Das Rote Kreuz kaufte bei der italienischen Oberalp GmbH Schutzmasken – gegen die Firma wird nun wegen Betrugs ermittelt. Die italienische Justiz sieht jedoch die Rolle des Roten Kreuzes kritisch.

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Harry Raithofer auf dem Flughafen Schwechat.

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Die Causa FFP-2-Masken reicht weiter als bisher bekannt. Es geht um mangelhafte Ware, die von der Südtiroler Firma Oberalp über das Rote Kreuz an die Republik geliefert wurde. Im Raum steht schwerer Betrug. In Österreich ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die vor zwei Wochen bei Hausdurchsuchungen Beweismaterial beschlagnahmt hat – auch beim Roten Kreuz, das nicht beschuldigt ist. Zudem lieferten Wirtschafts- und Verteidigungsministerium Daten im Wege der Amtshilfe. Die WKStA setzte mit den Razzien eine Ermittlungsanordnung der Bozener Staatsanwaltschaft um, die bereits seit längerem ermittelt. Sie hat auch Telefonate italienischer Beschuldigter abgehört, darunter auch Gespräche mit heimischen Spitzenbeamten.

Masken als begehrtes Gut

Die Causa beginnt im Frühling 2020, als die um sich greifende Pandemie alle überrumpelte. Die Gesundheitsbehörden suchten verzweifelt nach Schutzausrüstung, Masken waren über Nacht zu einem begehrten Gut geworden. Die Preise stiegen, Behörden aller Länder überboten sich bei der Suche nach Material, das vor allem in China zu finden war.

Da kam die Südtiroler Oberalp ins Spiel. Das Unternehmen hat Partner in China, die dort seine Sportkleidung produzieren. Diese Kontakte habe Oberalp abrufen können, um Schutzmaterial aufzutreiben.

Zuerst bestellten die Südtiroler Sanitätsbetriebe bei Oberalp. Aufgrund der damaligen Materialknappheit am Weltmarkt verlangen die chinesischen Produzenten Vorkassa, Oberalp springt für die Südtiroler Behörden ein. Nachdem die Ware bestellt und bezahlt war, tat sich ein Problem hinsichtlich des Transportes auf: Die Regierung in Rom konnte auf die Schnelle keine Flüge nach China organisieren. Also bat Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) die Regierung in Wien um Hilfe. In "Rekordzeit" habe der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zwei Flüge mit AUA-Maschinen arrangiert, die am 22. März 2020 die Ware in Xiamen abholten und nach Wien brachten. Ein Teil dieser Lieferung blieb in Österreich, der Rest wurde nach Südtirol verfrachtet.

Die Freude über die geglückte Lieferung war groß und wurde dementsprechend inszeniert. Ex-Ö3-Moderator Harry Raithofer am Steuer einer der Boeing 777, vom Bundespräsidenten bis zum chinesischen Botschafter reichte die Schar der Gratulanten. In Südtirol ließen sich Beamtenschaft und Oberalp-Leitung mit der ersten Lieferung ablichten. Die Oberalp selbst titelte in einer Presseaussendung vom 23. März 2020: "Oberalp Gruppe übernimmt Krisenmanagement".

Angebot für Rotes Kreuz "sehr preisgünstig"

Das Angebot von Oberalp wurde auch für das Österreichische Rote Kreuz interessant, das von der Regierung mit der Beschaffung von Schutzmaterial beauftragt worden war. Rechtliche Grundlage dafür sei die "Krisensituation" gewesen, in der sich Österreich damals befunden habe, erklärte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) vor dem Parlament. Rotkreuz-Manager Gerald Foitik sagte dort: "Die Firma Oberalp hat ein Angebot für Schutzmasken gelegt, das zum damaligen Zeitpunkt sehr preisgünstig war."

Danach entwickelte sich die Sache aber ganz anders als erhofft: Schon kurz nach der ersten Lieferung hatte ein hoher Beamter aus dem Verteidigungsministerium schlechte Nachrichten für seinen Kollegen im Wirtschaftsministerium, den zuständigen Mitarbeiter beim Roten Kreuz sowie den Bozener Oberalp-Geschäftsführer: Das Wirtschaftsministerium habe Mängel an den Schutzmasken festgestellt, es dürften "einige weitere Masken getestet werden".

