Bild nicht mehr verfügbar.

Betroffenenvereine schätzen, dass rund 70 Prozent aller Erkrankten keine Bewilligung auf Hilfsgelder bekommen.

Foto: Getty

Genesen ist nicht gleich genesen. Wer eine Corona-Infektion überstanden hat, hat nicht immer das Schlimmste bewältigt. Manche kämpfen noch Monate später mit Problemen – etwa Atemnot, Müdigkeit und Bewusstseinsproblemen. Betroffene müssen sich aber häufig nicht nur mit ihrer Krankheit abmühen, sondern auch mit Behörden, um Rehabilitationsgelder bewilligt zu bekommen. Das kritisieren die Vereine Chronisch Krank und ME/CFS-Hilfe, die Betroffene unterstützen.

Aber von Anfang an: Die Symptome von Long-Covid-Erkrankten sind zahlreich. Eine der schwersten Spätfolgen ist ME/CFS – kurz für myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome. Typisch für die Krankheit "ist eine anhaltende chronische, im Alltag stark einschränkende, körperliche Schwäche", sagt Eva Untersmayr-Elsenhuber von der Medizinischen Universität Wien zum STANDARD. Neben Corona kann ME/CFS auch durch andere Infektionskrankheiten ausgelöst werden.

Keine Erholung

Patientinnen und Patienten können sich von der massiven Erschöpfung auch durch Schlaf nicht erholen. Sie berichten, nach kleinsten Anstrengungen teils tage- oder wochenlang im Bett bleiben zu müssen. Für besonders schwer Erkrankte ist es nicht möglich, alltägliche Situationen zu meistern, wie etwa Essen zuzubereiten. Hinzu kommen Konzentrationsstörungen und Probleme mit dem Blutdruck. Allerdings ist vieles an dem Krankheitsbild unklar – obwohl ME/CFS seit Jahrzehnten bekannt ist und etwa auch durch die Grippe entstehen kann. Das liegt vor allem daran, dass es kaum Forschung dazu gibt – auch weil die Erkrankung lange als psychosomatisch betrachtet wurde.

Bisher fand sie keinen Platz in den Curricula der Medizinstudien. In einem Entschließungspapier bezeichnete sie das Europäische Parlament 2020 als "verborgenes Problem des Gesundheitswesens der EU". Die konkrete Zahl der Erkrankten ist unbekannt, in Österreich schätzt der Verein ME/CFS-Hilfe rund 25.000 Personen, durch die Pandemie dürften tausende weitere hinzukommen.

Kaum Expertise beim Fachpersonal

Wie geht das Gesundheitssystem also damit um? Bei Betroffenen dauert es oft Monate oder sogar Jahre, bis sie wissen, was mit ihnen los ist. ME/CFS wird erst diagnostiziert, wenn andere mögliche Krankheiten Schritt für Schritt ausgeschlossen wurden. Das liegt auch daran, dass es keine eindeutigen Symptome für die Krankheit gibt. "ME/CFS ist eine komplexe Multisystemerkrankung", sagt Eva Untersmayr-Elsenhuber, die eine dahingehende Studie leitet. Sie betrifft also mehrere Bereiche des Körpers. Oft weiß medizinisches Personal aber nicht einmal über die Existenz der Erkrankung Bescheid.

Das soll sich künftig ändern: Auf Anfrage erläutert das Gesundheitsministerium, dass gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin Leitlinien zu Long Covid erstellt worden seien. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sollen für die Krankheit sensibilisiert werden. Zudem wurden auch Wege zur Diagnose und medizinischen Versorgung ausgearbeitet.

"Dafür werden alle relevanten Bereiche von der Primärversorgung bis zur Rehabilitation miteinbezogen", so ein Sprecher. Der Schwerpunkt liege darauf, eine Leitlinie zu schaffen, die fortlaufend dem Forschungsstand angepasst wird.

Versorgungszentren gefordert

Mit dem ärztlichen Fachpersonal würden die Diagnosen der Symptome abgeklärt und Vorgehensweisen zur Therapie erstellt. Aus Sicht von Untersmayr-Elsenhuber sei es zusätzlich notwendig, ein Versorgungszentrum, "ähnlich dem Charité-Fatigue-Zentrum Berlin", zu etablieren. Dadurch erhielten Patienten eine spezialisierte Anlaufstelle für Diagnose und Behandlung. "In diesem Zentrum ist eine multidisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen Fachrichtungen entscheidend, da die Patienten von einer Vielzahl von Symptomen betroffen sind", so die Expertin. Auch müsste mehr an der Krankheit geforscht werden.

Für Jürgen Holzinger, Obmann des Vereins Chronisch Krank, ist das Vorgehen der Bundesregierung aber nur die "halbe Miete", wie er dem STANDARD sagt. Zwar werde eine Versorgung in puncto ärztliche Behandlung geschaffen – nicht aber in Sachen staatliche Hilfsgelder. Betroffene können aufgrund ihrer Erschöpfung oft keiner Arbeit nachgehen. Wer länger als ein halbes Jahr im Krankenstand ist, muss einen Antrag auf Rehabilitationsgeld bei der Pensionsversicherung einreichen. Ansonsten droht nach einem Jahr, dass kein Krankengeld mehr ausgezahlt wird. Derartige Anträge werden von Gutachtern, selbst medizinisches Fachpersonal, geprüft.

Einziger Ausweg: Klagen

Holzinger schätzt, dass rund 70 Prozent der an ME/CFS Erkrankten keine Bewilligung für Rehabilitationsgeld bekommen. Ein Problem sei, dass ME/CFS eine Ausschlussdiagnose ist. "Die Gutachter diagnostizieren oft psychische Einschränkungen. Die Grunderkrankung wird nicht oder erst sehr spät erkannt", sagt Holzinger. "Da fehlt oft die Expertise." Das Personal sei nicht ausreichend für neue Erkrankungen geschult. "Man investiert in Informationen bei den niedergelassenen Ärzten und vergisst dabei auf die eigenen Gutachter, die man beschäftigt", kritisiert Holzinger.

"Der einzige Weg für Betroffene ist aktuell zu klagen", sagt er. Derzeit vertrete sein Verein gemeinsam mit 50 Anwaltskanzleien mehr als 100 Betroffene. "Das ist die einzige Möglichkeit, an einen geeigneten Sachverständigen zu gelangen." Eine weitere Erschwernis der Situation sei, dass Begutachtungen so kurz dauern. "Niedergelassene Ärzte werden in dem Prozess nicht berücksichtigt", sagt er. Künftig sollten "Fachambulanzen hinzugezogen" werden. Im Fall von ME/CFS ist auch das eine Hürde – müssten diese doch überhaupt erst etabliert werden. (Muzayen Al-Youssef, 21.2.2021)