Hier werden "sichere und legale Routen" nach Europa gefordert. Resettlementprogramme machen diese möglich.

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Der STANDARD feiert seine zehntausendste Ausgabe. Aus diesem Anlass beschäftigen wir uns mit der Zahl Zehntausend.

Wien – Inmitten des Elends von weltweit Millionen Menschen auf der Flucht, von Frierenden in winterlichen Wäldern und vielen Toten im Mittelmeer ist es ein humanitärer Lichtblick. Mittels Resettlements, wie es die Vereinten Nationen forcieren und etliche Staaten praktizieren, werden Schutzsuchende aus den Regionen, in die sie aus ihrer Heimat oft unter Lebensgefahr fliehen mussten, direkt in Länder gebracht, die sich bereiterklären, sie endgültig aufzunehmen.

Statt sich Schleppern ausliefern zu müssen, die die Flüchtenden bei Nacht und Nebel zu Fuß, in schwachen Booten oder in beengten Lkw-Laderäumen über Grenzen schmuggeln, steigen sie einfach in den Flieger. Davor wurden sie im Erstfluchtland vom UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR überprüft und haben den Status anerkannter Flüchtlinge erhalten. Im Zielstaat, der sich dadurch die Asylverfahren erspart, werden sie erwartet, versorgt und vom ersten Tag an integriert, vielfach in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Bald auf eigenen Beinen

Sie erhalten Kurse in der Landessprache und haben Zugang zum Arbeitsmarkt. Geht alles gut, stehen sie bald auf eigenen Beinen – und tragen dadurch im Aufnahmeland gesellschaftlich und wirtschaftlich Positives bei.

39.266 Menschen wurden laut dem UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR im vergangenen Jahr 2021 weltweit durch Resettlement-Programme der Vereinten Nationen umgesiedelt. Im Vergleich zum Bedarf von 1,45 Millionen besonders schutzbedürftigen kranken Kindern, Alten, Gefolterten, schwer Traumatisierten sind das viel zu wenige.

Vergessene humanitäre Tradition

Auch Länder in der EU, etwa Deutschland und Schweden, haben sich an den Aufnahmeaktionen beteiligt – Österreich, das eine langjährige Resettlement-Tradition hat, hingegen nicht. So lange das Land eine "so hohe Belastung durch irreguläre Migration" aufweise, sei es "völlig unangemessen, über Resettlement zu reden", sagte der jetzige Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), damals Innenminister, Ende August.

Sein Nachfolger im Innenressort, Gerhard Karner, setzt diesen harten Kurs weiter fort.

Dabei würde eine Teilnahme sogar Geld bringen. 10.000 Euro pro resettlete Person, so diese besonders vulnerabel ist, 6000 Euro für jeden weniger akut gefährdeten Menschen hat die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten Mitte September vergangenen Jahres angeboten. Die Kosten, die der Start in ein neues Leben verursacht, wären also zumindest zum Teil gedeckt.

EU-Programme seit 2015

Das Geld stammt aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU, wird also aus den Abgaben, die die Mitgliedsstaaten an die Union leisten, umverteilt. Die Aktion ist nicht die einzige ihrer Art. Die erste Resettlement-Initiative der Kommission wurde 2015 gesetzt.

Damals stellte die große Fluchtbewegung die EU vor gröbere Probleme. 2021 war es die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan mit einer weiteren möglichen Fluchtbewegung nach Europa als Folge. Laut Aussage eines Sprechers der Kommission im September sollte Resettlement ein Baustein in einem "umfassenden Ansatz zur Krise in Afghanistan" sein, zu dem auch "Unterstützung für die Menschen vor Ort, der Kampf gegen Schlepperei sowie das EU-Außengrenzmanagement" gehörten.

40.000 Menschen aus Afghanistan

Konkret sollten EU-weit 60.000 Menschen aufgenommen werden, 40.000 davon aus dem Land am Hindukusch. Der Vorzug sollte, so der Sprecher, "Frauen und Mädchen, Menschen mit Behinderung, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten" gegeben werden.

Zusagen kamen aus 15 der 27 Mitgliedsstaaten, aus Österreich eben nicht. Auch die osteuropäischen Visegrád-Staaten nahmen sich aus. Das Programm sei derzeit noch am Laufen, war vor wenigen Tagen aus der Kommission in Brüssel zu erfahren. "Wegen der fortgesetzten Corona-Krise ist die Sache nicht so einfach", sagte eine Mitarbeiterin dem Standard.

Österreich verweigert

In Österreich äußern Teile der politischen Opposition und der Zivilgesellschaft Unverständnis für das Njet der Bundesregierung zum Resettlement. Scharfe Kritik kommt von den Neos sowie mehrheitlich aus der SPÖ. Innerhalb der Koalition spielen die Grünen den Ball an die ÖVP weiter. Dieser allein sei die strikte Ablehnung geschuldet, heißt es dort. Schon während der Koalitionsverhandlungen sei das ganz klar herausgekommen.

Das sei insofern schade, als dadurch Erfahrungen aus früheren Resettlement-Initiativen brachlägen, heißt es dazu beim UNHCR in Wien. Etwa aus den Humanitären Aufnahmeprogrammen (Hap) der Jahre 2013 bis 2017, im Rahmen derer 1250 Syrerinnen und Syrer aus der Türkei, dem Libanon und Jordanien in Österreich aufgenommen wurden.

"Einzige Möglichkeit ohne Schlepper"

"Es ist ein Skandal, dass Österreich weder beim Resettlement noch bei der Relocation, der Übernahme von Flüchtlingen aus anderen EU-Staaten, mitmacht", sagt auch Herbert Langthaler von der Asylkoordination. Resettlement nämlich sei "die einzige Möglichkeit für Flüchtlinge, ohne Schlepper nach Europa zu kommen".

Damit sei es auch die einzige Möglichkeit für Verarmte und Verelendete, denn: "Schlepper kosten viel. In den Herkunftsstaaten verfügt nur die Mittel- oder die Oberschicht über genug Geld." (Irene Brickner, 29.1.2022)