selbst als neutraler Beobachter zentral ins Bild gesetzt. Neben ihm positionierte er seinen Freund, den Humanisten Conrad Celtis, der im Jahr des Entstehens starb (übrigens am Stephansdom beigesetzt) und wie Luther von Friedrich zeitlebens geschützt und gefördert wurde.

Das Bild weist generell starke Bezüge zum damaligen Zeitgeschehen auf: So sind die Peiniger allesamt in orientalischen Gewändern bzw. osmanisiert dargestellt. Das sollte die Furcht vor den damals anrückenden Osmanen darstellen, und tatsächlich standen sie ja 1529 vor Wien. "Es ist ein Bild des Humanismus und auch eines des duldvollen sowie wehrhaften Christentums", sagt Messling.

Aufrütteln und anprangern

Schocken, aufrütteln, Mut machen, aber gerade durch die Drastik der Darstellung auch die Menschenverachtung anprangern, das scheint Dürer im Sinn gehabt zu haben.

Jedenfalls gehöre das Bild als eine von nur zwei Massenszenen zu den wichtigeren Werken Dürers, sagt der KHM-Kurator. Nie hat der Künstler mehr Körperverrenkungen dargestellt, auch wenn er es bei dem Wimmelbild freilich nicht auf 10.000, sondern nur 60 dargestellte Märtyrer brachte.

Nach Wien kam das Bild schließlich im Jahr 1600 über einen Ankauf von Kaiser Rudolf II. Um 1800 wurde es vom Holzuntergrund abgelöst und auf Leinwand aufgezogen – "eine heikle Prozedur, die man heute so nicht mehr machen würde", sagt Guido Messling.

Noch einmal also mussten die Märtyrer damals erdulden, dass Hand an sie gelegt wird. Heute dürften sie hingegen endgültig ruhen. Aufgrund seiner Fragilität wird das Bild nicht einmal mehr verliehen. (Stefan Weiss, 22.1.2022)