Amanda blickt direkt in die Kamera. Sie lächelt, eine blonde Haarsträhne fällt ihr ins Gesicht. Auf ihrem Schoß sitzt ihre Tochter Chanelle, das Haar zu kunstvollen Zöpfen gebunden, die Fingernägel rot lackiert. Die Viereinhalbjährige trinkt von Mamas Busen.

Ein Kindergartenkind, das nach wie vor von seiner Mutter gestillt wird: Es ist ein ungewöhnlicher Anblick – kaum zu beobachten auf der Straße, im Café oder auf dem Spielplatz.

Amanda gibt ihrer Tochter Chanelle, viereinhalb, schon länger nicht mehr in der Öffentlichkeit die Brust – aus Angst vor negativen Reaktionen.
Foto: Steffi Drerup

Aufgenommen wurde das Foto von der Berliner Fotografin Steffi Drerup, die an der renommierten Ostkreuzschule studiert. In ihrem Projekt Mamma porträtiert sie Mütter wie Amanda, die ihren Kinder mehrere Jahre lang die Brust geben. Das älteste Kind, das Drerup in ihrer Fotoserie zeigt, ist sechseinhalb.

Einige der Frauen hat Drerup direkt angesprochen, andere über Hebammen, Bekannte und Freundinnen kennengelernt, wieder andere über soziale Medien gefunden und angeschrieben. Sie leben in den verschiedensten Ecken der Welt, in Australien, den USA, Deutschland oder Dänemark.

Aus der Tabuzone raus

Sie wolle das lange Stillen aus der Tabuzone herausholen, erklärt Drerup, zeigen, dass es ein normaler Teil der Realität sei. Der direkte Blick der Frauen in die Kamera war ihr wichtig, "weil sie dadurch stark wirken". Sie erwidern selbstsicher den Blick des Betrachters oder der Betrachterin.

Jessica hat zwei Kinder. Ihre Tochter Calliope stillte sie, bis sie drei war.
Foto: Steffi Drerup

Wenn ein Kind gestillt wird, das kein Baby mehr ist, finden das viele anstößig. Die Mütter müssen sich rechtfertigen: Ob das lange Stillen das Kind nicht verwöhne? Unselbstständig werden lasse? Das ist doch abnormal! Und überhaupt: Sei das nicht sogar ungesund?

Fachleute finden diese Sorgen unbegründet. Es gebe "keine Hinweise auf schädliche Effekte auf die Psyche oder die Entwicklung", wenn ins dritte Lebensjahr hinein oder länger gestillt werde, schreibt die American Academy of Pediatrics, der weltweit größte Verband von Kinderärztinnen und Kinderärzten. Zudem wird vermutet, dass sich das Abwehrsystem länger gestillter Kinder womöglich günstiger entwickelt.

Dennoch fürchten sich viele Mütter so sehr vor negativen Reaktionen, dass sie nicht mehr in der Öffentlichkeit stillen – so wie die Australierin Amanda, die von Drerup porträtiert wurde.

Kontrovers diskutiert

Auch in den Medien kommen Langzeitstillende teils nicht gut weg. Vor einigen Jahren zeigte das US-amerikanische Time-Magazine auf einem Titelblatt die damals 26-jährige Jamie Lynne Grumet, wie sie ihrem fast vierjährigen Sohn Aram die Brust gibt. Der Bursche steht auf einem kleinen Hocker und hat ihren Nippel im Mund. Das Magazin titelte "Are You Mom Enough?", wohl als Anspielung auf die Redewendung: "Bist du Manns genug?"

Bei Jazzsängerin Chris und ihrem fünfjährigen Sohn Emil ist das Stillen meist Teil des Kuschelns.
Foto: Steffi Drerup

Eigentlich ging es in der Geschichte um das sogenannte Attachment-Parenting, eine Erziehungslehre aus den 1980ern, die angeblich die Eltern-Kind-Beziehung fördern soll. Weit mehr Aufsehen als der Text erregte allerdings das Titelbild, das kontrovers diskutiert wurde, nicht nur in den USA. Nach dem Erscheinen hätten ihr manche Menschen gedroht, dass sie die Behörden informieren würden, sagte Grumet. Dass sie ihren Sohn noch stille, sei Kindesmissbrauch.

Brust wurde sexualisiert

"Man kann kein Kind an die Brust zwingen. Wenn ein Kind das nicht will, dann geht es sowieso nicht", sagt die Fotografin Drerup. Auch ihre Arbeit polarisierte. Zwar gab es Menschen, die ihr gratulierten, aber eben auch böse Kommentare. Andere Frauen berichten von regelrechten Shitstorms, wenn sie solche Fotos von sich öffentlich posten.

Warum polarisiert das Thema so?

Das habe damit zu tun, dass im Laufe der vergangenen Jahrhunderte die Brust stark sexualisiert und Teil des kulturellen Allgemeinguts wurde, erklärt Steffi Drerup, die sich für ihr Projekt auch eingehend mit Kunstgeschichte beschäftigte. Dadurch, dass die Brust und ihre Wirkungskraft etwa in der Werbung genutzt werde, sei sie nicht mehr "privat". Sie ist öffentlich, überall sichtbar und wird auch kritisch beäugt. "Sie ist immer entweder zu groß oder zu klein, das Dekolleté zu freizügig oder zu hochgeschlossen."

