Blau ist dieser Donau-Seitenarm nur noch auf der Karte im Internet. Wer die Stelle in der Lobau aufsucht, findet an diesem eisigen Jännertag kein Wasser mehr vor. Stattdessen bedecken hier Äste, Gestrüpp und etwas Schnee den matschigen Boden. Es ist nicht die einzige verlandete Stelle im Augebiet. Die Lobau, der Wasserwald Wiens, trocknet aus. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Klimawandel, der extremere Niederschläge und lange Trockenperioden verursacht, ist nur einer davon.

Wo in der Wiener Lobau einst Auen zu finden waren, herrscht heute Trockenheit. Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Foto: Christian Fischer

Ein anderer ist mit einem Projekt, das rund 150 Jahre zurückliegt, eingeleitet worden: die Donauregulierung. "Auen trocknen aus, wenn sie vom ‚Flussschlauch‘ abgetrennt werden", sagt Thomas Hein von der Universität für Bodenkultur. Der Hauptstrom der Donau und die dazugehörigen Augebiete stehen heute hydrologisch "nur noch sehr eingeschränkt" in Verbindung. Das fließende Gewässer bräuchten die Auen aber: Denn damit trägt die Donau bei Hochwasser Sedimente in die Auen ein, gleichzeitig spült der Fluss den Boden aus dem Uferbereich und trägt das Material wieder aus. Es kommt also zur Umlagerung, aber nicht zur Anhäufung des Bodens. "Fehlt der Prozess, dann geschieht eine Auflandung der Auen", sagt Hein. Das heißt, sie wächst nach oben – mehrere Millimeter im Jahr.

Zwischen den Dämmen

In der Unteren Lobau kommt hinzu, dass die Au zwischen zwei Schutzdämmen liegt. "Wenn die Donau Hochwasser führt, trägt die Donau rückstauend über den Schönauer Schlitz Wasser in die Lobau ein", sagt Hein: "Wenn Wasser strömt, hat es eine erosive Kraft – wenn es sich nur so langsam wie eine Badewanne füllt, lagert es seine Sedimente ab." Das Wasser mit dem Bodenmaterial fließt also in die Auen hinein, bleibt stehen, sinkt ab und lässt das Material zurück.

In der Oberen Lobau kommt 20 Gehminuten vom verdorrten Bett des Seitenarms entfernt ein weiteres Problem hinzu. Dort, wo die breite Straße endet, auf der sich fast nur mehr Tankwagen kreuzen und wo Wien nach Osten hin in Richtung Niederösterreich ausfranst. Dort, linksufrig der Neuen Donau, steht der Altstandort Tanklager Lobau. 75 Kesselwagen Öl liegen an dieser Stelle im Erdreich unter Wasser. Es gelangte in den Boden, nachdem im Zweiten Weltkrieg das Areal bombardiert wurde. Heute gilt es als gesichert, der größte Bereich des Altstandorts wird weiterhin als Tanklager genutzt. Im Norden liegt das "Kompostwerk Lobau" der Stadt, im Osten ein Lager der Chemieindustrie. Umschlossen ist das Gebiet vom Nationalpark Donau-Auen. Um ihn vor den Altlasten zu schützen, errichtete die Stadt bis zu 70 Meter tiefe abdichtende Wände und zahlreiche Sperrbrunnen.

Sperrbrunnen pumpen Wasser ab, bereiten es auf und leiten es in die Donau.
Foto: Christian Fischer

Durch die Brunnen wird Wasser abgepumpt, aufbereitet und in die Donau geleitet. In diese 20 Meter in den Boden reichenden Betonschächte wird das im Untergrund festsitzende Öl aufgespürt, ausgeschieden und so die Kontaminierungen des Grundwassers verhindert. Doch die Brunnen entziehen Wasser. Im Vorjahr legte das Landwirtschaftsministerium die Brunnen deshalb lahm. Jene um das Tanklager blieben allerdings in Betrieb. Nun ist der Grundwasserstand im Osten Österreichs aber ohnehin bereits niedrig.

"Wie in der Mongolei"

Die hiesigen Bäume müssten nun eigentlich tiefer wurzeln, wofür sie aber nicht gemacht seien, erklärt Stefan Stadler, wissenschaftlicher Experte der Umwelt-NGO Greenpeace. Sie versteppten daher allmählich "und irgendwann – schleichend, aber doch – sieht es hier dann aus wie in der Mongolei", sagt Stadler. Er verweist auf ein Problem am Ende des ausgetrockneten Betts, wo Holzstufen in den Donau-Oder-Kanal führen. Auf der anderen Seite beginnt Wiens Grundwassergebiet.

