Die Favoriten Antonio Costa (links) und Rui Rio trafen sich häufig zu TV-Debatten in den vergangenen Tagen.

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Je näher die Wahl, desto unklarer das Bild. Noch vor wenigen Tagen sahen einige Meinungsforschungsinstitute den sozialistischen Ministerpräsidenten António Costa (PS), der seit 2015 in Minderheit regiert, auf dem Weg zu einer absoluten Mehrheit bei den portugiesischen Parlamentswahlen am Sonntag. Doch nun scheint die Stimmung zu kippen. Herausforderer Rui Rio von der konservativen Sozialdemokratischen Partei (PSD) holt stark auf – kommt es zur Überraschung?

Die Neuwahlen waren nach nur zwei Jahren notwendig geworden, nachdem Premier Costa Ende Oktober mit seinem Haushaltsplan am Parlament gescheitert war. Er hatte die Unterstützung der Parteien links der Sozialisten verloren und bekam so keine Mehrheit.

Alles sah zunächst nach einem weitgehend normalen Urnengang aus. Es schien, als habe Portugal Covid im Griff. Kein Staat hatte so schnell so viele geimpft wie das südwesteuropäische Land. Dann kam Omikron – und änderte alles. An Wahlkampf mit den in Portugal so beliebten "Arruadas" – Kandidatenspaziergänge durch Dörfer und Stadtteile – war nicht zu denken; genauso wenig wie an Großveranstaltungen. Die Parteien hielten stattdessen kleine Meetings mit Sicherheitsabstand im Freien ab.

Das Budget bekam Costa im Herbst nicht mehr durch. Also müssen die Portugiesen zu den Urnen schreiten.
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Der Großteil der Wähler informierte sich in sage und schreibe 31 TV-Debatten innerhalb von nur 14 Tagen. Bis auf eine, an der alle neun Spitzenkandidaten der im Parlament vertretenen Parteien teilnahmen, waren es stets Duelle zweier Parteichefs.

Außer der Debatte zwischen Costa und Rio, die 75 Minuten dauerte, waren alle nur 25 Minuten lang. Für große Themen war da kaum Zeit. Aber zumindest blieb klar, wer mit wem will und wer mit wem kann. Egal ob letztendlich Costa oder Rio die Wahlen gewinnt: Beide brauchen Partner.

Wenig Tiefgang

Der sozialistische Regierungschef wurde lange von den Kräften links der Sozialisten – dem Linksblock (BE) und dem Bündnis aus Kommunisten und Grünen (CDU) – unterstützt. 2015 schlossen die Sozialisten ein schriftliches Abkommen mit den beiden Linksparteien und lösten somit die PSD, die für die Sparpolitik unter der Troika verantwortlich zeichnete, ab.

"Klappergerüst" nannten die Portugiesen Costas Minderheitsregierung, die sich als erstaunlich stabil erwies und Maßnahmen aus der Zeit der Austerität zurücknahm: Mindestlohn, Renten und Gehälter im öffentlichen Dienst wurden erhöht, Steuern für Familien und niedrige Einkommen gesenkt. Besserverdienende wurden stärker zur Kasse gebeten. Die Binnennachfrage wuchs. Die Wirtschaft erholte sich, die Arbeitslosigkeit sank. Portugal verließ den EU-Rettungsschirm früher als erwartet.

Bereits 2019 war Rui Rio Spitzenkandidat. Nun probiert er es wieder.
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Bei den Wahlen 2019 legten die Sozialisten zu und verzichteten fortan auf ein Abkommen mit den Linken. Sie regierten mit wechselnden Mehrheiten, bis sie schließlich am Budget für 2022 scheiterten. Costa hatte nicht einmal versucht, mit den beiden Linksparteien, die unter anderem mehr Geld für das öffentliche Gesundheitswesen, eine weitere Anhebung des Mindestlohns im öffentlichen Dienst und der Renten forderten, zu verhandeln. BE und CDU warfen Costa "Machtarroganz" vor und stimmten mit Nein.

Philosophieren über den Tod

In den TV-Debatten ließ Costa keinen Zweifel daran, dass er lieber nicht mehr auf die Unterstützung von links angewiesen wäre. Doch "es gibt keinen endgültigen Tod, außer es ist der eigene", verkündete er in einer Debatte mit dem Kommunisten Jerómino de Sousa. Sollten die Sozialisten stark genug werden, würde Costa gerne mit den Umwelt- und Tierschützern von der PAN zusammengehen.

Der ehemalige Sport-Moderator Ventura steht der rechten Chega vor – und bringt vor allem die Konservativen unter Druck.
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Diese wiederum verkünden, dass sie sowohl die Sozialisten als auch die Konservativen ins Amt heben könnten. Rui Rio hört das gerne, doch er hat ein Problem. Denn auf seiner Rechten wird laut Umfragen die Chega-Partei von Sportreporter André Ventura stark zugewinnen. "Es ist eine instabile Partei", wirft Rio der extremen Rechten vor.

Er bezieht sich auf die Regionalregierung der Azoren. Dort regieren die Konservativen dank der Chega. Doch Venturas Partei droht immer wieder damit, das Bündnis platzen zu lassen. Und sollte es für eine Regierung in Lissabon reichen, will Ventura gar Ministerposten. Rio lehnt dies entschieden ab. (Reiner Wandler aus Madrid, 28.1.2022)