Dass Tina ihre Tochter Maggie, fünfeinhalb, nach wie vor stillt, hat sich so ergeben.
Foto: Steffi Drerup

Beim Stillen hören die Kommentare nicht auf. "Am Anfang wird die Intimität zwischen Mutter und Kind noch als ganz natürlich angesehen, aber nach einer gewissen Zeit gibt es die Erwartung, dass die Brust wieder für den Mann frei sein soll."

Weder sexy noch Übermutter

Es scheint, als gebe es nur ein kurzes Zeitfenster, in dem das Stillen gesellschaftlich akzeptabel ist: ungefähr zwischen der Geburt und dem ersten Lebensjahr. Danach wird der Busen wieder zum sexualisierten Körperteil.

Drerup versucht einen ganz anderen Zugang: weder sexy noch aufopfernde Übermutter. Sie zeigt die Stillenden zumeist in ihrem Zuhause, auf dem Bett oder dem Sofa. Die Bilder sind inszeniert, aber wirken trotzdem nicht aufgesetzt. "Ich versuche, ganz neutral an das Thema heranzugehen", sagt die deutsche Fotografin.

Sie hat selbst fünf Kinder und alle gestillt. Ihren jüngsten Sohn zweieinhalb Jahre lang. Eine "Verfechterin des langen Stillens" sei sie deshalb jedoch nicht. Jede Frau sollte es so machen können, wie sie es für richtig hält, findet sie. Frauen, die nicht stillen wollen oder können, sollten sich ebenfalls nicht rechtfertigen müssen.

Zum Stillen gedrängt

Tatsächlich ist aber auch der Druck in diese Richtung groß. So ist Werbung für Premilch in der EU stark reglementiert, auf den Verpackungen muss immer auf die Vorzüge des Stillens hingewiesen werden, und auf vielen Geburtenstationen werden Mütter regelrecht dazu gedrängt. Kommt kein Tropfen Milch aus der Brust oder saugt das Baby nicht, fühlt sich manch eine als Versagerin.

Marisa war es wichtig, ihrem Sohn Abraham möglichst lange die Brust zu geben. Denn zwei Wochen nachdem das Foto aufgenommen wurde, ließ Marisa eine präventive Mastektomie durchführen, da mehrere ihrer Tanten an Brustkrebs erkrankt waren. Abraham ist auf dem Bild zweieinhalb.
Foto: Steffi Drerup

Wer sich bewusst gegen das Stillen entscheidet – aus welchen Gründen auch immer –, muss mit viel Unverständnis und schiefen Blicken rechnen. Dieses "Fläschchen-Shaming" ist in Onlineforen gut zu beobachten, aber nicht nur dort: Auch Freunde, Großeltern und sogar Wildfremde fühlen sich zu Kommentaren veranlasst, wenn eine Mutter wieder arbeiten gehen will und der Papa in der Nacht das Füttern übernimmt.

Die Schweizer Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach zeigt in ihrem Buch Die erschöpfte Frau, dass das "glückliche Kind" auch heute noch vorwiegend als die Aufgabe von Frauen betrachtet wird. Jede Entscheidung in ihrer Mutterschaft darf nur entlang bedingungsloser Liebe getroffen werden. Pragmatische Gründe oder gar, weil eine Mutter auch ihre eigenen Bedürfnisse wahrnimmt – das darf nicht sein.

Über Mutterschaft wird somit in einem besonderen Maße moralisch geurteilt, sagt Schutzbach. Auch Erziehungsratgeber und diverse Auslegungen von Bindungstheorien tragen das ihrige zu hohen Erziehungsidealen bei, die nach wie vor Frauen erfüllen sollen. Das Glück oder Unglück eines Kindes ist vor allem ihr Erfolg oder ihr Scheitern. Und dieses "Unglück" scheint für viele oft schon beim falschen Zugang zum Stillen seinen Lauf zu nehmen.

Hier ist Sara mit ihrer Tochter Molly zu sehen. Auf dem Foto ist sie gerade mit ihrem zweiten Kind schwanger.
Foto: Steffi Drerup

Stillt eine Mutter nicht, gilt sie als "egoistische Rabenmutter", stillt sie zu lange, als "Helikoptermama" oder unfeministische "Glucke". Wie kann es da gelingen, einen halbwegs entspannten Zugang zu finden?

Gut in sich hineinhören

Sich von allen gesellschaftlichen Erwartungen freizumachen ist alles andere als leicht. Das hat auch die Fotografin Drerup erlebt, die ihr ältestes Kind abstillte, weil sich die komischen Blicke und Fragen häuften.

Jungen Müttern empfiehlt sie, "gut in sich hineinzuhören und zu schauen, womit sie sich wohlfühlen". Dabei gelte es, nicht nur auf das Kind, sondern auch auf sich selbst zu achten. Nicht allen Müttern, die sie fotografiert hat, gehe es mit dem langen Stillen noch gut. Einige sagen, dass sie eigentlich gerne abstillen würden, aber das Kind die Milch massiv einfordere.

Wovon Mütter jedenfalls mehr als genug haben, sind Ratschläge, wie sie bestmöglich für ihr Kind sorgen könnten. Deshalb wäre es wohl eine gute Idee, dass alle in Mamas Umfeld ihre Ansichten und "guten Tipps" für einen perfekten Start ins Leben des Kindes einfach mal für sich behalten. (Lisa Breit, Beate Hausbichler, 29.1.2022)