Was helfen uns neu gebaute Kindergärten, wenn es keine Menschen gibt, die dort arbeiten wollen, fragt Susanna Haas, die pädagogische Leiterin der St.-Nikolaus-Stiftung, im Gastkommentar. Die Politik sollte endlich ins Tun kommen, fordert sie.

Österreichweit einheitliche Rahmenbedingungen für Kindergärten gibt es immer noch nicht.
Foto: Heribert Corn

Donnerstag, 8.30 Uhr: Klemens, Miron und Dalia warten schon ungeduldig, um mit der Pädagogin die Bewegungsbaustelle aufzubauen, aber die Pädagogin hilft gerade Marvin und Hanna, ihren Streit zu lösen. Gleichzeitig erklärt Ella, dass sie schon hungrig ist. Während die Assistentin mit einigen Kindern die Jause herrichtet und nebenbei ein ankommendes Kind tröstet, fragt Filip bereits zum dritten Mal, wann ihm endlich sein Lieblingsbuch über Dinosaurier vorgelesen wird. Paul ruft laut aus dem Waschraum "Feeertig!", und in der Garderobe braucht Amely Hilfe beim Wechseln des nassen Pullovers. In der Zwischenzeit kommen weitere Kinder an und wollen begrüßt werden.

Alles Situationen, die Teil des Bildungsalltags im Kindergarten sind. Seit vielen Jahren entsteht jedoch der Eindruck, dass Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger den Kindergarten zwar als Bildungseinrichtung wahrnehmen und schätzen, jedoch den Leidensdruck des Berufsfeldes nicht erkennen, um notwendige Qualitätsverbesserungen zu finanzieren. Warum stagniert seit Jahrzehnten die längst überfällige Reform der ersten Bildungseinrichtung Kindergarten?

Hochmotiviert

Die Erwartungen an elementarpädagogische Einrichtungen sind enorm: Aktuelle gesellschaftliche Themen wie zum Beispiel Klimaschutz, Inklusion oder jetzt Corona werden im Kindergarten besprochen. Bildungsarbeit nach dem "Bildungsrahmenplan" bedeutet, dass jedes Kind die eigene Geschichte – Kultur, Sprache, Entwicklungsbedürfnis, sozioökonomische Voraussetzungen, Familienkonstellationen – in den Kindergarten mitbringt und Pädagoginnen wie Pädagogen ihre Bildungsarbeit entsprechend planen müssen. Diese Aufgabe kann sehr viel Freude und Sinn machen. Überall dort aber, wo 20 bis 25 Kinder auf eine ausgebildete Fachkraft kommen, wo es (zu) wenig Zeit für Beziehungsaufbau mit jedem Kind, für Planung, Reflexion und Austausch gibt, wo zusätzlich noch Personalmangel herrscht – da braucht man kein mathematisches Wunderkind sein: Das geht sich nicht aus.

Trotzdem findet in österreichischen Kindergärten vielerorts hochprofessionelle Bildungsarbeit statt: Woran liegt das? Meine Erfahrung mit über 1150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat mich gelehrt, dass Menschen, die mit jungen Kindern arbeiten, diesen Beruf hochmotiviert und mit positiver Einstellung ergreifen. Damit Pädagoginnen und Pädagogen weiterhin professionell arbeiten können und nicht nach kurzer Zeit erschöpft wieder aussteigen, brauchen sie vor allem mehr Zeit für jedes einzelne Kind, für Reflexion, Austausch und Planung, für die Vernetzung mit anderen Professionistinnen und Professionisten sowie für Gespräche mit Eltern.

Versäumnisse der Politik

Es gibt seit Jahren zu wenige Menschen, die nach der Ausbildung diesen wunderbaren Beruf ergreifen, gleichzeitig gibt es kaum Veränderungen in diesem Bereich. Diese Mängel bedingen sich gegenseitig, denn gäbe es bessere Bedingungen, würden mehr Pädagoginnen und Pädagogen (auch zurück) in den Kindergarten kommen. So einfach wäre es. Ist es aber nicht.

Die beiden Jahre der Corona-Pandemie haben uns schonungslos gezeigt, welche Versäumnisse es seitens der Politik in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat. Es ist daher ein Muss, dass politisch Verantwortliche endlich richtungsweisende Entscheidungen treffen, die allen Kindern unabhängig von Behinderungen, Geschlecht, Entwicklung, Religion oder sozialen und sozioökonomischen Bedingungen zugutekommen.

Um den Wirtschaftsnobelpreisträger James J. Heckman zu zitieren: "Es zahlt sich aus, für frühkindliche Bildung und Betreuung Geld in die Hand zu nehmen: Investitionen in hochqualitative, frühkindliche Programme resultieren etwa in höherer Bildung, mehr Gesundheit, weniger Kriminalität und besserem sozialem Verhalten und bringen Renditen von etwa 13 Prozent pro Jahr." Davon profitiert jedes einzelne Kind sofort – und letztendlich der Staat in der Zukunft, weil es gesunde und kompetente Erwachsene sein werden, die gut gestärkt ins (Berufs-)Leben einsteigen.

Beziehung fördert Sprache

Im Rahmen der aktuellen Bund-Länder-Verhandlungen lesen wir immer, dass der Fokus auf den flächendeckenden Ausbau von Kinderbildungsstätten und die Sprachförderung gelegt werden muss. Was wir hingegen in der Elementarbildung brauchen, sind endlich österreichweit einheitliche und bessere Rahmenbedingungen, wie mehr Zeit für Vorbereitung sowie einen evidenzbasierten Fachkraft-Kind-Schlüssel. Mit mehr und gut ausgebildetem Personal wäre auch der von der Politik oft zitierte wichtige Erwerb der deutschen Sprache kein Problem. Kinder brauchen nicht punktuelle Förderung der deutschen Sprache, sondern Beziehung und Sprachvorbilder, die täglich die Zeit haben, mit ihnen zu kommunizieren. Was helfen uns neu gebaute Kindergärten, wenn es keine Menschen gibt, die dort arbeiten wollen?

Und doch haben wir heute einen Grund zu feiern: Es ist der Tag der Elementarbildung! Heute stehen die Menschen, die in elementarpädagogischen Einrichtungen arbeiten, im Mittelpunkt. Ohne sie würde es keinen Ort außerhalb der Familie geben, in dem ihre Kinder von Menschen mit einem so hohen Maß an Engagement professionell begleitet werden. Unzählige Frauen und vereinzelt Männer könnten nach der Karenzzeit nicht in den Beruf einsteigen, dem Staat würden Einnahmen entgehen, und wirtschaftliche Stabilität würde abhandenkommen. Und es gäbe keinen Ort, wo Kinder in einem sicheren Umfeld wichtige Kompetenzen erwerben könnten, Spaß und Freude erleben, gemeinsam Feste feiern, Freundschaften knüpfen sowie Unterstützung in ihrer Entwicklung erhalten.

Ein Gedankenspiel – Donnerstag, 8.30 Uhr: In der Familiengruppe sind statt 20 Kindern nur 15 mit zwei Pädagoginnen und einer Assistentin. Was alles wäre möglich, wenn Investitionen dort ankommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. (Susanna Haas, 24.1.2022)