Aksel Lund Svindal ist ein Fan von Olympia, jedoch in Sorge um die Zukunft der größten Bühne im Sport. Er ermutigt Athleten, ihre Meinung zu vertreten, und hat Spaß als Moderator einer TV-Show.

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Aksel Lund Svindal wird ziemlich emotional, wenn es um Olympia geht. Den zweifachen Olympioniken regt die Haltung Europas beinahe mehr auf als die Tatsache, dass in China ein autoritär geführtes Land das Großereignis ausrichtet. Darüber hinaus hält er trotz anhaltender körperlicher Probleme nach seinen schweren Verletzungen ein Plädoyer für den Skisport.

STANDARD: Europa hat zuletzt Chancen ausgelassen, Olympische Spiele zu veranstalten, stattdessen fanden sie 2014 in Sotschi und 2018 in Pyeongchang statt. Nun ist Peking an der Reihe. Schließen Sie sich den kritischen Stimmen an?

Svindal: Wir haben Gelegenheiten verpasst und sollten es kritisch sehen, dass die Spiele in China stattfinden, wie sie abgehalten werden, welch enormer finanzieller Aufwand getrieben wird, welche Politik gemacht wird. Weil wir in einer Demokratie leben. Die Frage ist, wie es geschah, dass sie die Spiele bekamen. Dabei ist aber auch zu beachten, dass dies eine Kleinigkeit ist im Vergleich zu den Entscheidungen, die sonst in China getroffen werden.

STANDARD: Für die Sportwelt ist die Entscheidung von großer Bedeutung. Wie soll man damit umgehen?

Svindal: Wenn wir sagen, wir wollen die Olympischen Spiele nicht und in China läuft alles falsch, dann sollten wir überlegen, ob wir überhaupt noch welche veranstalten sollen. Es ist untragbar, zu behaupten, wir wollen kein Teil davon sein, wenn wir unsere Athleten dort hinschicken und ausführlich medial berichten, um von den Leistungen zu profitieren. Wenn Matthias Mayer die Abfahrt gewinnt, dann wird er im Fernsehen gefeiert. Das ist wirklich schrecklich, die Athleten sollten das aufzeigen.

STANDARD: Italien veranstaltet Olympia 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo. Darüber hinaus scheint das Interesse in Europa verschwindend klein. Wie könnte man dieses Problem lösen?

Svindal: Ich sehe keine Lösung, wenn keines der europäischen Länder außer Italien bereit ist. Ich glaube an Olympia, will nicht, dass die Spiele zerstört werden, aber die Debatte geht in diese Richtung. Skifahren ist wertvoll, inspirierend und gesund für unsere Gesellschaft. Es gibt keine größere Bühne, um unseren Sport zu präsentieren. Es wäre schade darum. Olympia hat noch immer großes Potenzial. Wenn ich mich erinnere, wie es für mich war, als die Spiele 1994 in Lillehammer waren, welche Begeisterung es in Norwegen gab. Das ist etwas Einzigartiges, das wir bewahren sollten.

STANDARD: Sind die Spiele in China aus politischen Gründen vertretbar?

Svindal: Ich bin kein Experte in politischen Dingen, aber nach meinem Verständnis wollen sie das Skifahren in China vielen Menschen ermöglichen. Aus meiner Sicht ist es zu begrüßen, dass der Skisport auch in China groß wird, wenn wir von den Fragen absehen, ob es Korruption gibt, das Geld in die richtigen Taschen geht und wer am meisten profitiert.

STANDARD: Wird China zu Recht dafür kritisiert, dass ein Großteil der Infrastruktur teilweise ohne entsprechende Umweltauflagen nur für einmalige Nutzung errichtet wird?

Svindal: Zu 100 Prozent, das ist der schlechte Teil. Aber in München, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck, Oslo und Sion wollten sie keine Spiele. Sie hätten die Infrastruktur, müssten nicht alles aufbauen. Wir können nicht sagen, wir wollen nicht Gastgeber sein, wollen, dass sie jemand anderer ausrichtet, nur dürfen sie keine Sportstätten errichten. Wir sollten zusammenarbeiten, eine Lösung finden, damit wir die Spiele mit der bestehenden Infrastruktur veranstalten können.

STANDARD: Vermissen Sie das Rennfahren, den Nervenkitzel?

Svindal: Aktuell nicht so sehr. Es mag vielleicht ein bisschen verrückt klingen, aber ich vermisse das Training mehr als das Rennfahren. Mit dem Team unterwegs zu sein, auf Trainingslager nach Chile, Neuseeland oder Nordamerika zu reisen.

STANDARD: Ist man als Abfahrer süchtig nach Geschwindigkeit? Wenn ja, wie kompensiert man diese Sucht nach der Karriere?

"Ich bin nicht süchtig nach Geschwindigkeit. Ich musste mich überwinden, das Risiko einzugehen, das es braucht, um eine Abfahrt zu bestreiten."
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Svindal: Ich bin nicht süchtig nach Geschwindigkeit. Ich musste mich überwinden, das Risiko einzugehen, das es braucht, um eine Abfahrt zu bestreiten. Das ist natürlich. Ich mochte es, wettbewerbsfähig zu sein. Jetzt schätze ich es, auf niedrigerem Level mit dem Rad auszufahren. Nächstes Jahr werde ich zum Spaß Rennen mit Ingemar Stenmark bestreiten. Ich mag es, die Mischung aus Cruising und Natur zu genießen. Wenn ich Ski fahren gehe, dann kümmert es mich nicht, ob perfekte Bedingungen herrschen, ob meine Skier optimal eingestellt sind. Früher hatte das Priorität.

