Die russische und die US-amerikanische Flagge an Botschaftsgebäuden.

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Ein spanisches Kriegsschiff auf dem Weg gen Osten.

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Washington/Brüssel –Am Mittwoch soll die nächste Gesprächsrunde zwischen Vertretern einiger der Konfliktparteien in der Ukraine-Krise stattfinden. Spitzenbeamte aus Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland sollen sich dann in Paris treffen. Das will die Nachrichtenagentur Reuters von russischen Delegierten am Montag erfahren haben.

Die Gespräche sollen zu einer Entspannung in der sich immer weiter zuspitzenden Krise beitragen. Zuvor war bekannt geworden, dass die Nato-Staaten angesichts der Spannungen zwischen der Ukraine und Russland ihre Militärpräsenz in Osteuropa verstärken wollen. Die Truppen der Nato-Staaten würden in Bereitschaft versetzt, man entsende auch weitere Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in den Osten, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montag.

"Die Nato wird alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um unsere Verbündeten zu schützen und zu verteidigen. Das schließt auch die Verstärkung des östlichen Teils unserer Allianz mit ein", erklärte Stoltenberg. Die Ukraine ist kein Nato-Mitglied, aber mehrere ihrer westlichen Nachbarländer sind es.

Am Montagnachmittag hat die russische Marine eine Militärübung in der Ostsee begonnen, wie die russische Nachrichtenagentur RIA berichtet. Zwanzig Schiffe seien demnach auf See gestochen.

Zuvor hatte der russische Abgeordnete Andrej Kartapolow betont, dass Moskau "angemessen reagieren" werde, falls die USA mehr Soldaten nach Osteuropa und in die baltischen Staaten schicken. Kartapolow ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Parlaments. Er reagierte damit auf einen Bericht der "New York Times", wonach die Entsendung von US-Soldaten sowie von Kriegsschiffen und Flugzeugen zu Nato-Verbündeten im Raum stehe.

Am Montagmittag hatte ein Kreml-Sprecher erklärt, dass die eigentliche Kriegsgefahr in der Region nicht von Russland, sondern vielmehr von der Ukraine ausgehe. Kiew habe eine "riesige Zahl" von Truppen nahe der Demarkationslinie im Osten des Landes zusammengezogen, die den von Kiew kontrollierten Landesteil von jenem trennt, in denen moskautreue Separatisten das Sagen haben. Der Westen, so Peskow, lasse den Konflikt wegen seiner "Hysterie" eskalieren.

Botschaftspersonal wird reduziert

Die US-Regierung verringert unterdessen ihre Botschaftspräsenz in Kiew. Die freiwillige Ausreise nicht unmittelbar benötigter Beschäftigter wegen der anhaltenden Bedrohung durch russische Militäraktionen sei genehmigt worden, teilte das US-Außenministerium mit. Angehörige von Diplomatinnen und Diplomaten wurden aufgefordert, die Ukraine zu verlassen.

Es handle sich um "Vorsichtsmaßnahmen", sagte eine hochrangige Beamtin des US-Außenministeriums. Auf die Frage, warum diese Entscheidung ausgerechnet jetzt getroffen worden sei, verwies das Ministerium auf die Warnung des Weißen Hauses aus der vergangenen Woche, wonach es jederzeit zu einem Einmarsch Russlands in die Ukraine kommen könne. Die Ausreise des nicht vor Ort notwendigen Personals sei freiwillig. Familienangehörige seien jedoch dazu verpflichtet, das Land zu verlassen. Über den Schritt war bereits seit einigen Tagen spekuliert worden.

EU zieht nicht mit

Auch das britische Außenministerium teilte Montagfrüh mit, dass einige Beschäftigte und Angehörige aus der Botschaft zurückgerufen werden. Am Nachmittag ließ der britische Premier Boris Johnson wissen, dass ein russischer Einmarsch aber "nicht unvermeidlich" sei.

Die EU hingegen schließt sich der Maßnahme vorerst nicht an, teilte der Außenbeauftragter Josep Borrell mit. Während die Gespräche mit Russland noch andauern, solle man die Situation nicht über die Maßen dramatisieren, so der Spanier. Die Ukraine bezeichnete die Reduzierung des US-Botschaftspersonals als "übertriebene Vorsicht". "Wir halten einen solchen Schritt der amerikanischen Seite für verfrüht", teilte das Außenministerium am Montag mit. Die Sicherheitslage habe sich "nicht grundlegend verändert".

Auf die Frage, ob die USA im Falle einer russischen Invasion Soldaten in die Ukraine schicken würden, reagierte Außenminister Antony Blinken am Sonntag ausweichend. Die Nato selbst werde weiterhin in erheblichem Maße gestärkt werden, falls Russland erneut Aggressionen verübe, sagte er. Biden hatte eine Entsendung von US-Soldaten in die Ukraine zuvor ausgeschlossen. Die USA unterstützen die Ukraine mit militärischem Material. Aktuell sind dem Pentagon zufolge weniger als 200 Militärs der Nationalgarde von Florida in der Ukraine im Einsatz.

