Traut der Regierung nicht mehr allzu viel zu: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.

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Plötzlich schien Beate Meinl-Reisinger für sich schon zu weit in die Zukunft zu denken. Die Neos-Chefin wollte gerade dazu überleiten, dass es doch einige politische Schwerpunkte abseits von Corona gebe, die aus Sicht der Liberalen in den vergangenen Pandemiemonaten zu kurz gekommen sind. Und war dabei, die Klausur des pinken Parlamentsklubs bei dieser Gelegenheit doch fast schon Regierungsklausur zu nennen. "Verzeihen Sie", schob Meinl-Reisinger grinsend hinterher und sorgte damit für Gelächter. "Das ist einfach die engagierte Oppositionspolitik, die da durchgeht."

Meinl-Reisinger will den Blick jedenfalls nach vorne richten. Es müsse Schluss sein damit, dass ein gesamtes Land andauernd nur über Corona-Maßnahmen diskutiere. Es gebe genügend andere Reformen, die angegangen werden müssten.

Die Rolle des Staates

Nicht zuletzt habe diese Pandemie Schwachstellen in der Verwaltung aufgezeigt. Etwa den Föderalismus, den Meinl-Reisinger als "institutionalisierte Verantwortungslosigkeit" bezeichnete, wo die eine Ebene das Problem einfach auf die andere abschiebe. Aus Sicht der Neos müsse die Verwaltung modernisiert werden. "Ist das, wie wir Verwaltung erleben, sehr obrigkeitshörig, völlig intransparent, also der Bürger als Untertan, der nichts erfahren darf, und teilweise immer noch mit den Methoden der Postkutsche, zeitgemäß für das 21. Jahrhundert? Das denke ich nicht", sagt die Parteichefin. Wiewohl Meinl-Reisinger nach der Pandemie über die Rolle des Staates sprechen möchte und sich festlegt: "Einen Staat, der sich in alle Bereiche einmischt, wird es mit uns sicher nicht spielen."

Daran anschließend mahnte Meinl-Reisinger ein klares Bekenntnis der Regierung ein, künftig wieder zu einem ausgeglichenen Budget zu kommen. Damit hänge auch eine "echte" Steuerentlastung für die Menschen zusammen. Bisher sei das nach dem Prinzip "Rechte Tasche, linke Tasche" erfolgt, sagte Meinl-Reisinger und forderte ein Ende der kalten Progression sowie eine Senkung der Abgabenquote und der Lohnnebenkosten.

Die Neos verlangen auch, dass sich Türkis-Grün über den Wirtschaftsstandort Gedanken macht, ob sich Österreich als kleines, protektionistisches Land von europäischen Partnern abschottet oder sich global wie innovativ vernetzt beziehungsweise mit Forschung und Entwicklung sowie guten Bedingungen für Start-ups und den Mittelstand für Wohlstand sorgt. Damit verbunden sieht Meinl-Reisinger auch den Umweltschutz. Hier möchte sie der Regierung besonders auf die Finger schauen, sei diese doch gerade bei der Ökologisierung des Steuersystems noch einiges schuldig geblieben.

Regierungsprogramm "nicht zeitgemäß"

Emotionaler wurde Meinl-Reisinger dann, als es um Bildungsgerechtigkeit ging. Diese sei seit jeher eine der obersten Agenden der Neos. "Weil es letztlich darum geht, dass wir jedem Menschen in Österreich ein selbstbestimmtes, ein ermächtigtes Leben ermöglichen können, wo er oder sie aus eigener Kraft etwas aufbauen kann", sagte Meinl-Reisinger. Auch hier habe die Pandemie deutlich gezeigt, dass es um die Bildungsgerechtigkeit hierzulande nicht allzu gut bestellt sei.

Die Neos-Chefin "sieht das nicht mehr ein", dass sich für Frauen außerhalb von Ballungszentren die Frage stelle, ob sie überhaupt einen Job ergreifen können, wenn Kindergärten entweder nur halbtags offen oder "abartig viele Wochen an Schließzeiten" haben. Meinl-Reisinger fordert daher einen Rechtsanspruch für einen Kinderbildungsplatz ab dem ersten Lebensjahr. Es sei auch zu schaffen, dass jedem Kind zumindest ab drei bis zwölf Jahren ein ganztägiger Bildungsplatz zur Verfügung stehe mit Sport- und Musikmöglichkeiten samt gesundem warmem Mittagessen.

Dahingehend müsse die Regierung ihr Arbeitsprogramm verändern, sagte Meinl-Reisinger. Dieses sei vor über zwei Jahren erstellt worden und daher nicht mehr zeitgemäß. So richtig vertrauen die Neos der Regierung aber nicht dabei, da noch allzu viel gemeinsam voranzubringen. Türkis-Grün fehle es an Miteinander, Führungskraft, Gestaltungswillen und Mut. Wenn weiter nur an kleinen Schräubchen gedreht werde, führe mittelfristig wohl kein Weg an Neuwahlen vorbei, befand Meinl-Reisinger. "Dann gibt es hoffentlich die Chance auf eine neue politische Agenda und den Mut, endlich auch die großen Dinge anzugehen." (jan, 24.1.2022)