Das KZ Gusen kurz nach der Befreiung. Am 5. Mai 1945 stießen amerikanische Truppen bei einer Patrouillenfahrt auf das Lager.

Foto: Mauthausen Memorial

Die kleine Mühlviertler Marktgemeinde St. Georgen an der Gusen zählt 4000 Einwohner, 2502 Einwohner leben in dem Nachbarort Langenstein. Zwei Orte, die eines eint: Man lebt hier auf geschichtlich schwer belastetem Boden. Zentrale Teile des ehemaligen KZ Gusen befanden sich dort, wo heute schmucke Einfamilienhäuser stehen.

Obwohl das KZ Gusen ein Nebenlager von Mauthausen war, war es zeitweise sogar größer als das Stammlager. Mindestens 71.000 Menschen wurden allein in Gusen gefangen gehalten, rund die Hälfte von ihnen wurde ermordet. Unter enormem Blutzoll mussten Häftlinge eine unterirdische Stollenanlage errichten, in der die Nazis unter dem Decknamen "Bergkristall" eine geheime Rüstungsproduktion betrieben. Gusen war neben dem Stammlager Mauthausen das einzige Lager im großdeutschen Reich der "Lagerstufe III". Für die Häftlinge bedeutete das "Vernichtung durch Arbeit" in den Steinbrüchen und in den unterirdischen Stollenanlagen.

Polnischer Druck

Ein großer Teil der Opfer kam dabei aus Polen. Dort wird Gusen auch nicht als reines Nebenlager, sondern vielmehr als Zwillingslager von Mauthausen gesehen – womit sich auch der Druck der polnischen Regierung und der polnischen Opferverbände in Richtung einer adäquaten Gedenkkultur erklärt.

Doch auf österreichischer Seite passierte lange nichts. Zwar wurde mit der Neugestaltung der Ausstellung im ehemaligen KZ Mauthausen das blutige Geschehen von Gusen deutlich mehr in das Erinnerungskonzept eingebunden, an dem über die beiden Ortschaften verstreuten Gedenk-Fleckerlteppich änderte dies freilich nichts. Auch eine 2018 angefertigte Machbarkeitsstudie verschwand rasch in der Regierungsschublade. 2019 kündigte dann der polnische Premier Mateusz Morawiecki an, dass sein Land Interesse am Kauf der Überreste des Lagers habe, um es in einen würdigen Gedenkort zu verwandeln.

Die polnischen Kaufabsichten sorgten für einen Motivationsschub an der heimischen Staatsspitze. Am 4. Mai des Vorjahres kündigte der damalige Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) den Ankauf des Eingangsbereichs zum Stollensystem Bergkristall in St. Georgen, zweier SS-Verwaltungsbaracken, des Steinbrechers und von Teilen des Appellplatzes in Langenstein an.

Am sogenannten Steinbrecher mussten Häftlinge Schwerstarbeit leisten.
Foto: Bernhard Mühleder

Gedenkpark

Offiziell unterzeichnet wurden die Kaufverträge aber erst am 24. Dezember des Vorjahres bei einem Linzer Notar. Grund für die zeitliche Verzögerung waren unter anderem Neuvermessungen der Grundstücke. Vor allem aber galt es die Frage zu klären, welche weiteren Grundstückskäufe noch nötig waren, um die ehemaligen KZ-Flächen, etwa zwischen dem Appellplatz und dem oberhalb liegenden Steinbrecher, künftig miteinander verbinden zu können.

In den Reihen der örtlichen Gedenkorganisationen hat man jedenfalls bereits eine klare Vorstellung, wie die Erinnerungskultur künftig in den beiden Orten aussehen soll. Martha Gammer, Vorsitzende des Gedenkdienstkomitees Gusen, schlägt im STANDARD-Gespräch einen "Gedenkpark" vor. Gammer: "Von den einstigen SS-Baracken im Osten über den Appellplatz zum Steinbrecher weiter über eine öffentliche Straße zum Gusen Memorial. Einen audiovisuellen Weg durch die einzelnen Bereiche. Mit erklärenden Informationstafeln und den Stimmen der Überlebenden."

Was es für Gammer jedenfalls nicht braucht, sind "große Neubauten". Man wolle weder ein neues Besucherzentrum noch ein Bildungshaus oder gar ein Hotel. Gammer: "Wir brauchen nicht den großen Betrieb samt Bustourismus wie in der Gedenkstätte Mauthausen. Das will auch die örtliche Bevölkerung sicher nicht."

Barbara Glück, Direktorin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und auch für das Areal in Gusen verantwortlich, kündigt im STANDARD-Gespräch an, dass die Vorbereitungen so weit abgeschlossen seien und "der eigentliche Gestaltungsprozess in Kürze losgeht". Und da werde man alle Beteiligten einbinden. Glück: "Da ist die regionale Bevölkerung genauso wichtig wie internationale Vertretungen. Wir werden alle an einen Tisch holen, um gemeinsam zu erörtern, was es in Gusen braucht." Glück rechnet mit einer "rund zweijährigen Planungszeit".

Gedenkarbeit sei auch immer Vermittlungsarbeit. Glück: "Es geht darum, Sehhilfen zu schaffen, um an diesem Ort zu vermitteln, was damals passiert ist." Gleichzeitig gelte es, einen Prozess zu meistern, bei dem es am Schluss für die Bevölkerung und die Region "völlig selbstverständlich ist, dass das zum Leben, zum Alltag dazugehört". Es sei das Ziel, eine "nachhaltige Gedenkarbeit" zu leisten. Glück: "Ich bin davon überzeugt, dass der Prozess genauso wichtig ist wie das Ergebnis." (Markus Rohrhofer, 27.1.2022)