Die Türkei inhaftierte den Journalisten Deniz Yücel ohne Anklage.

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Straßburg –Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei wegen der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel verurteilt. Die einjährige Untersuchungshaft Yücels wegen angeblicher Terrorpropaganda habe seine Menschenrechte auf Freiheit und Sicherheit sowie auf freie Meinungsäußerung verletzt, heißt es in dem Urteil, das am Dienstag schriftlich verkündet wurde. Yücel nannte das Urteil auf Twitter "gut", in Teilen aber enttäuschend.

Ankara muss jetzt 13.300 Euro Entschädigung an den Journalisten zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Prozessparteien können es innerhalb von drei Monaten anfechten.

Der "Welt"-Korrespondent war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert. Laut den Straßburger Richtern veranlasste ein türkisches Gericht seine Untersuchungshaft wegen des Verdachts, Terrorpropaganda zu verbreiten und zu Hass und Feindseligkeit anzustiften. Dabei stützte es sich auf Artikel Yücels über die Kurden-Politik der türkischen Regierung.

Tauziehen zwischen Ankara und Berlin

Erst nach langem politischen Tauziehen zwischen Ankara und Berlin kam der Deutsch-Türke frei und konnte ausreisen. Im Juli 2020 wurde der Journalist dann in Abwesenheit wegen Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu rund zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Das Verfahren befindet sich in Revision.

In dem Urteil aus Straßburg heißt es nun, es habe keine plausiblen Gründe gegeben, Yücel einer Straftat zu verdächtigen. Die Richter hielten außerdem fest, dass es schädlich für die Meinungsfreiheit in einer Gesellschaft sei, wenn Menschen verhaftet würden, die kritische Meinungen äußerten.

Yücel auch enttäuscht

Yücel begrüßte auf Twitter, dass das Gericht die Rechtswidrigkeit seiner Verhaftung und des Hafturteils festgestellt habe. "Enttäuschend ist hingegen, dass der EGMR keinen Verstoß gegen das Folterverbot festgestellt hat" – trotz der neunmonatigen Isolationshaft und trotz der körperlichen und psychischen Misshandlung, der er drei Tage lang ausgesetzt gewesen sei. Auch habe das Gericht nicht die politische Motivation des Verfahrens festgestellt. Dagegen wolle er Widerspruch einlegen. Das Straßburger Gericht hatte sich mit der Frage der politischen Motiviertheit gar nicht befasst und stattdessen auf die anderen festgestellten Menschenrechtsverletzungen verwiesen.

Besonders seit dem Putschversuch 2016 ist in der Türkei der Druck auf kritische Stimmen massiv, viele Journalisten wurden zu Haftstrafen verurteilt, andere stehen auch heute noch vor Gericht. Erst vergangene Woche wurde eine Journalistin verhaftet, weil sie sich im TV kritisch über Präsident Recep Tayyip Erdogan geäußert hatte. Die Medienlandschaft steht – direkt oder indirekt – fast vollständig unter Kontrolle der Regierung. Der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Róbert Ragnar Spanó, sagte, der Fall Yücel sei vergleichbar mit vielen Beschwerden gegen die Türkei, die sein Haus derzeit bearbeite. (APA, dpa, 25.1.2022)