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Für Außenstehende sind die Folgen von Long Covid und chronischer Erschöpfung oft schwer nachvollziehbar. Das macht Akzeptanz, Diagnose und Behandlung nicht einfach.

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Lara Peters ist eine sportliche und ambitionierte junge Frau. Die 27-jährige selbstständige Journalistin ist für Medien im In- und Ausland tätig und ist es gewohnt, viel zu arbeiten und sich rasch auf neue Situationen einzustellen. Doch im Juli 2021 kam der Schnitt: Da steckt sich Peters, erst einmal gegen Covid-19 geimpft, während einer beruflichen Reise mit Sars-CoV-2 an. Bis heute kämpft sie mit den Folgen.

Zuerst hatte sie nur ein bisschen Schnupfen, doch nach zwei Wochen bemerkte sie beunruhigende Symptome: "Es hat sich angefühlt wie kleine Explosionen. Dann habe ich taube Hände bekommen und ein Kribbeln im rechten Arm, das drei Monate angehalten hat", erzählt Peters, die eigentlich anders heißt, aber ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Nebel im Gehirn

Beim Aufstehen wird ihr schwindlig, sie hat Herzrasen, ist aufgewühlt, leidet unter Angstzuständen und Schlafschwierigkeiten und ist den ganzen Tag erschöpft. Sie kann ihren Alltag nicht mehr meistern, nicht arbeiten, nicht einmal mehr lesen. Sie registriert die Wörter eines Textes, aber in ihrem Gehirn entstehen daraus keine Bilder. "Brain Fog" oder "Gehirnnebel" nennen das Neurologen.

Allein ist Peters damit nicht: Rund 70 Prozent der Patientinnen und Patienten, die in die Post-Covid-Ambulanz des Kepler-Universitätsklinikums in Linz kommen, klagen über ständige Müdigkeit und Erschöpfung, sagt Oberärztin Judith Wagner. Dazu kommen häufig Schlafstörungen und eben ein "vernebeltes Gehirn".

Viele Betroffene hatten nur einen leichten Verlauf oder gar keine Symptome, vier oder mehr Wochen nach der Infektion treten aber verschiedene Beschwerden auf: Neben chronischer Erschöpfung können das Lungenprobleme, Herzrhythmusstörungen, Verdauungsprobleme, Schwindel, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Fieber, Depressionen, Allergien, Hormonstörungen oder ein unspezifisches Infektionsgefühl sein.

Chronische Erschöpfung

"Bei manchen Long-Covid-Patienten findet man nichts, sie wirken kerngesund, und trotzdem sagen sie: Ich erkenne mich nicht wieder", sagt der Internist und Kardiologe Josef Niebauer, ärztlicher Leiter des Reha-Zentrums Salzburg. In der Arbeit, bei Familie und Freunden entstehe oft der Eindruck, die Person würde simulieren. "Manche Patienten blühen schon auf, weil man ihnen glaubt, dass es ihnen schlecht geht, oder weil das Belastungs-EKG das zeigt", sagt Niebauer.

Auch für Lara Peters war es erleichternd, als ihre Zustände einen Namen bekamen: POTS – posturales orthostatisches Tachykardie-Syndrom. Mit einer Kipptischuntersuchung kann man dieses Syndrom nachweisen, bei dem der Körper es nicht schafft, den Puls, der beim Aufstehen vom Liegen oder Sitzen auch bei Gesunden ansteigt, wieder herunterzuregulieren. Das Herz pumpt und pumpt, das Blut sackt trotzdem in die Füße, und das Gehirn bekommt zu wenig Sauerstoff.

Nach Aktivität kommt der Crash

Die gute Nachricht ist: Mit leichter Bewegung, viel Trinken, mehr Salzaufnahme, Kompressionsstrümpfen und Atemübungen kann man das entgleiste autonome Nervensystem langsam wieder auf Schiene bringen. Peters macht eine ambulante Reha mit Physiotherapie, Schwimmen, Yoga und neuropsychologischem Training. Sechs Monate nach der Covid-Erkrankung schläft sie heute wieder besser und kann zumindest eine Aufgabe pro Tag erledigen, bevor sie sich wieder hinlegen muss.

