Bild nicht mehr verfügbar.

Thomas Brezina und seine Firmen produzieren das ORF-Programm für Kinder. Interne Firmenunterlagen werfen die Frage auf, ob alle ORF-Mittel sachgerecht verwendet wurden.

Foto: Starpix / picturedesk.com

Wie viel der ORF für sein Kinderprogramm ausgibt, war bislang geheim. Bekannt ist allerdings, dass der Löwenanteil aller ORF-Gelder für sein jüngstes Fernsehpublikum quasi in eine Hand fließt: in jene von Thomas Brezina und seinen Firmen.

Wie viel sich der ORF die Marke Brezina kosten lässt, zeigt erstmals ein umfassender Datensatz aus Brezinas Produktionsfirma, der Tower10 KidsTV. Die dem STANDARD vorliegenden Unterlagen umfassen interne Kalkulationen aus den Jahren 2014 bis 2017, Auswertungen der Kassenbestände, Personalaufstellungen sowie ORF-Verträge. Die Dokumente werfen vor allem eine Frage auf: Wurden alle ORF-Mittel tatsächlich sachgerecht verwendet?

"Schmalz"-Spalte

Eigentlich sind Auftragsproduktionen des ORF in einem engen Korsett zu meistern. Punktgenaue Kalkulationen sollen sicherstellen, dass das Geld in die Produktion der Kinderformate fließt. Wie viel bei der Produktionsfirma hängenbleibt, ist prozentuell festgesetzt – wie in der Film- und Fernsehbranche üblich. Der Rest der Gelder ist direkt für die Produktion aufzuwenden. So weit die Theorie.

Die vorliegenden internen Kalkulationen der Tower10 KidsTV weisen allerdings eine Spalte auf, die weder Produktionskosten noch Firmenerlösen oder Fixkosten zuordenbar ist. Die Spalte in der Kalkulation ist mit "Schmalz" tituliert. Bei jeder Kalkulation der einzelnen Kinderfernsehformate, die Brezinas Firma für den ORF produziert, wurden laut interner Planung "Schmalz"-Beträge aufgeschlagen.

Mehr als 350.000 Euro "Schmalz" für 2017

Für das Jahr 2017 machte "Schmalz" je nach Format zwischen drei und knapp 90 Prozent der angegebenen Kosten aus. Zusätzlich wurden jene Summen, die bei der Produktionsfirma hängenbleiben sollen – prozentueller Erlös und Fixkosten – aus der Summe von Formatkosten plus "Schmalz" errechnet. Allein in den Planungen für das Jahr 2017 belaufen sich die "Schmalz"-Beträge auf mehr als 350.000 Euro.

Bei einer gesamten Auftragssumme von rund vier Millionen Euro für das Jahr 2017 sind das je nach Planungsstand mehr als acht Prozent der ORF-Gelder, die in der internen Kalkulation unter einer Bezeichnung eingeordnet wurden, die nichts über die konkrete Verwendung der Mittel aussagt.

Ähnliche Summen finden sich in den Planungen für die Jahre zuvor. Für 2014 waren knapp unter vier Millionen Euro ORF-Budget eingeplant, mehr als 370.000 Euro davon "Schmalz", die im Kassasturz für den ORF nicht aufscheinen. Für 2015 war "Schmalz" mit etwas mehr als zehn Prozent des ORF-Produktionsbudgets, also mit rund 400.000 Euro, kalkuliert. Ähnliches für das Jahr 2016: Die Beträge in der Spalte "Schmalz" ergeben zusammengerechnet rund 301.000 Euro.

Wohin fließt "Schmalz"?

Die Summe der "Schmalz"-Posten in den Kalkulationen von 2014 bis 2017 beläuft sich auf etwas mehr als 1,4 Millionen Euro. Würde man in den Kalkulationen die "Schmalz"-Spalte streichen, hätte die Produktionsfirma auch weniger Erlös und Fixkosten berechnen müssen, da die Bezugsgröße kleiner gewesen wäre. Erlös und sogenannte Handlungsunkosten für etwa Verwaltungs- und Infrastrukturkosten werden wie in der Branche üblich prozentuell vom Produktionspreis berechnet.

