Der Anwalt Béla Lampel aus Novi Sad in der Vojvodina war 46 Jahre alt, als sein Leben am 5. April 1945 im Konzentrationslager Ebensee am Traunsee zu Ende ging. Lampel, Häftlingsnummer 135952, "ungarischer Jude", starb an "akuter Herzschwäche", wie die SS-Kommandantur penibel zu Protokoll gab. Eine zynische Lüge. "Tatsächlich", erklärt Martin Dunst von der Mauthausener KZ-Gedenkstätte, "starb in einem KZ so gut wie niemand eines natürlichen Todes." So wie mehr als 90.000 andere Menschen, die in Mauthausen und in mehr als 40 Nebenlagern zwischen 1938 und 1945 starben, wurde Béla Lampel ermordet.

Israels Außenminister Yair Lapid (Mitte) gedachte gemeinsam mit Bundeskanzler Karl Nehammer (li.) und Außenminister Alexander Schallenberg (re.) der Opfer des NS-Terrors.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

77 Jahre später stand sein Enkelsohn am Donnerstag, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, bei eisigem Wind auf dem Appellplatz des früheren KZ Mauthausen und legte vor dem Sarkophag einen Kranz nieder. Dessen Schleife zieren die blau-weißen Farben Israels. Als Außenminister und Co-Premierminister ist Béla Lampels Enkel Yair Lapid der höchstrangige israelische Politiker seit Präsident Moshe Katzav 2004, der Österreichs bedeutendste Erinnerungsstätte besucht.

Lapid, der als Oppositionspolitiker 2016 schon einmal in Mauthausen war, um seines ermordeten Großvaters zu gedenken, besichtigte am Donnerstag auch den sogenannten "Raum der Namen". Früher, erzählt Mauthausen-Experte Dunst, wurde dort das Brennholz für die Krematorien gelagert, mithilfe deren sich die SS der Leichname ihrer Opfer entledigte. Heute sind dort 81.000 Namen von Opfern in dunkles Glas eingraviert. An der Stelle, an der Béla Lampels Name steht, zündete Lapid eine Kerze an. In seiner Rede erklärte er, dass ihn sein Großvater hergeschickt habe, um in seinem Namen zu sagen, dass die Juden nicht aufgegeben haben. "Die Nazis dachten, sie wären die Zukunft und Juden würde es nur noch im Museum geben. Stattdessen ist der jüdische Staat die Zukunft, und Mauthausen ist ein Museum."

Persönliche Entschuldigung

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erklärte, den Opfern ihren Namen zurückzugeben, das sei der wahre Sieg über die Nationalsozialisten. Die Erinnerung an die Ermordeten lebendig zu halten helfe dabei, eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern. Im Namen Österreichs bat Nehammer Lapid persönlich um Entschuldigung für den gewaltsamen Tod seines Großvaters.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der im Rahmen eines Telefonats im vorigen Sommer von der tragischen Familiengeschichte seines israelischen Amtskollegen erfahren hatte und diesen daraufhin einlud, unterstrich die Verantwortung Österreichs, weltweit "entschlossen und konsequent" gegen jede Form von Antisemitismus aufzutreten. "Nur wenn Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt in Sicherheit und Freiheit leben können, kann aus einem ‚niemals vergessen‘ wirklich ein ‚niemals wieder‘ werden", sagte er.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), dessen Ressort für die Gedenkstätte verantwortlich zeichnet, versprach dem Besucher aus Israel sein Bemühen, angesichts der "unglaublichen Gräuel", die in Mauthausen geschehen sind, für Demokratie und Menschlichkeit einzutreten. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) bedankte sich bei Lapid für den Besuch an einem Ort, der für das dunkelste Kapitel der österreichischen Geschichte stehe. Leider, fügte er an, sei gerade sein Bundesland voller solcher Orte – Gusen etwa, wo sich ebenfalls ein Konzentrationslager befand, oder Ebensee, wo Lapids Großvater ermordet wurde. Die Gedenkstätte in Mauthausen sei aber auch ein "sichtbares Zeichen gegen jegliche Feinde der Demokratie".

Besuch in Wien

Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung machte sich die streng bewachte israelische Delegation samt ihren österreichischen Gastgebern auf den Weg nach Wien, wo noch ein Besuch der Shoah-Namensmauer-Gedenkstätte auf dem Programm stand. (Florian Niederndorfer aus Mauthausen, 27.1.2022)