Die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin von Staatspräsident Sergio Mattarella (rechts) bringt die Regierung von Premier Mario Draghi (links) ins Wanken.

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Ob Mario Draghi tatsächlich das Amt wechseln und Sergio Mattarella nachfolgen würde, ist unklar.

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Noch nie hat in den letzten Jahrzehnten eine Präsidentschaftswahl so hohe Wellen geschlagen wie die Kür des Nachfolgers von Sergio Mattarella, die heute, Montag, um 15 Uhr in Rom beginnt. Die fiebrige Stimmung wurde kurz zuvor noch angeheizt durch Silvio Berlusconi, der Samstagabend erklärte, nun doch nicht zu kandidieren. Die Unsicherheit vor dem ersten Wahlgang wurde damit größer: Die Parteien haben keine Strategie, wie und mit wem sie das wichtige Staatsamt besetzen wollen.

Favorit bleibt ein Kandidat, der sich gar nie offiziell für das Amt zur Verfügung gestellt hat: Premier Mario Draghi. Doch die Chancen anderer Kandidaten sind gestiegen, jene Draghis wurden etwas geringer. Denn: Berlusconi, dessen Stimmenfangoffensive im Parlament gescheitert war, will in seiner Enttäuschung nun auch seinem Rivalen Draghi den Einzug in den Quirinalspalast verbarrikadieren: "Die Regierung muss ihre begonnene Arbeit bis zum Ende der Legislatur 2023 fortführen und insbesondere die Projekte des nationalen Wiederaufbauplans sowie die dringend notwendigen Reformen der Steuern, der Justiz und der Bürokratie zu Ende führen", sagte Berlusconi-Vertrauter Antonio Tajani am Samstag.

Premier oder Präsident?

Auch wenn Berlusconis Nein zu Draghi den Beigeschmack eines Frustfouls aufweist: Die Frage, in welcher Funktion der ehemalige EZB-Chef Italien am besten und am nachhaltigsten dienen kann, stellt sich tatsächlich. In den elf Monaten seit der Vereidigung seiner Regierung hat Draghi zwar viel erreicht, aber letztlich stehen sowohl der Reformprozess als auch die Realisierung der Projekte, die mit den über 200 Milliarden Euro aus dem EU-Recovery-Fund finanziert werden, erst am Anfang. Ohne Draghi gibt es weder die Garantie, dass die von der EU geforderten Reformen vorangetrieben, noch dass das Geld aus Brüssel sinnvoll verwendet wird.

Dass ein amtierender Premier für das Staatspräsidium kandidiert, hat es in Italien noch nie gegeben. Und deshalb ist es auch das erste Mal, dass wegen der Wahl eine Regierungskrise droht: Würde Draghi gewählt, hätte die Regierung keinen Premier mehr. Ob aber die von ganz links bis ganz rechts reichende Mehrparteienkoalition, der Draghi vorsteht, ohne ihn zu retten wäre, ist mehr als fraglich. Im Extremfall drohen vorzeitige Neuwahlen, mitten in der Pandemie.

Selbst wenn sich eine neue Regierung bilden ließe: Die neue Exekutive befände sich in einem Wahljahr – in welchem sich die Parteien erfahrungsgemäß an ihren eigenen kurzfristigen Interessen orientieren. Dass sich unter einer solchen Regierung ohne die Autorität und das Ansehen Draghis weiterhin unpopuläre Reformen realisieren ließen, ist nahezu ausgeschlossen.

Siebenjährige Amtszeit

Andererseits: Bleibt Draghi Regierungschef, ist in etwas mehr als einem Jahr Schluss, weil die Legislatur zu Ende geht. Als Staatspräsident könnte er dem Land dagegen für die nächsten sieben Jahre dienen – und er würde, so die Hoffnung, vom Quirinal aus allen kommenden Regierungen auf die Finger schauen und dafür sorgen, dass Italien für die EU ein verlässlicher Partner bleibt.

Der abtretende Staatspräsident Sergio Mattarella, der in seiner Amtszeit vier verschiedene Regierungen vereidigte, hat ja gerade vorgemacht, wie groß der Einfluss aus dieser Position bei der Regierungsbildung sein kann.

Das stimmt – aber nur solange im Parlament keine klaren Mehrheitsverhältnisse herrschen. Sollten im nächsten Frühling die Rechtsparteien die absolute Mehrheit erzielen – was Umfragen zufolge wahrscheinlich ist –, dann könnte auch ein Staatspräsident Draghi nicht verhindern, dass der europafeindliche Rechtspopulist Matteo Salvini oder die Postfaschistin Giorgia Meloni an die Spitze der Regierung aufsteigen. Ähnliches hatte Italien schon 1994, 2001, 2005 und 2008 erlebt, als Silvio Berlusconi viermal Regierungschef wurde: Die damaligen Staatspräsidenten Scalfaro, Ciampi und Napolitano waren allesamt eingefleischte Gegner des Cavaliere gewesen – und dennoch blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Ernennungsurkunden zu unterzeichnen und ihm den Amtseid abzunehmen.

Immerhin: Eine Wahl Berlusconis ins höchste Staatsamt ist nun vom Tisch. (Dominik Straub aus Rom, 24.1.2022)