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Ein kleines Kind völlig unvermittelt seiner gewohnten Umgebung zu entreißen sei traumatisierend, befand die Richterin.

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Wien – Fünf Tage ist es her, da änderte sich das Leben der vierjährigen Diana abrupt und tiefgreifend. Frühmorgens am Donnerstag kamen mehrere Polizistinnen und Polizisten, zwei Frauen in Zivil sowie ein Gerichtsvollzieher in die Wohnung.

Diana wurde aus dem Bett geholt, im Pyjama in ein Auto gesetzt und weggebracht – allein, ohne Mutter oder Großeltern, mit denen sie seit zweieinhalb Jahren im niederösterreichischen Mautern gelebt hatte.

Mutterkontakt per Video

Wenige Stunden später saß die Vierjährige mit ihrem Vater im Flieger in Richtung Kalifornien. Den Mann hatte sie seit Sommer 2019 nur im Rahmen stundenweiser Besuchskontakte getroffen – doch nun muss sie bei ihm in den USA leben.

Die Mutter wird sie bis auf Weiteres nur per Video sehen oder – so die Frau in die USA reist, um das dortige Sorgerechtsverfahren auszufechten – bei kurzen Besuchskontakten.

Haager Kindesentführungsübereinkommen

Die Entscheidung für die Kindesabnahme war rechtskräftig und vollziehbar. Sie wurde nach den Regelungen des Haager Kindesentführungsübereinkommens (HKÜ) getroffen, eines multilateralen Abkommens über zivilrechtliche Aspekte internationaler Kindesentführungen.

Laut HKÜ hat die Mutter, eine Österreicherin, Diana aus den USA entführt, als sie dem Vater, einem US-Amerikaner, im August 2019 mitteilte, dass sie und die Tochter nicht mehr aus dem Heimaturlaub nach Kalifornien zurückkehren würden. So hatte es der Vater eingeklagt, so haben US-amerikanische und österreichische Gerichte entschieden.

Seltene Richter-Enthebungen

Aus dieser Warte betrachtet sind der Polizeieinsatz und die Trennung der Vierjährigen von ihrer Mutter nur eine logische Folge. Doch so glatt ist dieser Fall nicht abgelaufen.

Vielmehr war die Kindesabnahme nur möglich, weil eine Kremser Bezirksrichterin, die anders entschieden hatte, wegen Befangenheit des Falles enthoben wurde. Ein Schritt, den die nicht mit dem Fall betraute Familienrechtsanwältin Gabriele Vana-Kowarzik "in solchen Causen noch nie erlebt" hat.

"Nachhaltige Schädigung"

Im Juli 2021 hatte die Richterin befunden, dass Diana bis auf weiteres in Österreich bleiben solle. Das Kind sei "mit der österreichischen Heimat der Mutter und deren Familie stark verwurzelt", auch hätten Gutachten festgestellt, dass es im Fall einer Rückführung nach – damals – zwei Jahren zu einer "erheblichen psychischen Belastung des Mädchens" kommen werde, begründete sie dies. Es werde zu einer "Traumatisierung und nachhaltigen Schädigung" des Kindes führen.

Die Richterin übertrug das Sorgerecht für Diana vorübergehend dem Jugendamt Krems – und beließ der Mutter die Sorge und Erziehung, sodass das Kind bei ihr bleiben konnte.

Keine Einigung der Eltern

Den Eltern, die in tiefer Feindschaft zueinander stehen, trug sie auf, in zehn Beratungen binnen drei Monaten Regelungen zu treffen, um "das Wohl des Kindes den eigenen Interessen voranzustellen".

Doch der Einigungsversuch entpuppte sich als folgenloses Unterfangen. Der Vater legte gegen den Richterspruch Rekurs ein – und gewann. "Der Anschein der Befangenheit ist zu bejahen", urteilte das Landesgericht Krems am 24. November.

Für Jahre im Untergrund

Konkret habe die Bezirksrichterin mit ihrem Sorgerechtsspruch Artikel 16 des HKÜ missachtet, laut dem erst das Rückführungsverfahren abgeschlossen hätte sein müssen.

Das sei schon richtig, sagt Anwältin Vana-Kowarzik. Die Richterin habe jedoch "das Kindeswohl im Auge gehabt". Dieses komme in HKÜ-Causen immer wieder zu kurz, es herrsche "Regelungsbedarf" – vor allem in Fällen, die sich über längere Zeit ziehen, wie es unter Corona öfter geschehe. Tatsächlich sind Fälle einzelner Mütter oder Väter bekannt, die samt Kind zum Teil jahrelang untertauchen, um einer Rückführung des Kindes zu entgehen. (Irene Brickner, 24.1.2022)