Die drei Hauptangeklagten Karl-Heinz Grasser, Walter Meischberger und Peter Hochegger (von rechts) haben bereits angekündigt, das Urteil zu bekämpfen.

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Am 420. Tag war es so weit: Am Freitag hat Richterin Marion Hohenecker Karl-Heinz Grasser und den anderen Angeklagten in der Causa Buwog und Terminal Tower das schriftliche Urteil zustellen lassen. Es wurde ein ziemlicher Wälzer mit 1.280 Seiten.

In der größten Korruptionscausa der Zweiten Republik war sieben Jahre lang ermittelt worden, bevor am 12. Dezember 2017 die Hauptverhandlung im Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts Wien begann. 168 Tage wurde verhandelt. Am 4. Dezember 2020, also drei Jahre später, verkündete die Richterin das Urteil. Ein sichtbarer Schock für die drei Hauptangeklagten: Grasser bekam acht Jahre Haft aufgebrummt, der Ex-Lobbyist Walter Meischberger sieben und Peter Hochegger, ebenfalls Ex-Lobbyist, sechs Jahre.

Sechs Angeklagte wurden vom Schöffensenat freigesprochen – diese Entscheidungen sind auch rechtskräftig. Grasser sagte nach der Urteilsverkündung, er habe in der Früh noch an seinen Freispruch geglaubt, er sei "traurig und schockiert". Das Urteil, für dessen Verlesung die Richterin zwei Stunden und 37 Minuten brauchte, nannte er ein "glattes Fehlurteil" und ein "politisches Urteil". Meischberger warf der Richterin auch Befangenheit vor.

Untreue, Geschenkannahme und Bestechung

Die Anwälte der drei Hauptangeklagten (aber nicht nur sie) meldeten noch in der Verhandlung Rechtsmittel an, Berufung und Nichtigkeit – die Urteile sind also nicht rechtskräftig, und es gilt die Unschuldsvermutung.

Seitdem sind fast 14 Monate ins Land gezogen – so lang hat die Vorsitzende des Richtersenats für die schriftliche Ausfertigung des Urteils gebraucht. Nun ist das schriftliche Urteil da, und die Richterin beschreibt darin, was die Angeklagten getan haben, welche Delikte sie damit begangen haben und anhand welcher Beweise der Schöffensenat zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Angeklagten die ihnen vorgeworfenen Taten vorsätzlich begangen haben.

Zur Erinnerung: Die Causa Buwog / Terminal Tower spielt in der Ära Finanzminister Grasser und dreht sich um die Privatisierung der Bundeswohnungsgesellschaften, von denen eine die Buwog war. Grasser wurde im Strafprozess wegen Untreue, Beweismittelfälschung und Geschenkannahme durch Beamte verurteilt, der Zweitangeklagte Meischberger wegen der Beihilfe zu Grassers Taten sowie der Beweismittelfälschung. Hochegger, der gleich zu Beginn des Prozesses ein Teilgeständnis abgelegt hatte, wurde neben der Beitragstäterschaft zu Grassers Delikten auch wegen jener zur Bestechung des früheren Finanzministers durch den damaligen Immofinanz-Chef Karl Petrikovics und den Ex-Chef der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich verurteilt.

900 Seiten Beweiswürdigung

Gemäß Urteil ist es dabei zu verdeckten Provisionsabsprachen (9,6 Millionen Euro, ein Teil soll auch bei Grasser gelandet sein) gekommen. 200.000 Euro sollen bei der Einmietung der Finanz in den Terminal Tower in Linz geflossen sein. Laut Schöffensenat war das Untreue zulasten der Republik. Zudem gibt es noch den Verfahrensstrang Telekom Austria, in dem es um Untreue und eine schwarze Kassa bei Hochegger ging; verurteilt wurde da neben Hochegger auch der frühere Finanzchef der Telekom Austria, Rudolf Fischer.

Allein die Aufzählung der Schuldsprüche und der Freisprüche umfasst an die 45 Seiten. Die Beweiswürdigung nimmt mit knapp 900 Seiten den allergrößten Teil des schriftlichen Urteils ein, das dem STANDARD vorliegt. Allein der Zuordnung der Konten, auf denen die Provision gelandet ist, widmet die Richterin rund 170 Seiten – Grasser beteuert ja, dass ihm keines der Konten zuzuordnen war und Hochegger sagte aus, dass sie ihm gehört hätten.

Der große Umfang der Beweiswürdigung liegt an den vielen Angeklagten, den vielen Delikten und vor allem den vielen Beweismitteln. So haben allein rund 150 Zeugen in der Hauptverhandlung ausgesagt, hunderte Dokumente wurden besprochen. Der Rest des Urteils entfällt auf die rechtliche Beurteilung. Auch auf die sechs Freisprüche hatte Hohenecker einzugehen, wobei sie sich da kürzer halten durfte, weil sie ja schon rechtskräftig sind.

