Ricarda Lang muss von zu Hause aus jubeln, wenn sie ...

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... und Omid Nouripour zu den neuen Chefs der Grünen gewählt werden.

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Den Abschied hat sich Robert Habeck anders vorgestellt. "Das ist ein echt merkwürdiger Moment", sagt er am Freitagabend im Berliner Velodrom. Dort hat sich der engste grüne Führungskreis versammelt, die mehr als 800 Delegierten dieses Parteitags sind nicht persönlich dabei. Sie können den Parteitag wegen Corona wieder nur digital verfolgen.

Es sei ein "aseptischer Abschied, irgendwie traurig", meint Habeck und bittet zunächst um Entschuldigung "für die arrogante Überheblichkeit", die er in den vergangenen vier Jahren manchmal vermittelt habe. Sie sei aber bloß dem Stress geschuldet gewesen. Da sei der Austausch zwischen Parteispitze und Basis zu kurz gekommen: "Wir haben euch vielleicht in den letzten vier Jahren zu wenig gesehen, weil wir immer nur nach vorne geschaut haben."

Doch der Stress endet nun – zumindest an der grünen Parteispitze. Weil Habeck nun als Minister für Klimaschutz und Wirtschaft in der neuen Bundesregierung sitzt und Annalena Baerbock als Außenministerin, müssen die beiden ihre Ämter als Parteichefs nach vier Jahren aufgeben.

Habecks neuer Akt

Aber, meint Habeck: "Es ist kein Abschied, es beginnt einfach ein neuer Akt." Er steht mit Baerbock auf der Bühne. Die beiden halten ihre Rede gemeinsam, so wie damals im Jänner 2018, als sie neu begannen. Und sie haben eine Botschaft an die Grünen: Es ist nicht schlimm, dass man jetzt in der Regierung Kompromisse machen müsse.

"Diese Partei lebt davon, dass wir streiten", sagt Baerbock. Wenn man "wirklich was verändern wolle", müsse man immer bereit sein, zu diskutieren und zu streiten. Oft höre sie jetzt schon die Klage: "Jetzt machen die Grünen aber Kompromisse." Das aber, so Baerbock, "gehört dazu". Sie sei froh, in einem Land zu leben, "wo wir die Kraft haben", auch selbst mal einen Schritt zurückzutreten. Habeck sieht eine "total unsinnige Debatte" und warnt: "Wir sollten uns da nicht reintreiben lassen." Kompromisse seien die "Kunst der Politik", man müsse sich auf andere einlasen.

Na, dann alles Gute!

Dann nutzt Habeck gleich die Gelegenheit, um ein unangenehmes Thema anzusprechen: die Taxonomie, das Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen in der EU. Die Grünen betrachten den Entwurf der EU-Kommission zur "grünen" Kennzeichnung von Atomkraft und Erdgas als großen Fehler. Doch sie wissen, dass ihre Möglichkeiten sehr begrenzt sind. "Er ist nun mal in der Welt", sagt Habeck, will dem Ganzen aber dennoch etwas Positives abgewinnen: "Wie gut, dass wir ihn verhandeln können." Es sei doch "besser, Einfluss auf die EU-Kommission zu haben", meint er.

Dann verabschieden sich die beiden und wünschen den Nachfolgern alles Gute. Diese werden am Samstag gewählt. Es treten an: Frauenpolitikerin Ricarda Lang (28) und der außenpolitische Experte Omid Nouripour (46). Ein Wunsch wird sich für Lang nicht erfüllen: dass sie am Samstag persönlich im Berliner Velodrom mit ihrer Bewerbungsrede für den Posten der Grünen-Chefin begeistern kann. Denn sie ist an Corona erkrankt und muss sich von zu Hause aus digital vorstellen. "Zum Glück bin ich dreifach geimpft, mir geht es gut, und ich verspüre keine Symptome", teilte Lang per Twitter mit.

"Krachend gescheitert", jetzt geht's weiter

Doch die Neuwahl ist nicht der einzige Grund, warum sich die Grünen treffen. Es soll auch das Wahlergebnis aufgearbeitet werden. Einerseits haben die Grünen bei der Bundestagswahl im September ein gutes Ergebnis erzielt: Sie steigerten sich von 8,9 auf 14,8 Prozent. Doch gemessen an den eigenen Ansprüchen war das Abschneiden dann doch nicht so gut. Schließlich war Baerbock mit dem Vorhaben angetreten, ins Kanzleramt einzuziehen. Aufgewacht sind die Grünen dann in einer Ampelkoalition, gemeinsam mit der FDP und unter Führung von Olaf Scholz (SPD).

Deutlich hat den Frust der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann formuliert: "Erst mal sind wir krachend gescheitert."

Doch den Traum vom Kanzleramt haben die Grünen nicht aufgegeben. "Wir sind keine kleine Partei mehr", sagt der scheidende Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Vielmehr seien die Grünen nun eine "mittelgroße Partei, die auch SPD und Union herausfordern und in Wahlen schlagen kann". Im Spiegel hatte er erklärt, dass die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl wieder um das Kanzleramt kämpfen werden: "Wir wollen weiter nach den Sternen greifen." Kellner war für den Wahlkampf verantwortlich. Er hört als Bundesgeschäftsführer auf, weil er nun Staatssekretär in Habecks Klimaministerium ist. (Birgit Baumann aus Berlin, 29.1.2022)