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Sein Stuhl wackelt: der montenegrinische Premierminister Zdravko Krivokapić.

Foto: Reuters / Hannah McKay

Die montenegrinische Regierung ist angezählt. Am 4. Februar wird im Parlament ein Misstrauensvotum über die Bühne gehen, aller Wahrscheinlichkeit nach wird es von einer Mehrheit der Abgeordneten unterstützt werden. Hinter der Rebellion steht vor allem Vizepremier Dritan Abazović von der grün-liberalen Partei Ura, der das Misstrauensvotum gemeinsam mit der Opposition unterstützt.

Abazović will künftig eine Minderheitsregierung mit Vertretern der albanischen und bosniakischen Minderheit sowie einer kleineren serbischen Partei bilden. Die neue Regierung soll von der Partei des Langzeitregenten und Präsidenten Milo Đukanović, der DPS, unterstützt werden, diese soll aber nicht Teil der Koalition sein. Bis zum historischen Machtwechsel im Jahr 2020 war die DPS 29 Jahre lang an der Macht gewesen.

Die Krise im aktuellen Kabinett spitzte sich zu, nachdem Abazović am 17. Jänner angekündigt hatte, diese Minderheitsregierung formieren zu wollen. Premierminister Zdravko Krivokapić und andere beschuldigten Abazović daraufhin des politischen Betrugs und forderten seine Entlassung. Am Montag übernahm Krivokapić dann auch das Ministerium für Justiz, Menschen- und Minderheitenrechte, das zuvor von dem mit Abazović verbündeten Innenminister Sergej Sekulović geleitet wurde. Am selben Tag wurde Außenminister Đorđe Radulović als Leiter der montenegrinischen Delegation für EU-Beitrittsverhandlungen entlassen, der ebenfalls Abazović nahesteht.

Dünne Mehrheit

Krivokapić will Abazović zudem als Leiter des Büros für die Koordinierung der Sicherheitsdienste absetzen, eine zentrale Funktion in Montenegro. Insbesondere die USA halten es für wichtig, dass in Montenegro prowestlich orientierte Leute wie Abazović diese Position innehaben.

Die derzeitige Regierung wurde am 4. Dezember 2020 mit 41 der insgesamt 81 Stimmen im Parlament gewählt. Bei der Wahl im August 2020 hatten die drei Wahlfraktionen, die die Koalition unterstützen, eine knappe Mehrheit gegen die DPS erzielt.

Doch nicht nur dass die Regierung auf dieser nur dünnen Mehrheit basiert, sie umfasst auch ideologisch komplett konträr ausgerichtete Parteien wie die serbisch-nationalistische Demokratische Front (DF) und eben die grün-liberale Ura. Bisher war es kaum möglich, Reformvorhaben umzusetzen. Mit dem Scheitern der jetzigen Koalition bekommt Đukanovićs DPS wieder eine Möglichkeit mitzubestimmen. Dies ist, insbesondere wenn es um die Rechtsstaatlichkeit geht, problematisch. Denn während der 30 Jahre unter der Ägide von Đukanović wurde die Unabhängigkeit der Justiz systematisch unterlaufen, die Institutionen wurden von der DPS kontrolliert.

Serbischer Einfluss

Mit dem Misstrauensvotum am 4. Februar dürfte Premier Krivokapić sein Amt verlieren. Widerstand gegen eine Minderheitsregierung wird sicherlich auch von der DF und ihren Unterstützern in der serbischen Orthodoxie kommen. Krivokapić kündigte diese Woche an, bald einen Staatsvertrag mit der serbisch-orthodoxen Kirche zu schließen. Die Orthodoxie spielte beim Machtwechsel 2020 eine maßgebliche Rolle, sie wird großteils aus dem Nachbarstaat Serbien dirigiert.

Die nichtnationalistischen, bürgerorientierten Kräfte in Montenegro haben große Vorbehalte gegen diese serbisch-nationalistischen Kräfte. Zuletzt zogen sich Akteure der Zivilgesellschaft aus dem Nationalen Rat für den Kampf gegen schwere Korruption zurück, weil Krivokapić den Vorsitz des Rates statt Abazović übernahm. Die Koalition scheint angesichts dieser Entwicklungen schon vor ihrem formellen Ende komplett zerbröselt zu sein. (Adelheid Wölfl, 28.1.2022)