Newcomer mit viel Fahrgefühl: Alana Haim und Cooper Hoffman als "odd couple" in "Licorice Pizza".

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Wer auf eine schon halb versunkene Ära zurückblickt, ist nie ganz davor gefeit, in den Armen der Nostalgie zu landen. Das beginnt bei der Musik, bei solchen Evergreens wie Suzi Quatros Stumblin’ In oder Life on Mars von David Bowie; allerdings kommt es auch darauf an, was man dazu zeigt. Zu Bowies träumerisch entrückter Nummer sind in Licorice Pizza etwa die Auswirkungen der Ölkrise von 1973 auf die Straßen von Los Angeles zu sehen; also lange Staus vor den Tankstellen, ein unwirklicher, zugleich aber auch willkommener Ausnahmezustand, zumindest für die beiden halbwüchsigen Helden des Films. Nostalgie fühlt sich anders an: schmerzlicher, süßer, klebriger.

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Dabei heißt "Licorice Pizza" wörtlich übersetzt tatsächlich "Lakritzenpizza". US-Regisseur Paul Thomas Anderson hat dabei aber an keine Süßigkeit gedacht, sondern an eine Plattenladenkette mit selbigem Namen, die im Film gar nicht vorkommt. Es handelt sich wohl mehr um eine Metapher für ein Lebensgefühl, das mit der Haptik und dem Klang von Vinyl genauso viel zu tun hat wie mit den verstreuten Geschichten des Kinos und einem Zustand des Driftens. Ziele werden energisch verfolgt und schnell wieder verworfen. Jung zu sein bedeutet in diesem Film, an einem Tag für einen idealistischen Nachwuchspolitiker (Benny Safdie) zu arbeiten und am nächsten Wasserbetten zu verchecken.

In Bewegung ist der Film von Anfang an. Es ist einer dieser grandiosen Einstiege, die sich sofort ins Gedächtnis einbrennen (in Andersons Filmen, man denke nur an The Master (2013), gibt es einige davon). Wir sehen Cooper Hoffman, dem Sohn des 2014 verstorbenen Philip Seymour Hoffman, als Gary Valentine eine Plansequenz lang dabei zu, wie er Alana (Alana Haim) mit allen ihm zu Verfügung stehenden Mitteln des Blendens zu beeindrucken versucht. Der Charme der Szene liegt in der Selbstsicherheit des männlichen Teenagers und der Schnoddrigkeit seines Gegenübers: Er ist 15 Jahr alt, und die junge Frau, die seine Avancen zuerst recht unverblümt, dann aber zunehmend verhaltener zurückweist, immerhin schon 25. In diesem Alter eine eigentlich unüberwindbare Hürde.

Kubistisches Zeitbild

Nun könnte man sagen, es hat schon seltsamere Paare gegeben, etwa das in Harold & Maude (1971) von Hal Ashby, einem Regisseur, den Anderson im Herzen trägt. Gary und Alana werden in Licorice Pizza jedoch ohnehin mehr zu platonischen Freunden – wer’s halt glaubt! – und für die lose durchs San Fernando Valley von L.A. mäandernde Erzählung des Films zu einer der beliebtesten Anlaufstellen. Wenn Punch-Drunk Love (2002) die Gattung "Liebesfilm" ins Skurril-Kauzige verzerrte, dann erweitert Anderson diesmal die romantische Komödie zum kubistischen Zeitbild.

Nicht wenige der Anekdoten darin sind historisch verbürgt, die Figur von Gary etwa, der sich als blutjunger Unternehmer ständig neu erfindet, basiert auf Gary Goetzman, der sich vom Kinderstar zum Produzenten und schließlich zum Besitzer eines Flippersalons wandelte. Hoffman spielt seine Variation dieses notorisch optimistischen Möchtegernkapitalisten mit einem Frohsinn, dem man nicht widerstehen kann. Alana Haim, die bisher mit ihren Schwestern als Trio Haim Popmusik machte – Anderson drehte schon das eine oder andere Video –, steht ihm in nichts nach, ganz im Gegenteil: Eine geborene Performerin, erobert sie ihre Szenen mit großer Kaltschnäuzigkeit. Und beide haben Charaktergesichter, diese kleinen, markanten Unebenheiten, die man im US-Kino mittlerweile viel zu selten sieht.

Ambitionen und Erfolgsbilder

Licorice Pizza erzählt davon, wie Gary und Alana nicht voneinander loskommen. Immer wieder spannt er sie für seine Ideen ein, um ihr zumindest auf diese Weise nah zu sein; sie genießt das einerseits, dann ist sie wieder von seiner unreifen, großspurigen Art genervt. Aber die Kreise, die Anderson – und zwar ganz gelassen, ja beiläufig – zieht, gehen über Zwischenmenschliches hinaus: Wiederholt streift er auch die Ränder der Unterhaltungsindustrie, wo sich Ambitionen an Erfolgsvorstellungen reiben. In den Sackgassen der Selbstsuche endet die Unschuld; einmal gerät Alana nahe an einen alternden Star heran (Sean Penn als William-Holden-Verschnitt), eine Szene, die sublim bedrohlich wirkt.

Die Abschweifungen machen in der Summe den Reichtum dieses großartigen Films aus. Anderson folgt keinen Drehbuchmaximen, sondern längst seiner eigenen Dramaturgie. Er nimmt sich dabei viele Freiheiten. Die abendliche Lieferung eines Wasserbetts an eine vornehme Adresse gerät zur mit Abstand längsten Szene des Films, in der man auch einen aufgebrezelten Bradley Cooper als Barbra-Steisand-Lover zu sehen bekommt. Den Höhepunkt der Szene bildet jedoch Alanas souveräne Lkw-Fahrt – rückwärts abschüssig. Nostalgisch? Vielleicht. Auf verquere Weise. (Dominik Kamalzadeh, 26.1.2022)