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Die französische Supermarktkette Leclerec verkauft Baguettes derzeit um je 29 Cent. Dies löst Empörung aus.

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Die Supermarktkette Leclerc hat einen großen Coup gelandet: Sie verkauft das Baguette während sechs Monaten für 29 Cents. Das ist in etwa ein Viertel des Preises, den man in einer normalen Pariser Bäckerei für das knusprige Stangenbrot zahlt.

Wie Leclerc damit auf seine Margen kommt, ist unbekannt. In Frankreich ist es an sich verboten, Nahrungsmittel unter dem Gestehungspreis zu verkaufen. Branchenexperten gehen davon aus, dass die 720 Leclerc-Märkte im Land die Zutaten ausdünnen und auf Quantität setzen, indem die Aktion "en masse" neue Kunden anzieht.

Schon immer gut darin, mit Billigaktionen gegen den Strom zu schwimmen, setzte Michel-Édouard Leclerc am Radio noch einen drauf: Der 69-jährige Einzelhändler wirft seinen Konkurrenten implizit vor, sie nähmen die Inflation zum Anlass, die Kunden zu schröpfen. Dabei mache er nicht mit.

"Lowcost-Baguette"

Die spektakuläre Leclerc-Operation sorgt über die Branche hinaus für einen Aufschrei – und in der aktuellen Inflationsphase für ein brisantes Politikum. Dominique Anract von der Bäckerei-Vereinigung bezeichnet sie in einem Atemzug als "provokant, schockierend, skandalös und schändlich".

Die Vorsteherin des Landwirtschaftsverbandes FNSEA, Christine Lambert, eilte ihm zu Hilfe und erklärte, die Supermarktkette verachte mit dem "Lowcost-Baguette" die Arbeit von Bäckern, "die täglich um drei oder vier Uhr aufstehen".

Der Regierung in Paris kommt die PR-Aktion ebenfalls äußerst ungelegen. In Frankreich stehen im Frühjahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an, und Staatschef Emmanuel Macron hat jetzt schon Mühe, im laufenden Präsidentschaftswahlkampf die Kontrolle zu behalten.

Heikles Thema

Er weiß, wie heikel das Thema Inflation derzeit ist und wie rasch sich die Stimmung im Land deshalb gegen die Staatsführung wenden kann. Der französische Wirtschaftsminister Bruno Lemaire hat vergangene Woche bereits angekündigt, dass er den Strompreis blockieren werde, wenn er im laufenden Jahr vier Prozent übersteige.

Wenn gewiefte Einzelhändler beginnen, die Preise zu manipulieren, ist weitere Gefahr im Verzug. Der Gelbwesten-Aufstand vor drei Jahren sitzt Macron bis heute in den Knochen. Und die Verteuerung der Grundnahrungsmittel, der Energie sowie vieler Dienstleistungen trifft vor allem Minderbemittelte, meist Sympathisanten der "gilets jaunes".

Appell an Nationalstolz

Auch Regierungsvertreter machen deshalb Stimmung gegen die Supermarktkette Leclerc. Sie sagen, die Franzosen und Französinnen müssten sich düpiert fühlen, plötzlich nur noch ein Viertel des Brotpreises entrichten zu müssen.

"Wie viel Gewinn hat Leclerc denn bisher mit dem Stangenbrot gemacht?", fragen einige Minister hinter vorgehaltener Hand. Sie appellieren auch an den Nationalstolz, erinnern sie doch daran, dass Frankreich gerade um die Aufnahme des Baguette-Brotes in das Weltkulturerbe der Unesco ersucht.

Die Billigversion von Leclerc leistet der Kandidatur in der Tat einen schlechten Dienst, schmeckt sie doch laut den ersten Käufern und Käuferinnen eher nach Karton. (Stefan Brändle aus Paris, 23.1.2022)