Wer wird als Nachfolger oder Nachfolgerin von Sergio Mattarella in den Quirinalspalast einziehen?

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Schicksalswahl in Italien: Am Montag beginnt die Wahl eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin für den seit sieben Jahren amtierenden Präsidenten Sergio Mattarella. Dabei haben außer dem amtierenden Premier Mario Draghi auch noch andere Personen Chancen auf das Präsidentschaftsamt:

Der Kompromisskandidat: Pier Ferdinando Casini

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Der 66-jährige Pier Ferdinando Casini sitzt schon derart lange im Parlament, dass er dort sozusagen zum Inventar gehört: Der Christdemokrat war 1983, also vor knapp vierzig Jahren, zum ersten Mal in die Abgeordnetenkammer gewählt worden. Nach dem Zusammenbruch der Democrazia Cristiana Anfang der 90er-Jahre gründete er eine eigene kleine Zentrumspartei, die sich mit dem aufstrebenden Bau- und Privat-TV-Unternehmer Silvio Berlusconi verbündete. Von 2001 bis 2006 war er Präsident der Abgeordnetenkammer von Berlusconis Gnaden; es wird ihm aber attestiert, die Parlamentssitzungen unparteiisch geleitet zu haben.

Der überzeugte Europäer ist im Parlament hervorragend vernetzt; er hat Freunde sowohl bei Berlusconis Forza Italia als auch im sozialdemokratischen PD, für den er bei den letzten Wahlen in seiner Heimatstadt Bologna in den Senat gewählt wurde. Seit seinem Präsidium der großen Kammer war er bei allen Staatspräsidentenwahlen als Kompromisskandidat im Gespräch. Auch heute wieder: Casini gehört der gleichen christlichen Parteifamilie an wie Sergio Mattarella, offen abgelehnt wird er von keiner Partei.

Weibliche Premiere: Marta Cartabia

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Noch nie bekleidete in Italien eine Frau das höchste Staatsamt – und nicht wenige finden deshalb, dass es höchste Zeit dazu wäre. Eine geeignete Kandidatin wäre vorhanden: Die 58-jährige Juristin Marta Cartabia. 2011 hatte sie schon einmal eine Premiere in einer traditionellen Männerdomäne geschafft: Sie wurde Präsidentin des Verfassungsgerichts. Die parteilose Technokratin ist im Kabinett von Mario Draghi Justizministerin und hat unter anderem eine lange überfällige Reform der Zivil- und der Strafjustiz durchs Parlament gebracht.

Cartabia genießt die Wertschätzung sowohl von Draghi als auch von Sergio Mattarella – auch im Parlament kennt sie kaum Gegner. Dennoch gilt ihre Wahl als nicht sehr wahrscheinlich: Die Parlamentarier wollen in der Regel einen altgedienten "Politiker". Derselbe Vorbehalt besteht im Übrigen auch gegenüber dem Nichtpolitiker Draghi. Immerhin: Sollte dieser zum neuen Staatsoberhaupt gewählt werden, hätte Cartabia Chancen, ihn an der Spitze der Regierung zu beerben. Das wäre ebenfalls eine Premiere: Italien hatte noch nie eine Ministerpräsidentin.

Die ewige Reserve: Giuliano Amato

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Der 83-jährige Giuliano Amato ist das, was man eine "Reserve der Republik" nennt: eine Persönlichkeit, der jedes Amt anvertraut werden kann, besonders in kritischen Zeiten. Der Craxi-Sozialist war von 1992 bis 1993 ein erstes Mal Premier gewesen, als das alte Parteiensystem unter dem Korruptionsskandal "Tangentopoli" einstürzte. Um den Zerfall der Lira zu stoppen und einen Staatsbankrott zu verhindern, verfügte er eine Zwangsabhebung von sechs Promille auf allen Bankguthaben; zudem erhöhte er Steuern und das Pensionseintrittsalter. "Wir standen am Abgrund – so konnte es nicht mehr weitergehen", begründete Amato die drastischen Maßnahmen damals.

Von 2000 bis 2001 war Amato erneut Premier; danach erarbeitete er als Vizepräsident des Europäischen Konvents mit Valérie Giscard d'Estaing die Europäische Verfassung. Ab 2006 war er unter Romano Prodi Innenminister. 2013 wurde er Richter am italienischen Verfassungsgericht. Amato kommt Draghi an finanzpolitischer Erfahrung und internationalem Ansehen nahe. Gegen ihn spricht sein Alter und die einstige Freundschaft zum korrupten Premier Bettino Craxi. (Dominik Straub aus Rom, 24.1.2022)