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Neurobiologe Gerald Hüther nennt "Loving Kindness" als Dreh- und Angelpunkt der Zukunftsfähigkeit.

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Ach, was wir alles sein müssen und können müssen, um "zukunftsfähig" zu sein. Alle Plattformen haben Listen. Wahrscheinlich sind die auch irgendwie bei Recruitern zusammengeführt. Sie kennen das ja nunmehr – es reicht von: Sei empathisch! Change your mindset! Bis: Sei resilient! Sei adaptiv! Klar, wir sollen Maschinen die Hand reichen, unsere Jobs leidenschaftlich (jeden Tag den ganzen Tag!) lieben und uns natürlich permanent "upskillen". Wie viele Kandidatinnen und Kandidaten wohl in solche Anforderungsprofile passen?

Aber so ist das mit diesem Geschäft – es sucht die eierlegende Wollmilchsau. Und sämtliche Zulieferbranchen, also Berater und die Weiterbildungsindustrie, machen natürlich mit.

Kein Gegensatz

Einer schert allerdings aus, wenn es um den Kanon der wichtigsten Zukunftskompetenzen rund um die optimale Einsatzfähigkeit in der Wirtschaft geht. Nein, es ist nicht der Dalai Lama, sondern der Neurobiologe Gerald Hüther. Er treibe Wissenschaft für eine liebevollere Welt, sagte er vor einem Jahrzehnt in Interviews – und wer ihn nicht verlacht hat dafür, der hat zumindest die Nase gerümpft. Wissenschaft und liebevoll? Job und liebevoll?

Wer will und braucht schon liebevolle Menschen in der Arbeitswelt? Da sind doch "Ressourcen", die funktionieren, die produktiv sind und einen Return on Investment bringen, gefragt. Dass gleichzeitig immer "das Menschliche" im krassen Gegensatz beschworen wird – wen kümmert’s?

Zukunftsfähig

Hüther kümmert’s. Er bleibt dabei. Im durchaus wirtschaftlich positionierten Sammelband Future Skills – 30 zukunftsentscheidende Kompetenzen und wie wir sie lernen können (erschienen im Vahlen-Verlag Ende 2021) nennt er "Loving Kindness" als Dreh- und Angelpunkt der Zukunftsfähigkeit. Zitat: "Es mag auf den ersten Blick befremdlich klingen, aber liebevoll zu sein im Umgang mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit anderen Lebewesen ist die wichtigste Fähigkeit, die wir brauchen, um unsere Zukunft menschlich, lebendig und nachhaltig zu gestalten."

Wahrscheinlich ist das sogar der größte Mangelpunkt – und alles andere ergibt sich erst daraus. Vertrauen. Zugehörigkeit. Gemeinschaft, Sinn – und das Bewusstsein dafür, dass wir nicht alles machen sollten, was wir (technisch) können. Wahrscheinlich ist das jene Haltung, aus der heraus sich die großen Fragen – Klimawandel und soziale Ungleichheit – erst wirklich lösen lassen. Vielleicht bleibt die Häme auf diese Ansage jetzt, ein paar Jahre später, endlich aus. Vielleicht beginnen wir zu verstehen. (Karin Bauer, 31.1.2022)