"Zertifikatsfiasko"

Er möge die "Zertifikate schnellstmöglich schicken", bat der Rotkreuz-Mitarbeiter den Oberalp-Geschäftsführer. Der erwiderte, dass er bereits versucht habe, "das Zertifikatsfiasko politisch unter Kontrolle zu bringen"; diesbezüglich hätten sich auch der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, sein Tiroler Pendant Günther Platter sowie der damalige Kanzler Sebastian Kurz (alle Volkspartei) "wohl gehört".

Worum es ging? Die bestellten Masken waren nicht für den gewünschten Zweck, den Einsatz im medizinischen Bereich, geeignet. Das stellten sowohl die Zertifizierungsstelle Dekra als auch das österreichische Amt für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) fest.

"Sehr enge Beziehung" zu Rotem Kreuz

Allerdings: Die Liefervereinbarung zwischen Rotem Kreuz und Oberalp wurde trotzdem geschlossen. Die italienische Justiz führt das laut Unterlagen, in die DER STANDARD Einsicht genommen hat, auf die "sehr engen Beziehungen" zwischen Oberalp-Chef und "Führungskräften des Roten Kreuzes" zurück. Die hätten ihm "vertraulich Details preisgegeben", mit denen man versucht habe, das Problem zu lösen.

Die Argumente dafür stammen aus E-Mails und offenbar von Telefonüberwachungen. Am 27. März kündigte der Beamte im Verteidigungsministerium dem Oberalp-Chef an, dass sich der ARWT-Leiter wegen der Maskenprüfungen bei ihm melden werde. Da tat sich jedoch ein Problem auf, denn der für den nächsten Tag geplante Flug von China nach Wien war gestrichen worden, wie der Oberalp-Chef dem Beamten per SMS mitteilte. Fazit: Man verfüge daher über keine Schutzmasken für die Tests. Daher schlug er dem ARWT-Leiter vor, ihm Maskenproben mit dem Zug nach Wien zu bringen, und fragte, wie viele Proben aus wie vielen Kartons er brauche. Pech am Rande: Irrtümlich schickte er diese Whatsapp-Nachrichten an eine AUA-Mitarbeiterin.

Prüfbericht "unter Verschluss"

Am 29. März beruhigte der Oberalp-Chef seine Mitarbeiter per Mail: Er habe mit dem Beamten im Verteidigungsministerium telefoniert, und der Prüfbericht bleibe "unter Verschluss". Mit in der Leitung waren freilich die italienischen Ermittler. Laut Verteidigungsministerium sei gemeint, dass "kein Prüfbericht des ARWT öffentlich publiziert" werde, "weil jeder einzelne Kunde ein originäres Anrecht auf den Prüfbericht hat".

Kurz danach hatte man mit der Oberalp einen Vertrag für 20 Millionen Atemschutzmasken abgeschlossen. Kaufpreis: 26,6 Millionen Euro. Ende Mai diskutierten ein Rotkreuz-Mitarbeiter und der Oberalb-Chef dann die Verwertung der mangelhaften Masken und einen befürchteten Vertragsausstieg des Wirtschaftsministeriums, wieder hörten die Carabinieri zu. In den Raum gestellt wurde etwa ein Ankauf der Masken durch Wirtschaftskammer oder Polizei sowie eine Klagsdrohung gegen die Republik, sollte das Wirtschaftsministerium aus dem Vertrag aussteigen. Dadurch sollte "der Druck" erhöht werden, denn die beiden gingen davon aus, dass die Politik "keine negativen Schlagzeilen" wollte.

