Österreich ist Vizeeuropameister beim Testen hinter Zypern.

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Für Platz eins hat es nicht gereicht, aber Österreich ist Vizeeuropameister. Nur in Zypern werden im Verhältnis zur Bevölkerungszahl noch mehr Corona-Tests durchgeführt. Die Abstände sind gewaltig. In Österreich wurden zuletzt oft mehr als 500.000 Tests am Tag ausgewertet, an Spitzentagen entsprach das mehr als 70 Tests pro 1.000 Einwohner. In Dänemark, das uns noch am nächsten kommt, waren es mit rund 30 Tests nicht einmal halb so viele.

Österreich testet sogar viermal so viel wie Italien und Frankreich. Im Verhältnis zu Deutschland und vielen anderen ist es sogar zehnmal mehr. Zahlt sich diese Strategie aus? Was lässt sich zu Kosten, Nutzen und Nebenwirkungen sagen?

Sicher ist, dass Testen zu einem Industriezweig in Österreich geworden ist. Eine zentrale Drehscheibe ist die Bundesbeschaffung GmbH. Das Unternehmen schließt im Auftrag der Republik mit Anbietern von Testinfrastruktur Rahmenvereinbarungen ab. Das Volumen für die zehn größten dieser Verträge beläuft sich laut einer Auswertung des Neos-Labs, eines Partei-Thinktanks, aktuell auf 4,3 Milliarden Euro.

Dabei werden Tests erst vom Auftraggeber, zum Beispiel einem Bundesland oder einem Ministerium, bezahlt, wenn sie durchgeführt wurden. Die 4,3 Milliarden Euro sind also noch nicht voll ausgeschöpft. Dafür sind die Apotheken in diesem Betrag nicht dabei: Die Apotheken müssen sich nicht um öffentliche Aufträge bewerben, sie können testen und das direkt über die Krankenkassen mit dem Bund abrechnen. Gut 1.000 Apotheken machen das aktuell.

Ein Test in der Apotheke kostet den Steuerzahler 25 Euro, egal ob PCR oder Antigen. Für einen Gurgeltest sind es in Wien je nach ausgewerteter Menge fünf bis acht Euro, ein Schnelltest kostet bis fünf Euro.

Im vergangenen Jahr hat das Gesundheitsministerium 1,7 Milliarden für Tests ausgegeben. Mit den Ausgaben für Schultests und Tests für Unternehmen lagen die Gesamtkosten bei etwas über zwei Milliarden.

Einfacher Einstieg

Die Tendenz war zuletzt stark steigend, die Zahl der Testungen hat sich seit Oktober massiv erhöht.

Diese enorme Nachfrage führt zu einem Wildwuchs bei den Anbietern. Sieht man sich die Rahmenverträge bei der Bundesbeschaffung GmbH an, finden sich da mehr als 150 Unternehmen. Da sind dutzende Labore dabei, Logistikunternehmen, das Rote Kreuz, Pharmafirmen, Labore aus Ungarn, eine Privatklinik, die eine Teststraße betreibt, und selbst ein Schönheitssalon.

Der Einstieg ins lukrative Testgeschäft ist auch denkbar einfach. Denn um ausreichend Testkapazitäten zur Verfügung stellen zu können, hat das Pandemiegesetz eine Aufweichung der Bestimmungen erlaubt. So ist es nicht mehr nur fachärztlich geführten humanmedizinischen Laboren erlaubt, PCR-Tests durchzuführen und zu analysieren. Auch naturwissenschaftliche und veterinärmedizinische Labore dürfen sich anmelden. Dafür genügt es, einen Fragebogen auszufüllen und ans Gesundheitsministerium zu retournieren.

Während sich viele Player am Markt tummeln, gibt es ein paar große Fische mit Kapazundern an Bord. Da sind etwa Lead Horizon und Lifebrain. Sie führen die Gurgel- und Schultests in Wien durch, das Konzept "Alles gurgelt" gibt es inzwischen auch in Oberösterreich.

Das Testkit und die Software stammen von Lead Horizon. Das Unternehmen gehört zu 74 Prozent dem Innovationsmanager Michael Puntz und zu 26 Prozent dem Virologen Christoph Steininger. Letzterer hat damit eine Doppelrolle: als Unternehmer im Testbusiness und als Virologe der Med-Uni Wien, der in Medien über das Pandemiemanagement spricht.

Doppelrolle

Das ist nicht der einzige Fall einer möglichen Doppelrolle. Die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer hat mit ihrem Institut der Med-Uni Innsbruck im Juli 2021 eine Kooperation mit Novatium begonnen. Die Med-Uni bewarb sich mit Novatium als Subunternehmen bei der Neuausschreibung für PCR-Tests und erhielt den Zuschlag für eines der vier Tiroler Lose. Im November erhielt dann Novatium, nun mit der Med-Uni Innsbruck als Subunternehmen, auch den Zuschlag für PCR-Gurgeltests in Tirol.

Auftragswert: im hohen zweistelligen Millionenbereich. Allerdings fließe im Rahmen der Kooperation kein Geld, erklärt die Uni: "Für Novatium erbringt die Medizinische Universität Innsbruck aktuell keine entgeltlichen Leistungen. Dorothee von Laer steht aber mit Novatium in Kontakt."