Der Löwenanteil des Wiener Wassers, über 90 Prozent, kommt zwar aus den Alpen – die Trinkwasserbrunnen hier in der Lobau bilden aber eine Reserve. Die Zuleitung von Wasser aus der Donau geht hier nicht, denn sie würde auf Kosten der Qualität gehen. Außerdem bergen diese sogenannten Dotationen Risiken. In den 1990er-Jahren drang durch das Zuleiten Wasser in die Keller einiger Häuser an den Wasserarmen nördlich der Au. Dotationen, also regulierte Wasserspenden, werden in der Oberen Lobau durchgeführt. "Was man hier macht: Man bringt Wasser aus der neuen Donau – rund hundert Liter pro Sekunde – in die Auen. So werden die Effekte der Verlandung zumindest verlangsamt und das Wasserdefizit gelindert", sagt Hein.

Der Löwenanteil des Wiener Wassers, über 90 Prozent, kommt zwar aus den Alpen – die Trinkwasserbrunnen hier in der Lobau bilden aber eine Reserve.
Foto: Christian Fischer

Stadler sagt, das Wassermanagement der Stadt sei wirklich gut, sie bemühe sich redlich, und er verstehe auch viele ihrer Argumente. Er wisse etwa, dass das Abtragen der Altlasten am Tanklager enorme Kosten und weitere Dotationen Risiken für Anrainerinnen und Anrainer bringen würde. Doch am Ende sei es eine Abwägungssache: "Irgendwann muss sich die Stadtregierung entscheiden: Verhindert sie, dass die Au weiter verlandet, oder akzeptiert sie, dass die Au irgendwann kein Augebiet mehr sein wird."

Biologisch unattraktiver

Auch Heins Prognose ist deutlich: Passiert nichts, "verlieren wir in den nächsten 30 Jahren einen Großteil dieser Gewässer in der Unteren Lobau". Die Lobau werde dann zum Hochwasser-Rückhaltebecken, das hin und wieder mit Wasser gefüllt wird. "Seine biologische Attraktivität, die Bedeutung als Lebensraum im aquatischen Bereich, wird sie stark einbüßen." Um die Auen zu retten, wäre der "klassische Weg, den Prozess wiederherzustellen", sagt Hein. "Man bräuchte mindestens 20 Kubikmeter Wasser pro Sekunde für die Umkehrung der Verlandung in der Unteren Lobau." Sanfter wäre die Dotation, wie sie bereits in der Oberen Lobau geschehe: "Mit drei Kubikmeter Wasser pro Sekunde käme es zu keiner Umkehr des Prozesses, aber wir können den Bestand, wie er jetzt ist, sichern."

Klimaaktivistinnen und -aktivisten sorgen sich nicht nur um die Wasserversorgung, sondern generell um das fragile Ökosystem eines der letzten intakten Augebiete Europas. Sie stemmen sich gegen die Pläne der Stadtregierung, die die Untertunnelung der Lobau samt Autobahnausbau in der Donaustadt vorsehen. Ihre Sorge ist, dass das Projekt den Grundwasserstand weiter senken könnte. Im Rathaus betont man wiederum, dass der Tunnel unter dem Grundwasserspiegel stattfinden würde. Gegen das Lobautunnel-Aus, das vom Klimaschutzministerium verkündet wurde, will man in der Stadt vorgehen.

Umkämpfte Auen

Es ist nicht der erste Kampf, der um die Nutzung der Aulandschaft geführt wird. Die Donauregulierung im 19. Jahrhundert erleichterte zwar die Schifffahrt und sicherte die Agrarlandschaft des Marchfelds vor Hochwasser. Sie brachte aber eine grundlegende Verschiebung im ökologischen Gewässersystem. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Ölraffinerie, in den 1960er-Jahren ein Wasserwerk inklusive Asphaltstraße und Stromleitungen. Ab den 1970er-Jahren formierten sich Ökobewegungen. Mit ihnen begann der Widerstand gegen die Industrialisierung des Donautals. Hier entstand die erste österreichische Bürgerinitiative zum Schutz der Umwelt.

Die Aulandschaft ist seit dem 19. Jahrhundert umkämpft.
Foto: Christian Fischer

1996 wurden die Lobau und die gesamten Donau-Auen zum Nationalpark erklärt. Und schon seit Jahren klagt man auch in einem anderen Part der Lobau über den sinkenden Wasserstand: in Groß-Enzersdorf.

Dort engagiert sich Anrainer und Stadtrat Andreas Vanek für einen besseren Schutz der Lobau. Er schlug Alarm, weil im dortigen Abschnitt des Nationalparks unter Brücken kein Wasser mehr durchfloss. Die Dotierungen der Stadt hätten geholfen, sagt er. Wenn es so weiterlaufe, dann sei er zufrieden, die Maßnahmen, die man mit der MA 45 "erkämpft" hätte, hätten zumindest das Bewusstsein geschärft. Aber: "Wir haben hier ständig ein wachsames Auge darauf, ob es Nachbesserungsbedarf gibt." (Anna Giulia Fink, Oona Kroisleitner, 25.1.2022)