Was hatte das Rote Kreuz davon, Oberalp entgegenzukommen? Laut italienischen Ermittlern ging es um zwei Millionen Euro Provision, die ihm von der Bundesregierung für diverse Vorfinanzierungen und Bedeckungsbeitrag versprochen worden war. "Es ist korrekt, dass das Rote Kreuz 1,5 Prozent für seinen Arbeitsaufwand verrechnet hat, das ist weit unter den üblichen Marktpreisen. Es gibt noch keine Endabrechnung. Die Behörde prüft noch", heißt es vom Roten Kreuz.

Wieder und wieder mangelhafte Masken

Laut Unterlagen stand es tatsächlich Spitz auf Knopf: Das Ministerium wollte vom Vertrag zurücktreten. Inzwischen waren weitere mangelhafte Masken geliefert worden. In einer Krisensitzung am 2. Juni 2020 handelten Vertreter der Republik Österreich, der Oberalp sowie Gerald Foitik vom Roten Kreuz einen Kompromiss aus: Das Rote Kreuz beteuerte, die Oberalp Austria GmbH sei ein zuverlässiger Partner, die Masken seien von besonders hoher Qualität und zur Verwendung im medizinischen Bereich geeignet – auch wenn die chinesische Regierung das anders sehe. Und: Das Rote Kreuz soll beteuert haben, eine Preisreduktion für 1,5 Millionen bereits gelieferte Masken ausgehandelt zu haben. In der Folge wurde der Vertrag abgeändert und weitere zehn Millionen Masken bestellt.

Die kamen Ende Juni 2020 in zwei Tranchen in Österreich an. Das Rote Kreuz schickte aber nur 25 Stück aus der ersten Tranche zur Überprüfung an das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen. Die waren okay, daraufhin wurden alle zehn Millionen Masken an die Bundesländer verteilt. Im Herbst dann der Schock: Die Masken von Ende Juni wiesen doch schwerwiegende Mängel auf und mussten aus dem Verkehr gezogen werden. Auch von der Preisreduktion fehlte jede Spur. Insgesamt hat die Republik 41,5 Millionen Euro an die Oberalp bezahlt; rund 15 Millionen davon für Atemschutzmasken.

Finanzprokuratur zeigte an

So argumentiert die Finanzprokuratur, die Anwältin der Republik, die all das zum Anlass genommen hat, die Causa bei der WKStA anzuzeigen. Man habe 11,7 Millionen mangelhafte Masken bekommen, und Oberalp sei nicht bereit gewesen, den Kaufpreis zurückzuzahlen, erklärt Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur. Zudem gebe es Verdachtsmomente, Österreich sei ab Juni 2020 getäuscht worden. Die Finanzprokuratur hat sich dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen, um allenfalls Schadenersatz zugesprochen zu bekommen.

Die Involvierten bestreiten die Vorwürfe. Die Oberalp gibt an, den Erwerb nur "vermittelt und vorfinanziert" zu haben. Die Firma könne "ihre Enttäuschung und Verbitterung nicht verbergen" und stehe noch immer "mit erheblichen Beträgen in Vorleistung". Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Oberalp weist Vorwürfe zurück

Der Präsident von Oberalp und Vertreter der Eigentümerfamilie, Heiner Oberrauch, hat am Mittwochvormittag in einer Presseaussendung* erklärt, dass das Unternehmen im guten Glauben gehandelt habe und überzeugt sei," jegliche, ungerechtfertigte Anschuldigung (... ) widerlegen zu können". Er betonte zudem, dass er die Verantwortlichen des Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) nicht kenne und auch nie mit ihnen gesprochen oder telefoniert habe.

Auch der Geschäftsführer des Bozener Unternehmens habe die ÖRK-Spitze nicht gekannt, "bis sie ihn kontaktiert" habe. Zudem wies Oberrauch in der Mitteilung noch einmal darauf hin, dass Oberalp die Importe aus China nicht getätigt, sondern "in einer Notsituation nur dringend benötigte Warenlieferungen vermittelt" habe und die Qualitätskontrolle "dem Roten Kreuz selber oblag". (Renate Graber, Fabian Schmid, Steffen Arora, 25.1.2022)

*Der Artikel wurde am 26.1. , 11 Uhr, um die Stellungnahme von Oberalp-Präsident Oberrauch ergänzt.