Lady Wray ist Vertreterin eines seit Jahren anhaltenden Soul-Revivals, ihr Album "Piece Of Me" ein Beleg, dass diese Musik zeitlos relevant und verführerisch ist.

Foto: Sesse Lind

Schon die Eröffnungsnummer offenbart, da hat jemand Erfahrung. Lady Wray fällt nicht mit der Tür ins Haus, sie betritt ihr Album Piece Of Me nachgerade. Eine Lady eben. Sie schleicht in träger Eleganz durch den Opener, wissend, dass sie auf diese Art mehr Aufsehen erregt als mit hochgepitchter Aufregung. Die entlädt sich oft unreif früh, und dann kommt nix mehr, nur Enttäuschung. Man kennt das aus dem zwischenmenschlichen Bereich.

Lady Wray ist eine "old cat", und das meint nicht ihr Alter. Aber sie ist lange dabei, kennt die Aufregung aus dem Backgroundchor von Missy Elliotts erstem Album, weiß, was Hits bedeuten, kennt die Ochsentouren, die sie bringen. Und sie kennt die großen Namen im Geschäft, mit vielen hat sie gearbeitet.

Ihre Biografie liest sich dementsprechend und reicht von Kollaborationen mit dem früh verglühten Wu-Tang-Clan-Rapper Ol’ Dirty Bastard über Big Boi von OutKast zu den Blues-Rockern Black Keys und deren Nebenprojekt Blakroc, auf dem die beiden Bleichgesichter aus Ohio gemeinsame Sache mit einer Riege von Hip-Hoppern machten, mit Größen wie RZA, Mos Def oder Q-Tip – und eben Lady Wray. Aber das ist lange her.

Vorabspeichel

Mittlerweile unterhält die 42-Jährige eine Solokarriere und hat sich vom Irrsinn der frühen Jahre zu jener Dame gewandelt, die im Künstlernamen das "Lady" bestätigt. Als solche veröffentlicht sie am Freitag dieser Woche das Album Piece Of Me. Bereits die vorab veröffentlichte Single Under The Sun machte speicheln und zeigte die als Nicole Monique Wray geborene US-Amerikanerin in Bestform. Piece Of Me löst dieses Versprechen nun vollumfänglich ein.

Big Crown Records

Wray hat einen Transformationsprozess hinter sich. Aufgewachsen in der goldenen Ära des Hip-Hop in den 1990ern, wandte sie sich zusehends den Vorläufern dieser Kunstform zu: Soul und Funk. Erstmals größeren Eindruck hat sie mit dem Projekt Lady hinterlassen, das sie mit der ziemlich obersteirisch getauften Britin Chanelle Gstettenbauer – no shit! – alias Terri Walker betrieben hat. Doch kurz nach dem 2013 erschienenen Debüt verließ Walker die Band schon wieder, ein paar Überlegungen später war Lady Wray geboren.

Mittlerweile zählt sie zu den großen Namen eines Soul-Revivals, das in den Nullerjahren mit Labeln wie Daptone, Truth & Soul oder Big Crown eingesetzt hat. Diesem Soziotop entstammt auch der Mann, der ihr neues Album produziert hat, Thomas Brenneck.

Der ist der Chef der Instrumental-Combo Menahan Street Band, spielte bei Sharon Jones & the Dap-Kings und der Budos Band. Und: Er war federführend verantwortlich für die Karriere des spät im Leben weltberühmt gewordenen Soul-Tragöden Charles Bradley. In besseren Händen kann man sich kaum befinden, wenn man klassischen Soul und Funk spielt und, wie Wray, dieser Musik einen zeitgenössischen Touch verleihen möchte.

Keine Kinderjause

Aber natürlich ist Soulmusik keine Kinderjause, es ist Erwachsenenmusik, die ohne die Erfahrung von Schrammen seitens des Lebens nicht ihre Wirkung entfaltet. Wray aber kennt "ups and downs", privat wie beruflich. Diese überträgt sie in abwägende Songs, deren Schwebezustand sie stimmlich abbildet: Ihr Soul ist kein expressionistisches Shouting, kein sich in Schmerzen windender Existenzialismus.

Big Crown Records

Meist im Midtempo behandelt sie ihre Themen; diese sind, no na, die Liebe, die Verheißungen, die sie bringt, und ihre Enttäuschungen sowie die Segnungen der Mutterschaft. "Life is what you make of it", scheint als Botschaft in vielen Songs mitzuschwingen.

Brenneck und die anderen Hintermänner betten ihre Stimme auf subtile, weiche Klangpolster: Zärtliche Bläser, funky Snare-Trommel, Piano in Moll und ähnliche Kunstgriffe des Fachs geben Wray Raum für ihren Vortrag. Jeder scheint genau zu wissen, was zu tun ist, das Ergebnis ist ein naturlässiges Werk, das beides ist: auf Höhe der Zeit und von zeitloser Schönheit. Karl Fluch, 26.1.2022)