AHS-Lehrer Christian Goldstern schlägt in seinem Gastkommentar einen völlig neuen Weg für eine Matura in der Pandemie-Phase vor.

In Wien demonstrierten am Mittwoch Schülerinnen und Schüler gegen die Mündliche-Matura-Pflicht.
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Wird es heuer eine verpflichtende mündliche Reifeprüfung geben? Diese Frage wird derzeit in der Öffentlichkeit breit diskutiert, wobei der Frontverlauf durchaus bemerkenswert ist. Rote Schülervertreter gegen schwarzen Minister, das ist ja noch nicht sehr erstaunlich, aber schwarze (oder doch eher türkise?) Jugendvertreterin gegen ihr grünes Pendant, das klingt schon wesentlich interessanter. Nun, die Koalition wird darob nicht zerbrechen, aber der Praktiker wundert sich ein bisschen, dass die naheliegende Lösung dieses Konfliktes nicht einmal erwähnt wird.

Absolutes Tabu

Während der mündliche Teil der Matura heiß umstritten ist, scheint der schriftliche Teil ein absolutes Tabu zu sein: Dass dieser stattfindet, ist offenbar vom Schicksal vorgegeben. Warum eigentlich? Bis 2014 gab es in Österreich keine Zentralmatura, das heißt, auch der schriftliche Teil der Matura wurde von der Lehrkraft zusammengestellt und dann von der vorgesetzten Behörde nur abgesegnet. Gut, für Schülerinnen und Schüler wie Junglehrerinnen und Junglehrer ist das schon eher lang her, für einen großen Teil des Lehrpersonals und für Generationen von Jugendlichen aber war das die längste Zeit Realität – und es hat funktioniert! Die Universitäten waren, nebenbei bemerkt, deutlich zufriedener mit den Absolventen der höheren Schulen, als sie es heute sind.

Jetzt liegt es mir fern, zu fordern, dass wir da einen Schritt zurückgehen sollten – es wäre für eine Lehrkraft heute auch gar nicht möglich, allein eine schriftliche Reifeprüfung zusammenzustellen, die den modernen Anforderungen entspricht! Aber warum kann in Corona-Zeiten nicht zur Abwechslung der schriftliche Teil der Matura ausfallen und nur der mündliche stattfinden?

Die Vorteile liegen auf der Hand: Jede Lehrkraft einer Abschlussklasse ist unbestritten die Person, die die ihr Anvertrauten und ihren Wissensstand am besten kennt, die am besten weiß, welche Stoffbereiche sich trotz mehr als zwei Jahren Unterricht mit Corona-Einschränkungen ausgegangen sind und welche nicht; die Lehrkraft hat die Themenbereiche längst ausgearbeitet, die Schüler kennen diese seit November, und auch an den Fragen wird in den Lehrkörpern bereits intensiv gearbeitet, beziehungsweise teilweise sind sie sogar schon fertig – abgestimmt auf die jeweilige Klasse oder Lerngruppe.

"Gnädig" oder "grausam"?

Es wäre trotzdem eine neue Matura, nicht nach dem alten System, wo man beim Zuweisen der Fragen "gnädig" oder "grausam" sein konnte, nein, das wird ja weiterhin alles gelost, wie es auch in den vergangenen Jahren der Fall war. Aber das zum wirklichen Lotteriesystem verkommene System zum Beispiel der schriftlichen Mathematikmatura – hast du das Glück, dass sich dieses Stoffgebiet im eingeschränkten Corona-Unterricht heuer ausgegangen ist? – könnte man mit dieser Lösung elegant umgehen.

Alles, was man tun müsste, wäre, festzulegen, in wie vielen Fächern (aufgegliedert wie immer nach Jahreswochenstunden) ein Schüler / eine Schülerin zur mündlichen Reifeprüfung antreten muss. Der schriftliche Teil andererseits wird ersatzlos gestrichen. Und übrigens: Dadurch, dass ja auch die "Vorwissenschaftlichen Arbeiten"/ "Diplomarbeiten" abgegeben werden, würden doch wieder zwei Drittel der Reifeprüfung stattfinden.

Es wäre eine absolute Win-win-Situation: Die Lehrkräfte prüfen, was sie unterrichtet haben (und sonst nichts), die Schülerinnen und Schüler wählen die Prüfungsgegenstände nach ihren Stärken, Erfolgserlebnisse auf allen Seiten, alle sind glücklich. Jede und jeder kann stolz auf die eigene Leistung sein. Und die schriftlichen Maturaaufgaben für 2022 kann man ja getrost 2023 verwenden, falls sich die Lage bis dahin wieder normalisiert hat. (Christian Goldstern, 27.1.2022)