Aufsehen um deutschen Marine-Inspekteur

Nach den umstrittenen Äußerungen des inzwischen zurückgetretenen deutschen Marine-Inspekteurs Kay-Achim Schönbach sah sich Blinken außerdem genötigt, Deutschland zu verteidigen. Er wurde in mehreren Interviews auf das Thema angesprochen. "Ich kann Ihnen sagen, dass die Deutschen unsere Besorgnis teilen und entschlossen sind, schnell, wirksam und geschlossen zu reagieren", sagte Blinken auf die Frage, ob Berlin zu zurückhaltend in der Krise sei. Der deutsche Vizeadmiral hatte bei einem Auftritt in Indien Verständnis für Russlands Staatschef Wladimir Putin geäußert.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz bekräftigte in der "Süddeutschen Zeitung", "dass es hohe Kosten haben würde für Russland, wenn es eine militärische Aggression gegen die Ukraine gibt". Auf Nachfrage, welche das sein könnten, sagte er: "Im Kreise der Verbündeten verständigen wir uns, wie mögliche Maßnahmen aussehen." Deutschland hat klargemacht, dass bei einem Einmarsch in die Ukraine alle Optionen auf dem Tisch lägen – auch Konsequenzen für die Gaspipeline Nord Stream 2.

EU-Außenminister beraten

Bei dem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel soll nun der Umgang mit als inakzeptabel erachteten Forderungen Russlands Thema sein. Zudem wird erwartet, dass Blinken über die Krisengespräche mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow berichtet. Nach Angaben des Auswärtigen Dienstes der EU wird sich Blinken per Videokonferenz zu einem physischen Treffen der EU-Minister zuschalten.

Die EU-Kommission will unterdessen ein 1,2 Milliarden Euro schweres Hilfspaket schnüren, das der Ukraine zugute kommen soll. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Montag an, das Parlament schon bald darüber abstimmen lassen zu wollen.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hofft auf einen "Schulterschluss" und einen "Gleichklang" der 27 Ministerinnen und Kollegen gegenüber Russland, wie er im Ö1-"Morgenjournal" am Montag sagte. Ein derartiger Truppenaufmarsch, wie ihn Moskau an der Grenze zur Ukraine organisiert hat, "kann für ein Land wie Österreich nicht akzeptabel sein".

Sanktionen kein "Bumerang"

Welche Sanktionen die EU am Montag besprechen könnte, wollte Schallenberg nicht verraten, nur so viel: "Es geht um Wirtschaftsbereiche, es geht um den Warenhandel, es geht um den Finanzbereich." Allerdings dürften Sanktionen nicht "wie ein Bumerang" europäische Bürgerinnen und Bürger treffen – angesichts der Abhängigkeit Europas von russischem Gas keine geringe Sorge.

Schallenbergs Chef, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), hat derweil dem ukrainischen Premier Denys Schmyhal die Unterstützung Österreichs zugesichert. Im Telefonat vom Montag anlässlich des 30. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen ging es laut einer Aussendung auch um den Ausbau von Kooperationen in den Bereichen Erneuerbare Energieträger und grüne Technologien.

Bundeskanzler Nehammer betonte, "Österreich ist ein Freund und Partner der Ukraine. Wir leisten vor allem politisch, wirtschaftlich und humanitär Unterstützung. Wir unterstützen auch eine enge Zusammenarbeit der Ukraine mit der Europäischen Union sowie die Fortführung der ambitionierten Reformen." Er habe auch über die "besorgniserregende Situation in der Ostukraine" gesprochen. "Die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine darf von Russland keinesfalls verletzt werden. Sollte es trotzdem dazu kommen, so wird es eine klare europäische Antwort geben", hieß es in der Aussendung weiter. Nehammer sagte demnach zudem einen Besuch in der Ukraine noch in der ersten Jahreshälfte zu.

Im Westen wird befürchtet, dass Russland einen Einmarsch in der Ukraine planen könnte. Für möglich wird allerdings auch gehalten, dass nur Ängste geschürt werden sollen, um die Nato-Staaten zu Zugeständnissen bei Forderungen nach neuen Sicherheitsgarantien zu bewegen. Erklärtes Ziel Russlands ist es etwa, dass die Nato auf eine weitere Osterweiterung verzichtet und ihre Streitkräfte aus östlichen Bündnisstaaten abzieht. Die Nato, aber auch die EU lehnen das ab.

US-amerikanische Reisewarnung

Die USA haben auch ihre Reisehinweise für die Ukraine und Russland angepasst. Für beide Länder wurde bereits zuvor von Reisen abgeraten – es gilt weiterhin die höchste Gefahrenkategorie 4. Für die Ukraine warnt die US-Regierung nun konkret vor der zunehmenden Bedrohung durch russische Militäraktionen – zuvor war neben Corona vor den "zunehmenden Bedrohungen seitens Russlands" die Rede. Das US-Außenministerium machte deutlich, dass es im Falle eines Einmarsches Russlands keine Evakuierungsaktion geben werde – US-Bürgerinnen und -Bürger sollten sich nun um kommerzielle Flüge bemühen. (red, APA, 24.1.2022)