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Ein Foto des russischen Verteidigungsministeriums zeigt Truppen bei einer Übung in der Arktischen See. Moskau ließ seine Armee am Mittwoch mehrere Übungen auf russischem Staatsgebiet abhalten.

Foto: Russian Defense Ministry Press Service via AP

Immer wieder hatte Moskau in den vergangenen Tagen seine Forderung nach Antworten von den USA und der Nato im Munde geführt, nun sind sie endlich angekommen. US-Botschafter John J. Sullivan hat am Mittwochabend dem russischen Außenamt eine schriftliche Reaktion auf die Forderungen des Kremls nach Sicherheitsgarantien in Osteuropa übergeben.

Zur Erinnerung: Moskau hatte Mitte Dezember ein Programm aus mehreren Punkten an den Westen übermittelt, von denen viele nicht erfüllbar erschienen. Darunter der Wunsch, die Nato möge alle Truppen aus den östlichen Bündnisstaaten abziehen und ausschließen, dass sich die Ukraine und Georgien der Nato anschließen. Präsident Wladimir Putin hatte für den Fall einer Ablehnung mit "militärisch-technischen" Maßnahmen gedroht, ließ aber offen, was genau damit gemeint sei. Weil Russland aber mehr als 100.000 Soldaten und viel technisches Gerät an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen hat, fürchtet der Westen eine Invasion.

Unbekannter Inhalt

Der Inhalt des nun an Russland übermittelten US-Schreibens ist nicht bekannt. US-Außenminister Antony Blinken gab in seiner Pressekonferenz am Mittwochabend keine konkreten Details preis. Er erklärte lediglich, dass man in dem Dokument unter anderem die Sicherheitsanliegen Russlands evaluiert habe und darin "einige sehr positive Dinge" zu Kooperation in Abrüstungsfragen enthalten seien. Außerdem hätten die USA noch einmal ihre Sorgen über den Truppenaufmarsch an der Grenze deutlich gemacht.

Die US-Haltung habe sich allerdings nicht verändert: "Das Dokument bekräftigt, was wir in den vergangenen Wochen und Jahren immer wieder öffentlich gesagt haben", erklärte Blinken. "Die Tür der Nato ist und bleibt offen." Man habe Russland einen "ernsthaften diplomatischen Weg nach vorne", angeboten, sagte Blinken. Er äußerte die Hoffnung auf ein Gespräch mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow "in den nächsten Tagen".

Wie die USA haben sich am Mittwoch auch die 30 Nato-Staaten auf eine gemeinsame schriftliche Antwort verständigt. Das bestätigte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwochabend. So habe man der russischen Regierung vorgeschlagen, die nach einem Spionage-Streit geschlossenen Vertretungen in Moskau und Brüssel wieder zu öffnen.

Dokument bleibt geheim

Das durch den Nato-Rat angenommene Schriftstück soll umgehend an die Regierung in Moskau übermittelt, aber zunächst nicht veröffentlicht werden. Diplomaten zufolge enthält es keine größeren Zugeständnisse. Es werde deutlich gemacht, dass Kernforderungen Russlands – zum Beispiel Moskaus Ansinnen, dass die Nato eine Aufnahme von Ländern wie der Ukraine ausschließe – für das Bündnis inakzeptabel seien. Gesprächsbereit sei man hingegen bei Themen wie Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Die Bereitschaft der Nato-Einsatzkräfte sei erhöht worden, sagte Stoltenberg. Die Nato selbst suche aber "keine Konfrontation". Er forderte Moskau erneut auf, der Situation "umgehend zu deeskalieren".

Vage Friedenshoffnungen

Zuvor hatte am Mittwoch die Hoffnung auf Entspannung regiert. Solange die Konfliktparteien miteinander sprechen, bekriegen sie sich nicht: Nach dieser Devise haben Frankreich und Deutschland die beiden Konfliktparteien im Osten Europas zu Gesprächen nach Paris geladen. Allein schon die Tatsache, dass das Treffen im sogenannten Normandie-Format stattfand, war ein Fortschritt: Seit Beginn des russischen Truppenaufmarsches östlich der Ukraine hatten sich die beiden Nachbarstaaten nicht mehr direkt gesprochen.

