Man kann das neue Impfpflichtgesetz für gelungen oder schludrig gemacht halten, man kann seine Umsetzung bezweifeln und den Stufenplan für Sanktionen für eine typisch österreichische Lösung halten – man kann aber eines nicht: der Regierung den Willen und das Bemühen absprechen, im Nationalrat dafür eine möglichst breite Mehrheit zu finden.

Karl Nehammer wird im Zuge der Einführung der Impfpflicht noch viel zu erklären haben.
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Das ist nicht so banal, wie es auf den ersten Blick erscheint, und könnte durchaus eine neue Phase im Verhältnis der Regierung zur Opposition einläuten – die FPÖ einmal ausgenommen. Vieles wurde bei der Entstehung des Impfpflichtgesetzes nicht bedacht, doch den türkis-grünen Verhandlerinnen war in jeder Phase sehr daran gelegen, auf SPÖ und Neos zuzugehen. So ist auch die Einigung in letzter Minute auf finanzielle Impfanreize für Gemeinden und die Impflotterie zu sehen.

Letztere könnte man fast als "Lex Rendi-Wagner versöhnt Doskozil" bezeichnen, immerhin war der burgenländische Landeshauptmann und SPÖ-interne Dauerkritiker der Erste, der dies in seinem Bundesland umgesetzt hat. Auch hier ist weitgehend offen, wie all das auf Bundesebene ausgerollt werden soll und ob es am Ende eine kluge und vor allem wirkungsvolle Maßnahme gewesen sein wird – doch SPÖ und Neos waren immerhin von Anfang an dabei und werden sich schwertun, dieses Anreizinstrument später zu verteufeln.

Verbindlich und erklärend

Jedenfalls scheint es vorerst einmal so, als sei die Politik des wöchentlichen Verkündens von Vorhaben von der Redekanzel des Kanzleramts herab gemeinsam mit Sebastian Kurz abgetreten. Das Team um Kurz hat nur zu Beginn der Pandemie Bemühungen gezeigt, die Opposition einzubinden. Karl Nehammer pflegt offenbar einen anderen, verbindlicheren Stil. Er bemüht sich auch in Interviews sichtlich, die Überlegungen und Beschlüsse innerhalb der Koalition zu erklären. Das sollte er jedenfalls beibehalten – er wird im Zuge der Impfpflicht-Einführung noch viel mehr zu erklären haben. Regierungspolitik, die verkündet, statt zu erklären, die ansagt, statt zu argumentieren, kann auf Dauer nicht gutgehen.

Es ist auch, gerade in schwierigen Pandemiezeiten, von Vorteil, wenn es zwischen wesentlichen Teilen der Opposition und der Regierung eine intakte Gesprächsbasis gibt. Ob die auch noch Bestand hat, wenn der parlamentarische Untersuchungsausschuss demnächst mögliche Korruptionsfälle und Postenschacher in der ÖVP untersucht, wird sich weisen. Doch zumindest hat die Regierung einmal einen ersten Schritt getan, das ist vernünftig und lösungsorientiert.

Feigheit vor dem Argument

Was in dem Zusammenhang irritiert, ist die scheinbare Feigheit mancher Menschen, sich zu deklarieren, wenn es unbequem wird. Das zeigte sich auch bei der Impfpflichtabstimmung im Nationalrat. Einige Abgeordnete blieben der Abstimmung lieber fern, statt zu erklären, warum sie nicht mit der Mehrheit in ihrer Fraktion stimmen konnten oder wollten.

Wovor fürchten sich Politiker und Politikerinnen, die dafür gewählt worden sind, ihr freies Mandat nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben? Vor unangenehmen Fragen? Vor mühsamen Debatten? Gar vor Konflikten mit Klubchefs oder Regierungsmitgliedern? Das kann nicht sein. Die Politik muss der Bevölkerung gerade in der aufgeheizten Pandemiestimmung vorleben, dass sie imstande ist, Meinungsverschiedenheiten auf zivilisierte Weise auszutragen. Das ist nicht allein Aufgabe der Regierung. (Petra Stuiber, 22.1.2022)