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Die Erklärungen der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht waren peinlich.

Foto: AP/Hannibal Hanschke

Folgt man Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, müssen sich die Menschen in der Ukraine keine Sorgen machen. "Wir stehen an eurer Seite", erklärte die deutsche Sozialdemokratin, als sie sich zur Drohung einer militärischen Intervention durch russische Truppen äußerte. Als "ein ganz deutliches Signal" dafür hatte sie den Umstand angeführt, dass die Ampelregierung in Berlin der ukrainischen Armee 5000 Schutzhelme liefern werde.

Lambrecht meinte das ernst. Der Lieferung von Defensivwaffen wie Panzerabwehrkanonen, die man gegen einen Aggressor von außen dringend brauchen würde, erteilte das Kabinett von Kanzler Olaf Scholz hingegen eine Abfuhr.

Die Erklärungen der Verteidigungsministerin waren peinlich. Deutschland als eines der Schlüsselländer europäischer Sicherheitspolitik untergräbt mit solchen Ausrutschern Bemühungen der Partnerstaaten in EU und Nato, gegen die Vorstöße des russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Gegengewicht aufzubauen. Der Bürgermeister von Kiew, der deutsch-ukrainische Ex-Boxer Vitali Klitschko, bezeichnete die Helmpolitik aus Berlin zu Recht als "absoluten Witz".

Unfähigkeit

Was auf den ersten Blick wie eine Posse anmutet, dokumentiert in Wahrheit die Unfähigkeit gemeinsamer europäischer Sicherheitspolitik. Schon wieder. Wenn Deutschland sich neutralistisch verhält, spielt das Putin in die Hände. Es besteht kein Zweifel, dass wirtschaftliche Gründe dafür verantwortlich sind, zum Teil auch historische: Man will es sich mit Russland nicht verscherzen.

Von einem Land wie Österreich ist man das seit langem gewohnt. Beispiel Nord Stream 2, die für russische Gasexporte nach Europa so wichtige Pipeline, die die Ukraine im Fall einer Inbetriebnahme noch mehr in die Defensive drängen würde. Sowohl Außenminister Alexander Schallenberg wie auch Bundeskanzler Karl Nehammer werden nicht müde zu betonen, dass Nord Stream 2 nicht in die Planungen von Sanktionen gegen Moskau im Falle einer Militärintervention einbezogen werden sollte. Die Pipeline sei ja noch gar nicht in Betrieb, heißt es am Ballhausplatz.

Scheinheiliger geht es nicht. Dahinter steckt reiner energiepolitischer Egoismus. Österreich hängt am russischen Gastropf wie ein Süchtiger an der Nadel. Dass auch deutsche Solidarität mit den Ukrainern, die sich nach Demokratie und Freiheit in Europa sehnen, bei Gaslieferungen, Atomausstieg und Energiewende ihre Grenzen hat, das hat vor dem Wochenende bereits Kanzler Scholz gezeigt. Seine Begründung: Nord Stream 2 sei ein "Privatunternehmen".

Historische Verantwortung

Kein Wunder, wenn die Nato-Partner dies- und jenseits des Atlantiks sich bereits offen beunruhigt zeigen. Deutschland – wie auch Österreich – muss seine Haltung ändern, darf sich nicht entziehen, wenn es darum geht, einem Aggressor entgegenzutreten.

Das gebietet allein schon die historische Verantwortung, die beide Länder für die Menschen in der Ukraine haben. Das Land war während der Naziherrschaft eines der schrecklichsten "Bloodlands", so der Titel eines berühmten Buches von Timothy Snyder, der das Massenmorden von Hitler und Stalin in Osteuropa vor und während des Zweiten Weltkrieges beschrieb. Millionen Zivilisten, die meisten von ihnen Juden, fielen dem Grauen zum Opfer. Die Ukraine hat es verdient, endlich in Freiheit und Frieden zu leben. Dafür müssen die Europäer alles tun, nicht wegschauen. (Thomas Mayer, 28.1.2022)