Wien/Berlin – Auch in Deutschland explodieren wegen Omikron die Corona-Infektionszahlen, die Gesundheitsämter sind überlastet und die PCR-Tests knapp. Nur noch ausgewählte Gruppen sollen Anspruch auf einen PCR-Test haben.

Im Vergleich zu Deutschland wird in Österreich viel häufiger per PCR getestet – und zwar vor allem in Wien, wo allein mehr PCR-Tests durchgeführt werden als in ganz Deutschland. Jetzt überlegt die Firma Lead Horizon, die die Logistik rund um die PCR-Testkits innehat, wie berichtet, nach Deutschland zu expandieren. Es gebe Gespräche mit deutschen Labors, die die PCR-Tests auswerten könnten, aber noch keine konkreten Angebote, heißt es.

Deutsches Ministerium irrt

Wie die PCR-Tests in Wien funktionieren, dürfte in Deutschland aber nicht überall bekannt sein. Auf entsprechende Medienberichte machte unter anderen die Politikwissenschafterin Natascha Strobl auf Twitter aufmerksam.

So spricht Oliver Ewald, Sprecher des deutschen Gesundheitsministeriums, über "Lollipoptests", die in Österreich durchgeführt würden. Diese hätten "keine ausreichende Aussagekraft in Hinblick auf die Infektionslast", wie Tilo Jung hier in diesem Ausschnitt aus einer Pressekonferenz am Montag festhielt. Später relativierte Ewald seine Angaben in Bezug auf die Aussagekraft.

Dazu die Fakten

Die im Rahmen von "Alles gurgelt" in Wien verwendeten PCR-Tests sind keine Lollipoptests, sondern – wie schon der Name verrät – Gurgeltests. Insofern handle es sich bei dieser Kritik um eine "Themenverfehlung", sagt Mario Dujaković, Sprecher von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ).

PCR-Lollipoptests kommen österreichweit derzeit nur bei einem Testlauf in 46 Wiener Kindergärten zum Einsatz. Hier geht es darum auszuprobieren, ob ein Lollipop mit Traubenzuckerumhüllung bessere Speichelproben liefert als bisher gebräuchliche Umhüllungen.

Andere, etwa in Deutschland benutzte, PCR-Lollipoptests nämlich hätten keine überzeugenden Ergebnisse erbracht, da es den Getesteten nicht gelungen sei, die Zellulose auf dem Lollipop ausreichend einzuspeicheln, erläutert Dujaković.

Hamburger Missverständnisse

Der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) – hier nachzusehen in der ARD-Mediathek –, sagte, dass in Wien "PCR-Diagnostik nicht über die professionellen Labore, sondern über Drogerien und ähnliche Anbieter" angeboten werde. Das sei in Deutschland nicht so einfach.

Dazu die Fakten

Die Wiener "Alles gurgelt"-Tests werden allesamt in Labors ausgewertet, die Diagnostik findet dort statt, entgegnet Dujaković. Rechtlich sei das gar nicht anders möglich, da es sich dabei um Medizinprodukte handle.

Die Logistik ist von der Diagnostik unabhängig. Ausgegeben und wieder eingesammelt werden die "Alles gurgelt"-Testkits in Filialen der Drogeriekette Bipa, Abgabeboxen gibt es aber zum Beispiel auch in Supermärkten und Tankstellen. Insgesamt existieren in Wien an die 700 Abgabestellen.

Mischung von Tests, die es gar nicht gibt

In der Nachrichtensendung "Phoenix – der Tag" vom Montag werden die Wiener PCR-Tests als "eine Mischung zwischen Schnelltest und PCR-Test" bezeichnet. Sie würden nicht in Laboren untersucht.

Dazu die Fakten

In Wien funktioniert zwar die Testauswertung schnell, doch mit Schnelltests, etwa auf Antigenbasis, die binnen 15 Minuten Ergebnisse anzeigen, hat das nichts zu tun. Es handelt sich um herkömmliche, gründliche, EU-weit zertifizierte PCR-Tests.

Die im Durchschnitt nur 16 Stunden, die zwischen Probenabgabe und Verständigung über das Resultat vergehen, sind aufgrund der Organisation der Probenauswertung möglich. In den Labors der beauftragten Firma Life Brain arbeiten zurzeit 1.600 Personen unter der Anleitung von Ärztinnen und Ärzten.

Die Proben werden in extragroßen Maschinen aufbereitet – und zwar jeweils immer zehn auf einmal in sogenannten Zehnerpools. Derzeit werden in Wien im Durchschnitt 302.000 Tests pro Tag ausgewertet, bewältigbar wären 800.000 pro Tag.

Life Brain unterhält gewerbliche Labors, in denen im Unterschied zu Labors im niedergelassenen Bereich auch Hilfspersonal tätig ist. Das spart Geld. Statt 25 Euro pro Test, die ein niedergelassenes Labor vom Bund bezahlt bekommt, kostet ein Test bei "Alles gurgelt" nur sechs Euro.

Nur Leiharbeiter?

Im Magazin "Brisant" (hier nachzusehen in der ARD-Mediathek) beschreibt ein Vertreter der deutschen Laborärzte den Unterschied in der Auswertung von PCR-Tests in Österreich und Deutschland mit Spezialisierung. In einem Tweet dazu spricht der Verband Deutscher Laborärzte von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern.

Dazu die Fakten

Sämtliche Personen, die mit der Aktion "Alles gurgelt" zu tun haben, sind angestellt, sagt Stadtratssprecher Dujaković. Das umfasse die Drogerie- und Supermarktkräfte, die die Testkits ausgeben, ebenso wie die Postlerinnen und Postler, die sie abholen und in die Labors bringen – und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Labors selbst.

Die Labors von Life Brain sind weiter auf der Suche nach Personal. Ein dortiger Vollzeitjob bringt brutto 2.400 Euro monatlich ein.

Wie die PCR-Gurgeltests in Österreich funktionieren, zeigt dieses Video vom Mai 2021, in dem wir die Reise eines PCR-Testkits mitverfolgt haben.

DER STANDARD

(Irene Brickner, Astrid Ebenführer, 26.1.2022)