Wenn Caroline Egger* in die Arbeit geht, hat sie ein ungutes Gefühl. Die junge Frau ist Kindergartenpädagogin in Wien. Sie ist dreifach geimpft, testet sich regelmäßig, aber weiß: Vor einer Infektion ist sie nicht sicher. Denn Omikron wütet, die Impfung schützt, aber nicht zu 100 Prozent vor einer Ansteckung. Und sie ist umgeben von Kindern, die noch nicht geimpft sind und keine Masken tragen. Anders als in der Schule gibt es in den Kindergärten auch im dritten Pandemiejahr weder ein bundesweites Sicherheitskonzept noch einheitliche Teststrategien.

Einige Eltern testen den Nachwuchs dennoch regelmäßig, weil sie sich sorgen. "Andere sind selbst nicht geimpft, halten sich kaum an die Regeln und behaupten, Tests seien schädlich für ihr Kind. Sie dürfen ihre Kinder natürlich trotzdem bringen, und ich habe sie trotzdem auf dem Schoß und putze ihre Nase, wenn sie traurig sind", schildert Egger. Auch Abstandhalten ist keine Option, Maskentragen unvorstellbar. "Die Kinder müssen unsere Mimik sehen. Die Sprache ist wichtig für sie, Normalität ist wichtig für sie."

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Abstandhalten und Maskentragen sind im Kindergarten unvorstellbar. Pädagoginnen und Pädagogen fühlen sich nicht ausrechend geschützt.
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Egger rechnet fest damit, dass sie sich demnächst anstecken wird, und hat Angst vor Long Covid. Diese Sorgen teilen ihre Kolleginnen und Kollegen, zeigt eine Befragung der Gewerkschaft GPA Kärnten. 61 Prozent der 434 Befragten sagen, dass sie Angst um ihre eigene Gesundheit hätten. Noch mehr sorgen sie sich, Angehörige anzustecken.

Ab zwei infizierten Kindern geschlossen

Egger ist im Alltag vorsichtig, geht nicht ins Restaurant und trifft selbst geimpfte Freunde nur, wenn sie auch getestet sind. Dass sie im Job so wenig geschützt ist, ärgert sie. Was die Situation für sie noch unerträglicher macht: Seit vergangener Woche werden Kindergruppen in Wien nicht ab dem ersten Fall geschlossen, sondern erst ab zwei Fällen. Bislang ist Wien einen strengeren Weg gegangen als die anderen Bundesländer. Denn es obliegt den Ländern – und dann Gemeinden und Trägervereinen – und nicht dem Bund, wie sie die Situation regeln.

In Eggers Kindergarten gab es gerade so einen Fall: Ein infiziertes Kind war am Vortag noch im Kindergarten, hat mit anderen ein Buch angeschaut, kurz geweint und wurde getröstet. Dass sich andere dabei angesteckt haben, sieht Egger als "realistisch". Sie dürfen aber weiter kommen, ungetestet.

Der Grund dafür: Man will Familien möglichst viel Stabilität bieten. Denn mitunter sind Eltern in einer schwierigen Situation: Das Kind muss daheimbleiben, sie müssen arbeiten. "Ich kann den Wunsch der Eltern, dass für die Kinder möglichst viel Normalität herrscht, gut nachvollziehen", sagt Egger. Es sei ein "schwieriges Abwägen zwischen allen Interessen".

Diese Herausforderung sieht auch die Ökonomin Katharina Mader, Familienreferentin bei der Arbeiterkammer (AK) Wien. Das Kindergartenpersonal brauche mehr Schutz – denn auch sie sind systemkritische Beschäftigte. Die Eltern bräuchten gleichzeitig mehr Planbarkeit, immerhin hängt ihre Arbeit meist von der Kinderbetreuung ab.

Kinderbetreuung im Homeoffice

Für die Zeit, in der ein Kind nicht in den Kindergarten gehen kann, stehen jedem Elternteil zehn Pflegetage zu. Seit der Pandemie gibt es zudem drei Wochen Sonderbetreuungszeit (siehe Infokasten). Mader sagt, dass die Anträge in den Pandemiemonaten zurückgingen. Eltern nähmen eher Urlaubstage oder arbeiten mit Kindern im Homeoffice. "Mit der Sonderbetreuungszeit sollten sie aber die Möglichkeit haben, sich nur um die Kinder zu kümmern, ohne Angst um den Arbeitsplatz oder das berufliche Fortkommen zu haben."