"Informant" Grasser

Die Richterin hat keinen Zweifel daran, dass der Zuschlag der Bundeswohnungen ans Konsortium aus Immofinanz und Raiffeisenlandesbank OÖ "pflichtwidrig" erfolgt sei, sie führte dafür schon bei der mündlichen Urteilsverkündung etliche Zeugenaussagen ins Treffen. Bei der entscheidenden Frage, wer der Immofinanz verraten hat, wie viel Mitbieter CA Immo auf den Tisch legen wollte, ist die Richterin sicher, dass "nur Grasser als Informant infrage kommt", wie sie sagte. Glauben hat sie auch jenen Zeugen geschenkt, die seit jeher von einem Tatplan berichtet hatte n– warum die glaubwürdig seien, erklärt sie in der Urteilsausfertigung.

Und auch die liechtensteinischen Konten, über die die Provisionen geflossen sind, wertete Hohenecker als belastend: "Wer redlich wirtschaftet, benötigt keine Konten in Liechtenstein", hatte sie dazu im Großen Schwurgerichtssaal ebenso knapp wie überzeugt gemeint. Auch die dahinterstehenden Kontoverbindungen und Geldflüsse nehmen im Urteil einigen Raum ein. Dasselbe gilt für das berühmte "Schwiegermuttergeld" in Höhe von 500.000 Euro. Dieses will Grasser von der Mutter seiner Frau bekommen haben, die damit seine Familiengründung unterstützt haben soll, wie er im Verfahren aussagte. Zuvor hatte er stets ausgesagt, er habe das Geld veranlagen sollen, die Schwiegermutter habe so sein Veranlagungstalent auf die Probe stellen wollen, was die Richterin als "abwegig und widerlegt" bezeichnete.

Fruchtlose Fristsetzungsanträge

Grasser und Meischberger hatte es bis zur Urteilsausfertigung viel zu lang gedauert; eigentlich sind gemäß Gesetz nur vier Wochen dafür vorgesehen, das gilt aber nicht für große Verfahren. Grassers bzw. Meischbergers Anwälte, Manfred Ainedter und Norbert Wess bzw. Jörg Zarbl, hatten im Herbst und vor Weihnachten Fristsetzungsanträge gestellt, mit denen sie die Sache beschleunigen wollten. Sie blitzten damit aber ab, das Oberlandesgericht Wien erklärte das mit der großen Komplexität des Verfahrens.

Zwar sei "verhältnismäßig lange Zeit" verstrichen seit der Urteilsverkündung, aber der Akt umfasse 241 Bände mit fast 5.000 Aktenteilen, allein das Verhandlungsprotokoll fülle 16.000 Seiten. Zudem müsse die Richterin die Aussagen von 15 Angeklagten und rund 150 Zeugen würdigen. Und: Beim Anspruch, das Urteil sorgfältig auszufertigen, sei "die bisher in Anspruch genommene Zeit gerechtfertigt", begründete das OLG Wien.

Rechtsmittel folgen

Beide, Grasser und Meischberger, haben bereits angekündigt, wegen der langen Dauer des Verfahrens vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu ziehen. Meischbergers Anwalt hatte nach der Urteilsverkündung von einem "unfassbaren Fehlurteil, bei dem Meischberger im Zweifel verurteilt wurde", gesprochen. Man werde auch die Fragen der Befangenheit der Richterin (die Meischberger wie Grasser orten) sowie der Überwachung der Verteidiger im Verhandlungssaal (die Videoaufzeichnung wurde in den Verhandlungspausen lange nicht gestoppt) vor den EGMR bringen.

Nun studieren die Anwälte einmal die Urteilsausfertigung, danach werden sie ihre Rechtsmittel einbringen. Die Frist dafür (eigentlich nur vier Wochen ab Zustellung) wird wohl verlängert, auch das wegen des riesigen Umfangs des Aktes. Angekündigt haben sie sowohl Berufung gegen die Strafhöhe als auch Nichtigkeitsbeschwerden, über Letztere entscheidet der Oberste Gerichtshof (OGH). An der Beweiswürdigung von Richterin Hohenecker können sie dabei nicht mehr rütteln, das ist bei Schöffen- und Geschworenenverfahren nicht zulässig.

OGH kommt ins Spiel

Nur sogenannte formale Nichtigkeitsgründe dürfen sie ins Treffen führen, etwa eine mangelhafte Urteilsbegründung. Punkt für Punkt werden sie die Begründung der Richterin auseinandernehmen, infrage kommen dafür etwa unrichtig wiedergegebene Zeugenaussagen, das Erwähnen von Beweisen, die in der Verhandlung nicht vorkamen, oder eine unvollständige Beweiswürdigung. Damit muss sich dann der OGH beschäftigen. Für die Berufung gegen die Strafhöhe ist das Oberlandesgericht Wien zuständig – wobei auch der OGH darüber entscheiden kann. Kippt der OGH das Urteil, heißt es zurück an den Start, in die erste Instanz. (Renate Graber, 28.1.2022)