Die Kathedrale von Reims in Frankreich, deren Dachstuhl hier zu sehen ist, hat eine wechselvolle Geschichte: Erbaut wurde sie im 13. und 14. Jahrhundert, das Dach wurde allerdings vor allem bei einem Brand im Jahr 1481 und einem Beschuss im Ersten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen. 2019 erhielt die Kirche Verstärkungen aus Beton.
Foto: François Nascimbeni

Als nachwachsende Rohstoffe gewinnen Bäume wieder stärker an Bedeutung. Jahrtausendelang ist Holz eines der wichtigsten Materialien – weshalb es auch in historischen Forschungsfragen eine wichtige Rolle spielt. Ein europäisches Forschungsteam veröffentlichte nun in der Fachzeitschrift "Frontiers in Ecology and Evolution" eine umfangreiche Studie, in der es den sozioökonomischen Wohlstand im Zeitraum von 1250 bis 1699 untersucht hatte – und zwar anhand von Holz.

Durch das Abzählen der Jahresringe lässt sich Holz, das in historischen Gebäuden verbaut wurde, nämlich sogar aufs Jahr des Baumfällens genau datieren. In der schlagkräftigen Studie bestimmten die beteiligten Fachleute, wann genau sich mehr als 54.000 Stücke Bauholz aus dem Spätmittelalter und der frühen Neuzeit zeitlich verorten lassen. So verglichen sie Veränderungen in der Bauaktivität verschiedener Regionen – von Großbritannien über Skandinavien und Zentraleuropa bis nach Frankreich und die Benelux-Staaten.

Aus Gebäuden wie diesen Blockhäusern im Schweizer Kanton Wallis (Lötschental) gewannen die Forschenden Daten über bautechnisch produktive Jahre.
Foto: Willy Tegel

Dies funktioniert aber nicht bei jedem beliebigen Schnittholz. Der äußerste Teil, die sogenannte Waldkante oder Baumkante, muss erhalten sein, damit der jüngste Jahresring am Rand erkennbar ist. Auf diese Weise bestimmte das Forschungsteam, wann die Bäume – es handelte sich um Holz von Eichen, Tannen, Kiefern, Lärchen und Fichten – gefällt wurden. Über das Wachstumsprofil, das in einer Region mit ähnlichem Klima im Laufe der Zeit ein spezifisches Muster bildet, sind sie relativ gut einzuordnen.

Neubau und Bergbau

Das Forschungsteam suchte allerdings auch verfügbare historische Daten, die etwas über wirtschaftliche und Umweltbedingungen verraten können: Preise für Getreide und Wein oder Aufzeichnungen über den Grundwasserspiegel zeigen, ob in bestimmten Jahren die Ernten gut ausfielen und daher ein größerer Wohlstand vorherrschte.

Im 16. Jahrhundert entstand die Kapelle von Saint-Denis im elsässischen Marmoutier/Maursmünster, die ebenfalls Holzdaten für die Studie lieferte.
Foto: Willy Tegel

Oft passten die Baudaten gut zu anderen Indikatoren. Die Getreidepreise, die ein guter Marker für den Verlauf üppiger und entbehrungsreicher Jahre sind, hängen mit emsigen oder schwachen Bauphasen zusammen. Viele hölzerne Neubauten entstanden auch in Jahren, in denen sich in Alpen und Arktis mehr Blei im Eis ablagerte – das deutet auf intensiven Bergbau hin.

Einbruch im Dreißigjährigen Krieg

In die Baumringe eingeschrieben waren Phasen des Booms im späten 13. Jahrhundert und um 1500, zur schwierigen Zeit des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) ging die Bautätigkeit in ungekanntem Ausmaß zurück, sagt einer der Erstautoren, Fredrik Ljungqvist von der Universität Schweden. In vielen Regionen Deutschlands hängt der Grad des Rückgangs sogar eng mit der Zahl der Kriegstoten und den entsprechend eingebrochenen Bevölkerungszahlen zusammen.

Krisen wie die Pest zeichneten sich auch in der baulichen Produktivität ab, wie die Forschungsarbeit beschreibt (die grünen Jahresbalken zeigen eine eher über- oder unterdurchschnittliche Anzahl neuer Holzbauten bzw. gefällter Bäume). Besonders eindrücklich zeigt das der Dreißigjährige Krieg: Zu dieser Zeit ließ die durchschnittliche Bautätigkeit sehr deutlich nach.
Grafik: F. Ljungqvist, A. Seim, W. Tegel et al.

"Das zeigt, dass die von uns rekonstruierte Geschichte der Bauaktivität die demografischen Veränderungen genau einfängt", sagt der Historiker und Geograf. Auch in besonders kalten Phasen – zur Zeit großer Gletscherausdehnungen in den Alpen im 14. und 17. Jahrhundert, während der sogenannten Kleinen Eiszeit – wurde relativ wenig gebaut.

Parameter von Knochen bis Kot

Damit liefert die Studie mit fast 60 beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die unter anderem an der Wiener Boku und der Universität Innsbruck forschen, eine gute Grundlage für eine weitere Proxy-Variable – auf die sich historische, ökonomische und ökologische Forschung abseits von schriftlichen Aufzeichnungen stützen kann. Bereits jetzt werden etwa die Anzahl von Schiffswracks in einer bestimmten Phase als Maß für intensive Handelsbeziehungen herangezogen, Skelettdaten für Gesundheit und Lebensbedingungen. Vor wenigen Tagen wurde auch eine kreative Forschungsarbeit veröffentlicht, die Fäkalien im Meeresboden als Parameter zur Abschätzung von Bevölkerungswachstum und intensiver Landwirtschaft vorschlägt.

Und wie Exkremente, Skelette und Schiffe, können "Baumfällungsdaten aus archäologischem Material, das über Jahrtausende hinweg konserviert werden kann, neue Erkenntnisse über die Siedlungsdynamik in prähistorischen Zeiten liefern, aus denen es keine schriftlichen Quellen gibt", sagt Erstautorin und Forstwissenschafterin Andrea Seim von der Universität Freiburg in Deutschland und der Uni Innsbruck. (sic, 29.1.2022)