Die inhaltlichen Erwartungen waren bescheiden. Die deutsch-französische Diplomatie wollte die beiden östlichen Nachbarländer auf ein Datum für den Start von Verhandlungen über das Statut des strittigen Donbass-Gebiets verpflichten. Ob sich Kiew und Moskau darauf einließen, war vorerst offen. Moskau hatte ein Vierertreffen auf Minister- oder gar Präsidentenebene ohnehin abgelehnt und nur einen Diplomaten – den Präsidialverwaltungsvize Dmitri Kosak – nach Paris entsandt. In zwei Wochen soll es in Berlin weitere Verhandlungen geben.

Kein Platz für die EU

Die deutschen und französischen Vermittler erreichten im Vorfeld zwar, dass die Ukraine ein geplantes Gesetz über Straffolgen für ostukrainische Separatisten suspendierte. Die russische Seite zog aber nicht nach. Sie bemühte sich sichtlich, die Bedeutung des Treffens im Normandie-Format herunterzuspielen. In Moskau sagte Außenminister Sergej Lawrow, die EU und die OSZE müssten sich gar nicht an der Konfliktbewältigung beteiligen.

Moskau verhandelt lieber "auf Augenhöhe" mit den USA, die eine bedeutend härtere Linie fahren als die EU. Lawrow zufolge geht es nicht um das Minsker Friedensabkommen von 2015 zwischen Russen und Ukrainern. Wichtiger sei eine westliche Antwort auf die russischen Vorschläge für eine neue Sicherheitsarchitektur Europas.

Keil in westlicher Allianz

Mit seiner Forderung nach einer schriftlichen Garantie, dass die Nato die Ukraine nicht aufnimmt, treibt Putin nicht zuletzt einen Keil in die westliche Allianz. Noch mehr als die USA und Großbritannien sehen Deutschland und Frankreich keine Notwendigkeit für einen baldigen Nato-Beitritt der Ukraine. Nach deutschen Stimmen erklärte am Mittwoch auch die Präsidentschaftskandidatin der französischen Konservativen, Valérie Pécresse, die Aufnahme Kiews in das Verteidigungsbündnis habe "keine Priorität". Darunter leide nur die Versöhnung in einem Europa, das bis zum Ural reiche.

Die gleiche Position vertritt, ohne es offen zu sagen, Präsident Emmanuel Macron. Er und der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatten am Dienstag in Berlin ihre Einigkeit im Ukraine-Dossier betont. Die beiden äußern sich auch nicht zur Idee von US-Präsident Joe Biden und dem britischen Premier Boris Johnson, Putin allenfalls persönlich mit Sanktionen zu belegen. Aus dem Kreml hieß es darauf, eine solche Drohung sei "destruktiv", wäre aber für Russland nicht schmerzhaft.

Während sich Macron in Paris um eine "Deeskalation" bemühte, wie er sagte, landeten am Mittwoch amerikanische F-15-Kampfjets in Estland. Auch Dänemark schickt F-16-Flieger nach Litauen. Rumänien erklärte seine Bereitschaft, Nato-Truppen zu beherbergen. Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht kündigte die Lieferung von 5.000 militärischen Schutzhelmen an die Ukraine an. In Berlin wie Kiew herrschte Einigkeit, dass es sich um eine symbolische Geste handelte.

Gasgarantien

In Sachen Gaslieferungen wollen die USA mit Liefernationen im Mittleren Osten, in Nordafrika und in Asien verhandeln. So will man Moskau das Bedrohungsszenario nehmen, die Gaslieferungen nach Europa zu stoppen. Am Mittwoch signalisierte bereits Katar, mit Washington über die Pläne verhandeln zu wollen. Emir Tamim bin Hamad Al Thani will kommende Woche mit Präsident Biden über das Thema sprechen, um die Kunden Katars von dem Plan zu überzeugen, Teile des Rohstoffs für die Europäer abzuzweigen.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte, der russische Truppenaufmarsch östlich seines Landes genüge seiner Meinung nach nicht für eine groß angelegte Offensive. Einen neuen Gipfel russischer Propaganda erreichen Moskauer Medien mit der Behauptung, die ukrainische Armee plane eine "Invasion" im Donbass.

Zwar dementiert Moskau einen geplanten Einmarsch in der Ukraine, doch berichtete die New York Times, dass Moskau offenbar eine Propagandaoffensive gestartet habe. In sozialen Medien würden vermehrt Falschinformationen gestreut, wonach in den Separatistengebieten in der Ukraine quasi ein Genozid an der russischen Bevölkerung stattfinde. (Stefan Brändle aus Paris, bbl, fmo, mesc, maa, bed, 26.1.2022)