STANDARD: Ist die Umstellung schwierig, wenn man nicht mehr jedes Wochenende einer der Besten ist?

Svindal: Das war ein Teil meines Lebens, es waren tolle Erfahrungen, und ich war stolz auf meine Leistungen, aber ich bin sehr entspannt, dass es nun vorbei ist, jemand anderer die Rennen gewinnt und die Aufmerksamkeit bekommt. Ich genieße es jetzt, Rennen zu verfolgen, anstatt selbst teilzunehmen. Ich vermisse es zwar, aber ich sehe es sehr realistisch, dass es für alles eine Zeit gibt. Es war ungemein aufregend, aber nun ist es vorbei.

STANDARD: Haben Sie ausgesorgt und können jetzt rein zum Spaß machen, was Sie wollen?

Svindal: Ich könnte von dem leben, was ich eingenommen habe, aber für mich bedeutet Spaß, auch zu arbeiten, etwas aufzubauen und nicht nur von Vergangenem zu leben. Im Skisport gibt es den Luxus, dass man mit Preis- und Sponsorgeldern gut verdient, wenn man erfolgreich ist. Allerdings war ich aufgrund meiner Verletzungen in den letzten vier Jahren meiner Karriere mehr Tage auf Reha, als ich auf Skiern gestanden bin.

STANDARD: Leistungssportler müssen während ihrer Karriere auf vieles verzichten. Lassen sich die Entbehrungen durch die Passion kompensieren?

Svindal: Für mich zu 100 Prozent. Was ich als Skirennläufer erfahren durfte, war wunderbar. Natürlich könnte man in der Zeit auch etwas anderes lernen und machen. Aber ich bin sehr glücklich damit, durfte großartige Erfahrungen sammeln, habe viel gelernt und viele Freunde gewonnen. Der Skisport ist sehr transparent, daraus resultiert faires Rennfahren. Es braucht keine Schiedsrichter und keine Judges für Haltungsnoten.

STANDARD: Sie waren mehrmals schwer verletzt. Auch in Ihrem Film Aksel – Die Geschichte von Aksel Lund Svindal ist das ein großes Thema. Welchen Einfluss haben die Verletzungen auf Ihr Leben?

Svindal: Ja, ich spüre es. Ich kann nicht laufen gehen, habe es 2021 drei-, viermal versucht. Ohne das Laufen kann man nicht Fußball oder Tennis spielen. Es gibt einige Dinge, die ich nicht machen kann. Aber so ist es eben, und ich fokussiere auf Dinge, die ich machen kann. Ich will aber vor allem Ski fahren, dabei spüre ich leider die meisten Schmerzen. Ich muss es gemütlicher angehen. Langlaufen, Skitourengehen und Powdern sind auch supernett.

Filmtoast

STANDARD: Haben Sie eine Idee, wie man schweren Verletzungen im Skiweltcup entgegenwirken könnte?

Svindal: Es ist extrem komplex, eine Herausforderung. Ein Vergleich mit einem Rennwagen: Für uns ist der Körper mit Füßen, Knien, Hüften und Rücken das Chassis. Wenn die Schwünge immer dynamischer werden, man immer mehr Grip hat, muss man auch das Chassis verstärken, weil es immer größere Kräfte aushalten muss. Es gibt Verletzungen, weil sich die Ausrüstung weiterentwickelt. Manchmal gehen die Kräfte aber in die falsche Richtung, und es wird etwas kaputt. Dann betrifft es aber nicht die Radaufhängung, sondern das Knie. Bei den Bindungen hat sich in der Vergangenheit relativ wenig verändert, hier wird es den nächsten Durchbruch brauchen und geben.

STANDARD: Sollen Athleten öfter aufbegehren, ihre Meinung sagen?

Svindal: Sie sollten immer ihre Meinungen vertreten, aber jeder ist anders. Manche sind sehr offen bis extravertiert und auch den Medien gegenüber frech. Andere wollen maximale Privatsphäre und meiden, wenn möglich, die Öffentlichkeit. Jeder muss für sich herausfinden, wie er als Individuum glücklich ist. Nicht alle wollen berühmte Persönlichkeiten sein. Denken wir an Stenmark, er wollte nur ein Skirennfahrer sein und nicht zu all diesen Talkshows gehen.

STANDARD: Worauf fokussieren Sie sich nun in Ihrem Leben?

Svindal: Ich verfolge verschiedene Dinge. Ich mache eine TV-Show, das macht mir Spaß. Sie heißt Mesternes mester Meister der Meister. Zurückgetretene Athleten kommen zusammen und messen sich in verschiedenen Sportarten und Aktivitäten. Sie leben und kochen auch zusammen. Nach drei Wochen gibt es einen Gewinner. Vergangene Woche hatten wir die höchsten Einschaltquoten. Norwegen hat fünf Millionen Einwohner, und wir haben im Schnitt 1,5 Millionen Zuschauer. Außerdem bin ich Teil einer Firma, die sich mit Start-ups aus dem Technologiesegment beschäftigt. Wir investieren in grüne, wirtschaftlich nachhaltige Technologie.

STANDARD: Soll und kann der Skisport ein Vorbild in Sachen Klimaschutz sein?

Svindal: Wir alle, der Sport, das Business, die Politik, du und ich müssen gute Entscheidungen treffen, damit wir einen Beitrag leisten, auf unseren Planeten aufzupassen. Jeder muss in diese Richtung gehen, ohne Zweifel. (Thomas Hirner, 27.1.2022)

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