Wohin die "Schmalz"-Beträge tatsächlich geflossen sind, lässt sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht klären. Ebenso wenig lässt sich nachvollziehen, was die Bezeichnung für ein tierisches Fett in einer Kalkulation bedeuten soll.

ORF: "Gedankenspiele" und "Annahmen"

Der ORF spricht auf Anfrage von "Gedankenspielen und Annahmen des damaligen Geschäftsführers". Die Kalkulationen hätten keine "inhaltliche Aussagekraft". Warum sich Verantwortliche einer Produktionsfirma für Kinderfernsehformate in einer Firmenkalkulation Gedanken machen, wie durch "Schmalz" die Einnahme eines möglicherweise trockenen Grundnahrungsmittels gehaltvoller gemacht werden soll, ist nicht eruierbar.

DER STANDARD hat mehrmals versucht, die damals Verantwortlichen zu erreichen. Über Bekannte wurde ausgerichtet, dass kein Kontakt gewünscht wird.

Whistle-Blowerin äußerte Verdacht

Klar ist jedenfalls, dass bereits Anfang November eine angeblich ehemalige Mitarbeiterin von Tower10 KidsTV den ORF über diese internen Kalkulationen für das Jahr 2017 informiert hat. In ihrer anonymen Mail an die Generaldirektion schrieb sie von "großen Geldsummen", die hier "auf Kosten des öffentlich-rechtlichen Kinderprogramms" veruntreut würden. Auf Nachfrage will der ORF erst mit der jetzigen Anfrage von den Kalkulationen Kenntnis erlangt haben.

Der vorliegende Datensatz, der die Jahre 2014 bis 2017 umfasst, lässt auf die Authentizität des Dokuments der Whistleblowerin schließen. Auch der ORF bestätigte im Dezember die Echtheit einiger Dokumente, die aus diesem Datensatz stammen – etwa Kalkulationsblätter, die laut Insidern tatsächlich dem ORF vorgelegt wurden.

Die Summen auf den ORF-Dokumenten unterscheiden sich nur minimal von den jeweils letzten Versionen der internen Kalkulationen, die den Verdacht nähren, mit "Schmalz" sprichwörtlich aufgefettet worden zu sein.

Kalkulationen "nicht nachvollziehbar"

In jenen Unterlagen, die mutmaßlich dem ORF vorgelegt wurden, sucht man vergeblich nach einer "Schmalz"-Spalte. Auch in den Kassastürzen für das jeweils vergangene Jahr findet sich kein derartiger Posten mehr.

Ratlos zeigt sich die Tower10 KidsTV: Auf Nachfrage sagt der jetzige Geschäftsführer, dass die vorliegenden Kalkulationen "nicht nachvollziehbar" seien. Seine Prüfung habe ergeben, dass die Abrechnungen korrekt auf Basis der bestehenden Verträge mit dem ORF erfolgt seien. Wie in allen anderen Brezina-Firmen auch seien keine Unregelmäßigkeiten ersichtlich. Zudem sei die Tower10 KidsTV jahrelang defizitär gelaufen. Verdeckte Geldflüsse seien unmöglich, weil alle Firmen transparent seien.

ORF kündigte Prüfung an

Der ORF gibt an, die Produktionsfirma "gewissenhaft und mehrmals" geprüft zu haben. Jede einzelne Position sei bislang nachvollziehbar gewesen.

Bereits auf eine frühere Anfrage des STANDARD im Dezember des vergangenen Jahres hin kündigte der ORF eine "umfangreiche interne Überprüfung" an. Ob der ORF von seinem vertraglich verankerten Recht, auch Bücher und Belege der Produktionsfirma einzusehen, Gebrauch gemacht hat, ließ er unbeantwortet. (Laurin Lorenz, 25.1.2022)