Ständige Müdigkeit, im Fachjargon mit dem englischen Begriff Fatigue bezeichnet, ist ein Symptom zahlreicher Erkrankungen. "Üblicherweise wird sie besser, wenn man sich bewegt", sagt der Wiener Neurologe Michael Stingl, "aber Long-Covid-Patienten geht es oft schlechter, wenn sie zu viel machen." Das gilt für körperliche wie auch für geistige oder emotionale Anstrengung. Die Betroffenen nennen das "Crash", die Ärzte "Post Exertional Malaise" oder Belastungsintoleranz.

Viele Forschungslücken

Eine Verschlechterung der Symptome nach Aktivitäten gilt auch als Leitsymptom für Myalgische Enzephalomyelitis (ME), besser bekannt als chronisches Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrom, CFS). Ob ME/CFS das Gleiche ist wie das, was bei Long Covid häufig auftritt, ist noch unklar.

Fest steht, dass das chronische Erschöpfungssyndrom nach viralen oder bakteriellen Infektionen auftreten kann, teilweise bleibt der Auslöser aber unbekannt. In Österreich sind rund 30.000 Menschen davon betroffen. Im Schnitt haben sie acht Jahre Leidensweg hinter sich, bis die Diagnose gestellt wird, sagt die Immunologin Eva Untersmayr-Elsenhuber, Professorin an der Medizinischen Universität Wien. Einen Biomarker, den man im Blut feststellen und damit eindeutig ME/CFS oder Long Covid diagnostizieren kann, kennt man nicht. "Es ist noch viel mehr Forschung dazu nötig, und die muss finanziert werden", sagt Untersmayr-Elsenhuber.

Virale Schläfer

Um Diagnosen zu erleichtern und schneller zu passenden Therapien zu kommen, arbeitet die Immunologin gemeinsam mit einem Team, dem auch die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl und der Neurologe Michael Stingl angehören, in einem Forschungsprojekt mit Betroffenen zusammen. Mithilfe eines detaillierten Fragebogens und einer computerbasierten Cluster-Analyse soll nach Gemeinsamkeiten gefahndet werden, die neue Aufschlüsse geben könnten.

"Eine Hypothese ist, dass ME/CFS wie auch Chronic Fatigue bei Long Covid ein immunologisches Problem ist; dass Viruspartikel im Körper verbleiben und eine wiederholte Reaktion des Immunsystems auslösen", sagt Stingl. Bei anderen Viren, etwa Herpesviren, weiß man, dass sie in Körperzellen fortbestehen, weil sie vom menschlichen Immunsystem nicht vollständig eliminiert werden können. Wird der Körper geschwächt, werden sie wieder aktiv.

Ob diese Viren bei ME/CFS oder auch bei Long Covid eine Rolle spielen, sei unklar, erklärt Elisabeth Puchhammer-Stöckl. Long-Covid-Betroffene seien zudem eine extrem inhomogene Gruppe mit vielen verschiedenen Symptomen. Deshalb ist es besonders schwierig, die Ursachen der unterschiedlichen klinischen Erscheinungsbilder zu finden. Da zwischen zehn und 20 Prozent der erwachsenen Covid-Erkrankten Long-Covid-Symptome entwickeln, gibt es aber immer mehr Daten für die Forschung.

Geduld gefragt

Betroffene sollten sich an Ärzte oder Ambulanzen wenden, die Erfahrung mit Long Covid, Erkrankungen des autonomen Nervensystems oder ME/CFS haben, sagt Walter Struhal vom Uniklinikum Tulln. Da die Beschwerden so unterschiedlich sein können, ist eine ausführliche Anamnese wichtig, auch um mögliche andere Erkrankungen auszuschließen.

Syndrome wie POTS oder CFS können nichtmedikamentös und medikamentös spezifisch therapiert werden. Dazu gehört auch körperliche Aktivität, weil ansonsten der Körper rasch abbaut, sagt Struhal. "Die Aktivität muss aber so dosiert werden, dass es nicht zu einer Verschlechterung des Zustandes kommt."

Long Covid braucht also viel Geduld – von den Erkrankten genauso wie von ihrem Umfeld und den Forschenden. (Sonja Bettel, 29.1.2022)