Zwei Männer im Anzug. Sonst verbindet Autor Martin Suter (li.) und Ex-Fußballer Bastian Schweinsteiger wohl wenig.

Foto: Marco Grob

Eine Angelegenheit der Kulturredaktion, oder sollen es doch die Kollegen vom Sport machen? Immerhin ist es ein Buch über Ex-Fußballstar Bastian Schweinsteiger. Andererseits hat es der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter geschrieben. Einen "biografischen Roman" nennt Suter Einer von euch. Es basiert auf dem Leben Schweinsteigers und ist von ihm autorisiert, der Sportler hat den Schriftsteller quasi mit dem Werk beauftragt und ist ihm dafür Rede und Antwort gestanden, ebenso sein Umfeld. Im Vorwort erklärt Suter allerdings, er habe sich die Freiheit genommen, "dass die Ereignisse, die darin vorkommen, auch frei erdacht sein dürfen". Dialoge und Figurengedanken entsprängen meist seiner Fantasie.

Man ist also in einer Art Zwischenreich von Fakt und Fiktion, schlägt man die 380 Seiten auf. Das Beste aus beiden Welten vermählt sich darauf jedoch leider nicht. Das Ergebnis ist ein dröger Mix aus Beweihräucherung und Uninspiriertheit. Er habe es unterschätzt, einen Roman nach Fakten schreiben zu müssen, gab Suter inzwischen zu.

Ein lieber Lausbub

Warum? Alles beginnt in den 1980ern im bayerischen Oberaudorf mit "Dad" Fred, "Mum" Moni sowie den Söhnen "Tobi" und "Basti". Wir sitzen mit Mum und Basti auf der karierten Couch vor dem Fernseher, wenn Charles und Diana heiraten, oder erfahren, dass der jüngste Spross sich im Dunkeln fürchtet, aber es liebt, sich in der Mülltonne zu verstecken, um die Mutter zu erschrecken. Man darf sich den "Fußballgott" als lieben Lausbub denken.

Am wichtigsten ist ihm aber der Fußball. Er ist noch lange nicht eingeschult, da spielt er ihn mit M&M’s auf Papier oder mit dem Bruder im Garten (was Mum nicht mag, weil die Blumen darunter leiden). Also pachten die Eltern eine Wiese. Vom Dorfverein bis zum Jugendteam des FC Bayern geht es in den nächsten Jahren steil bergauf. Probleme machen Basti bloß das Rechnen und Englisch. Mum weiß, "dass er nur gut war in dem, was er liebt. Und er nur das liebte, was ihm leichtfiel."

Suter erzählt streng chronologisch. Sein Ansatz erweist sich als großes Unterfangen der Herstellung zwingender Konsequenz dieses Lebens zwischen Tatzelwurmbach und Estádio do Dragão (Drachenstadion). Das mag bei Biografien der Bauplan sein, aber Suter lässt diese Konstruktion sehr penetrant spüren. Als Bastian sich von seinem ersten dicken Nachwuchsgehalt eine teure Füllfeder kaufen will und beim Ausprobieren ganz oft seinen Namen schreibt, fragt er sich: "Ob er jemals wieder so oft seinen Namen schreiben würde?"

Heiligengeschichte

Es ist dennoch keine Heldengeschichte, schlimmer: Eine Heiligengeschichte liegt hier vor. Denn Helden brauchen Brüche. Reflexion und Kritik, die in Biografien üblicherweise auch vorkommen und diese erst lesenswert und erkenntnisstiftend machen, fehlen ganz. Ob er ohne Führerschein zu schnell fährt oder mit Freundinnen Schluss macht: Kein böses Wort, kein negativer Charakterzug beflecken Mr. Nice Guy. In der Tat hat Schweinsteiger nie mit Skandalen aufhorchen lassen und kann er nichts dafür, dass sein Leben glatt verlaufen ist.

Doch warum meidet er die Eltern ab dem Umzug nach München geradezu? Auch mit dem Vorwurf, er hätte Spiele manipuliert, mit einigen schwachen Saisonen, ihn ablehnenden Trainern und vielen Verletzungen wären in fast 20 Jahren Karriere Anlässe für Selbstbefragung genug gegeben. Tiefere Einblicke ins Seelenleben sind aber Fehlanzeige.

Er wollte nichts enthüllen, sagt Suter. Das durfte er ohnehin nicht, denn der 37-jährige Schweinsteiger verwaltet sein Image eifrig. Der Preis dafür ist, dass Einer von euch schwärmerisch und kitschig wirkt. Ein neuer Baustein im Marketing des nunmehrigen Familienvaters.

Heimkommen birgt mehr Glück als Siege

Schweinsteigers Frau, das Ex-Tennis-Ass Ana Ivanović, flicht Suter von Anfang an ins Buch. Während seine Karriere strauchelt, erklimmt sie die Weltrangliste, irgendwann fällt die "schöne" Serbin dem Fußballer bei TV-Übertragungen auf. Er fliegt für ein erstes Treffen nach New York, ein stressiges gemeinsames Leben beginnt. Pompös ist die Hochzeit in Venedig. Letztlich macht der Sport beiden weniger Freude als (wegen der Verletzungen) Mühe. Zueinander heimkommen birgt mehr Glück als Siege.

Wer ist die Zielgruppe? Ohne das Investigative einer Biografie und ohne große Fußballkenntnis ist Einer für euch für Fans wohl noch öder als für jemanden, der keine Ahnung von dem Sport hat. Suter-Fans werden mit dem lieblosen Handwerk aber keine Freude haben, weil ihm die Finessen abgehen. Schweinsteiger, der einräumte, kaum Bücher zu lesen, dürfte mit dem Ergebnis indes zufrieden sein. (Michael Wurmitzer, 27.1.2022)