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Boris Johnson verlässt Downing Street Nr. 10 am Mittwoch in Richtung Parlament.

Foto: AP Photo/Matt Dunham

London – In der Affäre um Lockdown-Partys in Boris Johnsons britischem Regierungssitz rückt die Stunde der Aufklärung näher. Am Mittwoch könnte der Untersuchungsbericht vorgelegt werden, für den die Spitzenbeamtin Sue Gray über Wochen Beweise gesammelt und Zeuginnen und Zeugen befragt hat, wie britische Medien berichteten.

Der Premier selbst soll den Bericht zuerst bekommen und dann wenige Stunden später der Öffentlichkeit vorlegen, wie der Sender ITV berichtete. Bei der wöchentlichen Befragung im Parlament (PMQs) deutete Johnson an, dass er den Bericht noch nicht bekommen habe: "Wenn ich ihn erhalte, werde ich tun, was ich versprochen habe", sagte er vage auf die Frage, ob der Bericht zur Gänze veröffentlicht wird. Ein Sprecher Johnsons bestätigte danach, dass der Bericht noch nicht vorliege – und er könne auch nicht sagen, wann das das Fall sein werde.

Außenministerin Liz Truss ließ am Mittwoch, ebenso wie zuvor Johnson, offen, ob der gesamte Bericht veröffentlicht wird. Je nach Inhalt könnten "Sicherheitsbedenken" vorliegen, die eine Veröffentlichung von Teilen des Berichts "problematisch" machten. "Aber wir werden die Ergebnisse des Berichts jedenfalls veröffentlichen", versprach Truss im TV-Sender Sky News am Mittwoch.

Rücktritt abgelehnt

Einen Rücktritt schloss Johnson im britischen Unterhaus jedenfalls erneut aus. Auch sagte der Premier, er könne die laufenden polizeilichen Ermittlungen nicht kommentieren. Polizeipräsidentin Cressida Dick hatte solche am Dienstag angekündigt. Zwar würden minderschwere Gesetzesverstöße normalerweise nicht rückwirkend untersucht – hier aber bestehe die Gefahr, dass "die Legitimität des Rechtsstaates unterminiert" worden sei. Der Fokus der Polizei liege allerdings nur auf einem Teil der Lockdown-Partys, erläuterte Dick. Dabei ließ sie offen, ob dazu auch jene gehören, an denen zweifelsfrei der Premierminister selbst teilgenommen hatte.

Mehrere Weihnachtsfeiern, eine Geburtstagsrunde, eine Gartenparty und nächtliche Besäufnisse vor dem Begräbnis von Prinz Philip: Die Liste der mutmaßlich illegalen Zusammenkünfte in Downing Street Nr. 10 ist lang geworden. Der Bericht von Sue Gray soll klären, wer wann wo, wie oft und wie lange mit wem gefeiert hat.

Von den Ergebnissen hängt nicht weniger als Boris Johnsons politisches Überleben ab: Rund ein halbes Dutzend Tory-Abgeordnete haben bereits öffentlich den Rücktritt des Premiers gefordert. Von vielen anderen heißt es, sie wollten den Bericht abwarten.

Neue Fragen

Dabei wird Johnson nicht helfen, dass am Mittwoch der nächste Skandal auftauchte, in dem der Premier offenbar die Unwahrheit gesagt hat. Dabei geht es um eine heftig kritisierte Rettungsaktion für Tiere während der Taliban-Machtübernahme in Kabul im August 2021. Während sich zehntausende Menschen verzweifelt um den Flughafen versammelt hatten, um einen der Evakuierungsflüge zu erreichen, versuchte damals der ehemalige Soldat Pen Farthing neben 25 Mitgliedern seiner NGO auch 173 Hunde und Katzen des Tierschutzheimes Nowzad außer Landes zu bringen.

Nach einem Streit mit Farthing, in dem das britische Verteidigungsministerium ihm unter anderem vorwarf, die Evakuierungsbemühungen für Menschen zugunsten seiner Tiere zu behindern, unterstützte die Royal Air Force Ende August doch den Abtransport von Mensch und Tier mit einem von Farthing gecharterten Flugzeug. Während die Tiere ausgeflogen wurden, verweigerten die Taliban aber den afghanischen NGO-Mitarbeitern die Ausreise. Vorwürfe an Johnson, er habe sich hinter den Kulissen für die NGO eingesetzt, womöglich auf Bitten seiner in Tierschutzfragen sehr aktiven Ehefrau, wies dieser dezidiert zurück. Eine nun aufgetauchtes E-Mail-Serie scheint diese Darstellung aber infrage zu stellen. Schon zuvor hatte im Dezember ein anonymer Whistleblower vor dem außenpolitischen Ausschuss im Unterhaus ähnliche Vorwürfe vorgebracht.

Vertrauen unsicher

Sprechen ihm mindestens 15 Prozent der konservativen Abgeordneten – das sind 54 Personen – das Misstrauen aus, muss sich der Premier einer Vertrauensabstimmung unter den Abgeordneten seiner Partei stellen. Gewinnt er diese, kann der nächste parteiinterne Anlauf zur Absetzung erst wieder nach zwölf Monaten stattfinden. Verliert er, müsste in einem parteiinternen Entscheidungsprozess ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gefunden werden. Johnson würde bis dahin vorerst weiter amtieren. Wie viele geheime "No Confidence-Letters" bei Graham Brady, dem Vorsitzenden des zuständigen Komitees, schon jetzt eingegangen sind, weiß außer diesem niemand. (maa, APA, 26.1.2022)