Eine halbe Woche hat das italienische Parlament inzwischen verplempert mit drei Wahlgängen, bei denen jeweils fast nur leere Wahlzettel in die Urne gelegt wurden – oder Zettel, auf denen die Namen von TV-Moderatoren, Schauspielern oder Fußballern wie dem ehemaligen WM-Torhüter Dino Zoff geschrieben waren.

Bleibt Sergio Mattarella Präsident?
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Keiner der Parteiführer wollte seine Karten bisher aufdecken und einen ernst gemeinten Kandidaten ins Rennen schicken. Stattdessen wurden Scheinkandidaturen lanciert, und die Strippenzieher der Parteien trafen sich in Römer Cafés und Pizzerien, um sich ständig neue Finten und Ablenkungsmanöver auszudenken.

Die taktischen Spielchen lassen sich zum Teil damit entschuldigen, dass in den bisherigen drei Wahlgängen eine Zweidrittelmehrheit für die Wahl erforderlich gewesen wäre, die wahrscheinlich ohnehin keine Kandidatin oder Kandidat geschafft hätte. Ab Donnerstag müssen sich die Parteien aber aus der Deckung wagen: Ab sofort reicht zur Wahl des neuen Staatsoberhaupts die absolute Mehrheit der Stimmen. Bei insgesamt 1.009 wahlberechtigten Abgeordneten, Senatoren und Delegierten aus den Regionen wären dies 505 Stimmen.

Mattarella 2.0?

Ein Kandidat, auf den sich die vereinigten Parlamentskammern innerhalb von wenigen Minuten verständigen könnten, wäre der bisherige Staatspräsident Sergio Mattarella, dessen Amtszeit Ende Jänner eigentlich endet. Er hat im dritten Wahlgang am Mittwoch mit 125 Stimmen die meisten erhalten. Das Problem ist bloß, dass Mattarella eine zweite Amtszeit strikt ablehnt.

Um dies zu unterstreichen, hat er in den vergangenen Tagen von seinen Mitarbeitern Fotos publizieren lassen, auf denen sein mit Kartonkisten übersätes Büro im Quirinalspalast und ein Umzugsauto zu sehen sind, mit dem bereits die ersten Möbel für seine neue Wohnung in Rom geliefert werden.

Also ist der Nebel nur noch dichter geworden: Eine Prognose über den Ausgang der Wahl zu stellen, das ist weiterhin unmöglich. Sicher scheint lediglich, dass die Wahlchancen für Regierungschef Mario Draghi in den vergangenen drei Tagen gesunken sind: Praktisch alle Rechtsparteien steht einem "Upgrade" des Premiers inzwischen skeptisch bis ablehnend gegenüber: "Wenn Draghi die Regierung verließe, um Staatspräsident zu werden, würde dies zu wochenlanger Konfusion führen – angesichts der gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Krise wäre das ein Problem für Italien", betonte Lega-Chef Matteo Salvini.

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Oder schafft Mario Draghi den Sprung in den Quirinalspalast?
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In der Reserve

Vorbehalte gegenüber einer Beförderung Draghis gibt es aber auch innerhalb des sozialdemokratischen Partito Democratico und der Fünf Sterne.

Die Rechte wird in den kommenden Wahlgängen wohl ihr Glück mit Maria Elisabetta Alberti Casellati versuchen: Als Senatspräsidentin ist sie sozusagen eine natürliche Kandidatin, und bei ihrer Wahl 2018 war sie noch von den Fünf Sternen mitgewählt worden. Rein arithmetisch wäre deshalb eine Wahl nicht ausgeschlossen.

Weitere mögliche Kandidaten des Rechtslagers wären der frühere Außenminister und EU-Justizkommissar Franco Frattini oder die ehemalige Bildungsministerin, Mailänder Bürgermeisterin und heutige lombardische Sanitätsdirektorin Letizia Moratti.

Alle genannten Kandidatinnen und Kandidaten der Rechten haben freilich dasselbe Handicap: ihre politische Vergangenheit in Berlusconis Forza Italia. Casellati hatte sich früher als besonders militante Aktivistin bei den Demonstrationen vor dem Mailänder Strafgericht hervorgetan, wo Berlusconi der Prozess gemacht wurde. Frattini ist Autor eines unsäglichen Gesetzes, das die Interessenkonflikte des TV-Unternehmers und Politikers Berlusconi regeln sollte, diese aber stattdessen definitiv legalisierte. Und die ultrakatholische Moratti hatte als Berlusconis Bildungsministerin versucht, Darwins Evolutionstheorie aus dem schulischen Pflichtstoff zu verbannen.

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Oder wird es am Ende gar eine Frau, zum Beispiel Senatspräsidentin Maria Elisabetta Alberti Casellati?
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Außenseiterchancen

Das alles ist unvergessen und macht die Kandidatinnen und Kandidaten für die Linke unwählbar. Die Blockade könnte schließlich dazu führen, dass eben doch Draghi das Rennen machen wird. Oder es schlägt die Stunde des Christdemokraten Pier Ferdinando Casini, dem früheren Präsidenten der Abgeordnetenkammer, oder von Justizministerin Marta Cartabia oder des zweifachen Ex-Premiers Giuliano Amato.

Oder vielleicht lässt sich Mattarella am Ende doch noch erweichen – um zu verhindern, dass die Wahl seines Nachfolgers in einer Regierungskrise mündet und Draghi dem Land nicht nur als möglicher Staatspräsident, sondern auch als Premier verlorengeht. (Dominik Straub, 27.1.2022)