Wie sehen die Betroffenen die Rolle? Von Laer war nicht erreichbar. Steininger meint: Er sei seit August nur mehr Gesellschafter bei Lead Horizon und habe auf das operative Geschäft keinen Einfluss. "Im Wiener Testregime habe ich ebenfalls keine Rolle mehr. Ich habe daher als Virologe keine Doppelrolle und keinen Conflict of Interest."

Unklares Ergebnis

In den Ländern sitzt das Geld für PCR-Test-Aufträge besonders locker. Denn die Rechnung dafür zahlt der Bund. Trotzdem ist es oft nicht möglich herauszufinden, an wen genau und wofür. In Tirol sorgte im Vorjahr die Vergabe eines millionenschweren PCR-Test-Auftrags für Schlagzeilen. Das Unternehmen HG Lab Truck, gegründet im September 2020, hatte noch in demselben Monat ohne die obligatorische Ausschreibung den bis dato größten PCR-Test-Auftrag des Landes erhalten.

Als die Opposition und Medien darauf aufmerksam wurden, dauerte es Wochen, bis das Land den Werkvertrag offenlegte – nicht ohne die relevanten Stellen davor zu schwärzen. Als der mediale Druck wegen Ungereimtheiten im Zuge dieser Vergabe zu groß wurde – eine Sonderprüfung des Landesrechnungshofs läuft derzeit –, beendete man die Zusammenarbeit. Fast zeitgleich gründete der damalige Sprecher der HG Lab Truck, ein Jurist, ein neues Unternehmen: die oben erwähnte Novatium.

Viele Tests, viel Geld, ein großer Industriezweig mit großen und kleinen Namen. Die wichtigste Frage ist allerdings, was die Testerei bringt.

Obwohl Österreich so viel testet, ist das Land bisher in vier bundesweite Lockdowns geschlittert. In der jüngsten Delta-Welle im Herbst war die Übersterblichkeit in Österreich sogar höher als in Deutschland, das eine ähnlich hohe Impfquote hat, und auch höher als in der Schweiz.

Der Wiener Mikrobiologe Michael Wagner sagt, dass solche Vergleiche wenig Sinn ergeben: In jedem Land seien die Corona-Regeln unterschiedlich streng, die Menschen halten sich unterschiedlich gut an diese Regeln, und Testen sei da nur ein Faktor.

Nicht ein paar Tausend Euro

Aber hier geht es ja nicht nur um ein paar Tausend Euro. Braucht es angesichts von Ausgaben in Milliardenhöhe nicht klare Belege dafür, was die Tests konkret bringen? Der Simulationsforscher Niki Popper sagt, dass Tests sehr wohl eine Rolle im Pandemiemanagement spielen können, weil sich damit die Infektionsdynamik bremsen lasse. Dazu müsse aber das Contact-Tracing funktionieren, das bekanntermaßen durch Omikron zusammengebrochen ist. Diese Voraussetzung fehlt also schon. Und Popper sagt auch: "Mit Testen Lockdowns auszuschließen ist realitätsfremd."

Wissenschaftliche Studien zur Wirkung der Tests gibt es in Österreich nur aus dem Schulsetting. Dort lasse sich ihr positiver Effekt auf das Fallgeschehen auch belegen. Für alles andere fehlten Daten, sagt Popper. Für eine Analyse bräuchte es Informationen dazu, wie viele Menschen in welchem Setting positiv getestet werden. Und wohl klare Parameter, um Erfolg oder Misserfolg zu messen: Was sind die genauen Ziele der Teststrategie? Das bleibt von der Politik weitgehend unbeantwortet. Das heißt aber auch: Die Teststrategie kostet viel Geld, ohne dass klar ist, was damit eigentlich erkauft wird.

"Testen ohne Maß"

In Wien wird damit argumentiert, dass in der Stadt besonders viele Menschen ohne Symptome positiv getestet werden. Das unterbreche Ketten. Dazu komme, dass die vierte Welle in der Hauptstadt deutlich glimpflicher verlaufen sei. Aber auch gegen diese Argumente finden sich Einwände. Der vierte Lockdown in Österreich wurde verhängt, als die Fallzahlen in Wien gerade rapide zu steigen begannen. Trotz Tests hat es auch da gerauscht. Und aktuell ist die Welle auch in Wien gewaltig, das Bundesland hat die zweithöchste Inzidenz.

"Österreich testet ohne Maß und leider viel zu oft auch ohne Ziel. Was das teure Testregime wirklich dazu beiträgt, die Risikogruppen und die Intensivkapazitäten zu schützen und Maßnahmenhämmer wie Schließungen zu verhindern, ist viel zu unklar", sagt Lukas Sustala, der das Neos-Lab leitet.

Eine andere Frage bleibt, ob es sich politisch überhaupt durchsetzen ließe, die Tests zurückzufahren. Viele haben sich an das Angebot gewöhnt. Die hohen Kosten des Testregimes mit fraglicher Wirkung werden uns also wohl noch länger erhalten bleiben. (András Szigetvari, Steffen Arora, Michael Matzenberger, 27.1.2022)