Diana* und Lukas*, ein Elternpaar aus Wien, sorgen sich genau darum. Ihre zweijährige Tochter ist 2022 bereits zum zweiten Mal in Quarantäne. Auch wenn ihnen Sonderurlaub oder Pflegetage zustehen, hat das Paar Hemmungen, sie in Anspruch zu nehmen. Diana ist Führungskraft in einem Start-up und sagt: "Ich bekomme Schnappatmung, wenn ich daran denke, was auf mich wartet, wenn ich zwei oder drei Tage weg bin." Niemand übernehme ihre Arbeit, wenn sie wiederkommt, sei umso mehr zu tun. Ähnlich ist es für ihren Partner, einen IT-Projektmanager. Beide wollen zeigen, dass sie ebenso verlässlich sind wie kinderlose Kolleginnen und Kollegen.

Also teilt sich das Paar die Betreuung der Tochter auf. Dank 30-Stunden-Woche hat Diana am Mittwoch frei und Lukas am Freitag. An den restlichen Tagen arbeiten sie in Schichten: er von acht bis 14 Uhr und sie von 14 bis 20 Uhr. "Wir haben das Glück, dass wir uns unsere Arbeit extrem flexibel einteilen können." Dennoch ermüdet es das Paar, "nichts richtig planen zu können".

Schnupfen oder Corona?

Zudem ist da die Sorge um die Gesundheit des Kindes. Selbst wenn ihre Tochter in wenigen Tagen wieder in den Kindergarten kann, fragt sich das Paar, ob das auch sinnvoll ist. "Ist es gut, wenn alle Kinder wiederkommen? Vielleicht ist ja eines noch infektiös?" Hier treffen sich die Ängste der jungen Eltern mit jenen des Kindergartenpersonals.

Die Kinder, Eltern sowie Pädagoginnen und Pädagogen sollten sich darauf verlassen können, dass das rotzende Kind nur Schnupfen hat, nicht Covid, findet Mader. Die AK fordert, wie etwa auch der Gewerkschaftsbund, eine Testpflicht analog zur Schule. Kleinkinder könnten mit Lollipop-Test getestet werden, von den Eltern oder dem Personal. Wobei Mader dafür plädiert, die Pädagogen für die Tests personell zu unterstützen.

Egger könnte sich gut vorstellen, zu testen. Sie sagt, dass wohl auch die meisten ihrer Kolleginnen dazu bereit wären – und auch die Kinder. "Sie freuen sich immer, wenn sie einen Beitrag leisten können." Eine Alternative wäre, dass die Eltern Lollipop-Tests ausgehändigt bekommen, deren Ergebnis sie wieder im Kindergarten melden. Kinder ab drei Jahren können optional einen Gurgeltest machen. Dazu wären viele Eltern bereit, legt eine aktuelle Umfrage des Netzwerks elementare Bildung Österreich nahe.

Keine Durchseuchung

Das Bildungsministerium verweist auf STANDARD-Anfrage darauf, dass die Kompetenzen dafür bei den Ländern liegen und man bereits im September eine Testung von Kindergartenkindern "soweit möglich" empfohlen hat. Einen offiziellen Überblick, wie das die jeweiligen Bundesländer derzeit handhaben, gibt es nicht. Laut Recherchen des ORF laufen die Tests großteils auf freiwilliger Basis. Im Burgenland und in Niederösterreich würden sie flächendeckend angeboten. In der Steiermark gebe es seit kurzem ein großes Angebot an Antigen-Lollipop-Tests. In Wien berief sich die Stadt auf das PCR-Test-Angebot "Alles gurgelt". In Salzburg werden zwei Tests pro Woche empfohlen.

Verpflichtende Tests, mehrmals pro Woche wünschen sich auch Diana und Lukas. Sie finden: Kindergärten offen zu halten sollte nicht eine Durchseuchung bedeuten. Was es ihnen leichter machen würde, ihre Pflegetage in Anspruch zu nehmen? Eine Unternehmenskultur, in der nicht erwartet wird, dass man zwischen Windelwechseln, Bauklötzen und Essen kochen produktiv arbeiten kann. (Lisa Breit, Selina Thaler, 27.1.2022)

*Namen der Redaktion bekannt