Die ersten Impfungen gegen das Coronavirus fanden zum Jahreswechsel 2020/2021 in Alters- und Pflegeheimen statt. Doch manche Bedienstete ließen sich bis heute nicht zum Stich bewegen.
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Mit der jüngst beschlossenen Impfpflicht sind nicht nur die grundsätzlichen Gegnerinnen und Gegner unzufrieden. Es gibt auch Stimmen, denen das neue Gesetz zu wenig weit reicht. "Was die Gesundheitsberufe betrifft", sagt Sigrid Pilz, "fällt die allgemeine Impfpflicht hinter die Pläne der Politik aus dem Herbst zurück."

Pilz, Wiens Pflege- und Patientenanwältin, spielt damit auf das damalige Vorhaben des Gesundheitsministeriums an, eine Impfpflicht für alle Bediensteten in Gesundheitsberufen einzuführen. Laut den Erläuterungen zu dem Gesetzesentwurf vom November hätten Impfverweigerer in Pflegeheimen oder Spitälern in letzter Konsequenz ihren Job verlieren können. Doch als die Regierung die Idee der Impfpflicht für alle entdeckte, war der Plan passé.

Der Gesetzesentwurf vom Herbst hätte Dienstgebern eine Handhabe verschafft, die Impfung "zur unabdingbaren Pflicht" zu machen, erklärt Pilz. Nun aber könnten die Betreiber der Gesundheitseinrichtungen nichts tun, wenn Bedienstete – sofern sie bei den vorerst geplanten Stichproben überhaupt erwischt werden – eine Pönale in Kauf nehmen oder diese per Einspruch bekämpfen. Denn am Arbeitsplatz könnten sich Impfunwillige auf die nach wie vor geltende 3G-Regel berufen: "Das ist völlig unzureichend."

Patientenvertreterin Sigrid Pilz hält die Form der Impfpflicht für "unzureichend".
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Zwar dürfte die Impfrate beim Gesundheitspersonal im Schnitt höher liegen als allgemein betrachtet. Doch immer noch gebe es Pflegeheime, wo "Meinungsmacher" dafür sorgten, dass viele, in Einzelfällen bis zur Hälfte der Bediensteten, ungeimpft seien, sagt Pilz: "Und ich sehe nicht, dass die allgemeine Impfpflicht viel daran ändern wird."

Im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen sei das neue Gesetz "gewissermaßen ein Rückschritt", sagt auch Pilz’ Kollege Gerald Bachinger: Die allgemeine Impfpflicht und die 3G-Regel widersprächen sich, "denn niemand kann sich als Persönlichkeit spalten". Zwar sieht Niederösterreichs Patientenanwalt im Krankenanstaltengesetz einen Hebel, um bereits jetzt auch dem bestehenden Personal eine Impfung vorzuschreiben. Doch das im Herbst geplante Gesetz hätte diesen verstärkt.

Unklare Regelung

Eindeutig sei die Rechtslage nicht, sagt der juristisch versierte Direktor der Arbeiterkammer Wien, Christoph Klein. Er verweist auf die Covid-Maßnahmenverordnung: Demnach dürfen Mitarbeiter Spitäler, Heime und sonstige Gesundheitseinrichtungen nur betreten, wenn sie entweder geimpft oder genesen sind oder einen negativen PCR-Test vorlegen. In einem anderen Paragrafen heißt es aber: Geht es um den "Nachweis einer geringen epidemiologischen Gefahr", könnten "in begründeten Fällen (...) strengere Regelungen vorgesehen werden". Die Verordnung, sagt Klein, "lasse die letzte Klarheit vermissen".

In dem von den Grünen geführten Gesundheitsministerium findet man das nicht. Arbeitsrechtlich könnten schon jetzt Impfungen vorgeschrieben werden, so die Auskunft.

Angst vor Klagen

Sozialorganisationen, die Pflege-, Behinderten- oder Obdachloseneinrichtungen führen, ziehen das in Zweifel. Eklatant sei der Mangel an Rechtssicherheit, so die Kritik.

Einerseits seien endlose arbeitsrechtliche Prozesse zu befürchten, wenn sie Bedienstete mangels Impfung kündigten. Andererseits könnten Patienten unter Berufung auf die Impfpflicht klagen, wenn sie von ungeimpften Betreuern angesteckt werden. Der Gesetzgeber müsse klarstellen, dass die Haftung in dem Fall nicht an Heimbetreibern und Co hängenbleibt, sagt Caritas-Geschäftsführer Alexander Bodmann, der für den Arbeitgeberverband mehrerer Organisationen spricht. Auch er urteilt: Im Vergleich zum Entwurf vom Herbst sei das Impfpflicht-Gesetz "ein Rückschritt". (Gerald John, 26.1.2022)