Lässig über Hitler scherzen: Lavinia Nowak imponiert im Volkstheater.

Foto: Marcel Urlaub / Volkstheater

Der Roman Der Termin der deutsch-britischen Autorin Katharina Volckmer (34) war schon im englischen Original 2020 ein Überraschungserfolg, die deutsche Übersetzung vergangenes Jahr ebenso. Jetzt läuft in der Dunkelkammer des Volkstheaters eine gut einstündige Dramatisierung der kaum 130 Seiten. Sphärischer Sound, kaputte Röhrenfernseher und Schnee (Bühne: Jane Zandonai) entrücken die Szenen, im Zentrum der Bühne steht ein gynäkologischer Behandlungsstuhl.

Er ist in die Jahre gekommen, die Fantasien der Patientin entstammen auch einer anderen Zeit: Sie hat geträumt, sie spreche als Hitler zu jubelnden Massen; sie stellt sich Hitlers Hakenkreuzbettwäsche vor und ein Lego-Lager, in dem Kinder Deportation spielen. Wobei es natürlich nicht okay wäre, andere Menschen auszurotten, bloß weil man mit seinem wenig arisch aussehenden Körper unglücklich sei.

Erschütterte Identität

Die Kalauer sind aber nur Ablenkungsmanöver von einer erschütterten Identität. Die Protagonistin plagt ein Schuldgefühl, denn ihr Großvater hat einst als Vorsteher des letzten Bahnhofs vor Auschwitz gut verdient.

Das wirkliche und weniger plakative Kraftzentrum des Textes liegt trotzdem woanders. Unglücklich ist die Protagonistin nämlich auch wegen ihres Körpers. Sie fühlt sich darin falsch wie eine "bellende Katze". Auf dem Behandlungsstuhl hat sie zwecks geschlechtsangleichender Operation Platz genommen. Dass der Arzt, der den Penis bauen soll, Jude ist, ist in der komplexen Ausgangslage kein Zufall.

Forsch, skeptisch und intim

Lavinia Nowak ist eine fabelhafte Solodarstellerin für die textlastige Inszenierung von Laura N. Junghanns (auch Textfassung). Mit burschikoser Frisur (Kostüm: Mona Ulrich) lungert sie im Stuhl, stemmt die Füße lässig in die Beinhalter oder stellt sich auf die Polsterung, um ihren Hintern zu zeigen: Ist er zu groß? Wie sie die Stimmung zwischen forsch, skeptisch und intim moduliert, ist stark. Wütend klagt sie über die Sexualisierung und Bewertung weiblicher Körper. Keck will sie einen Sexroboter, um sich – es wird schlagartig traurig – nicht auf andere Menschen einlassen zu müssen, die sie verletzen könnten.

Wie Nowak den klugen, launigen Text stemmt, beschert der kleinen Bühne eine große Show. Historische Fragen wirft der Abend aber weniger auf als körperpolitische. (Michael Wurmitzer, 28.1.2022)