Platz eins für Othmar Karas mit 536 von 691 Stimmen, zwei EU-Abgeordnete aus Österreich unter den ersten sechs! So kann man in einer Skination wie Österreich das Ergebnis eines politischen Wettrennens im Europäischen Parlament durchaus einordnen. Es mag etwas knallig patriotisch rüberkommen. Aber an einem "Kitzbühel-Wochenende" mit der Abfahrt auf der Streif passt eine sportliche Formulierung.

Othmar Karas und Evelyn Regner wurden in Straßburg zu Vizepräsidenten gewählt.
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Denn es ist – innen- und europapolitisch betrachtet – doch erfreulich, was der langjährige ÖVP-Mandatar Karas und Evelyn Regner von der SPÖ in Straßburg geschafft haben. Beide wurden zu Vizepräsidenten gewählt. Sie rückten in die Führung jener Volksvertretung auf, in der EU-Gesetze gemacht werden, die zu gut 80 Prozent direkt in österreichisches Recht einfließen, Politik und Leben im Land stark bestimmen.

Es hat also nicht nur symbolischen Wert, wenn zwei Politiker aus Österreich neben Präsidentin Roberta Metsola eine hervorgehobene Position einnehmen. Die Wahl von Regner und Karas ist nicht nur ein persönlicher Erfolg. Sie könnte Ansporn sein für mehr Ambition der österreichischen Europapolitik insgesamt. Ein so kleines EU-Land wie Österreich kann seine Interessen über die Grenzen hinweg nur durchsetzen, wenn es in der Sache stark und in der Lage ist, länderübergreifend möglichst viele Partner und Unterstützer zu finden.

Karas und Regner sind dafür Vorbilder. Sie stehen für seriöse, differenzierte Politik, für das Gegenteil von flotten, populistischen Sprüchen: unbeugsam, wenn es um Werte geht. Wer in Europa Erfolg haben will, muss Inhalte haben, fraktionsübergreifend mitgestalten wollen – positiv wirken. "Unsere" Vizepräsidenten könnten in diesem Sinne heimische Politiker und Parteien inspirieren, vor allem die Bundesregierung. Deren Europapolitik ist seit Jahren allzu defensiv, zudem oft auf nationale Besonderheiten fixiert, ohne den Blick für das Ganze.(Thomas Mayer, 22.1.2022)