Bei Kindern kommen Albträume häufig vor, sie gehören zur Entwicklung und verarbeiten untertags Erlebtes. Aber auch jeder zehnte Erwachsene träumt gelegentlich schlecht.

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Besser als Johann Heinrich Füssli hat es bislang keiner hinbekommen, dem Albtraum ein Gesicht zu geben. Als der bekannte Zürcher Maler 1781 sein Werk "Der Nachtmahr" in der Londoner Royal Academy erstmals der Öffentlichkeit präsentierte, zog es den Betrachter sofort in seinen Bann. Denn in Füsslis Bild verschwammen erstmals Traum und Wirklichkeit. Auf der Brust der schlafenden Frau, die auf ihrer durchwühlten Decke kopfüber auf der Bettkante liegt und offenbar völlig hilflos der beklemmende Umarmung ihres Albtraums ausgeliefert ist, sitzt eben jenes rotäugige dämonische Wesen, der Alb, hämisch auf sie herabgrinsend. Aus dem Hintergrund betrachtet des Albs Geisterpferd aus seinen weißen Augäpfeln zwischen schweren Vorhängen hindurch die bizarre Szenerie.

Das Bild "Der Nachtmahr" von Johann Heinrich Füssli verbildlicht das Grauen, das oft mit einem Albtraum einhergeht.
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"So ein Alb oder ähnliche Monster sind immer wieder Traumbilder, die panische Angst hervorrufen und nachhaltig den Schlaf und das Wachleben beeinträchtigen", sagt Gerhard Klösch, Schlaf- und Traumforscher an der Universitätsklinik für Neurologie in Wien. Bei Kindern gehöre das zur Entwicklung dazu, und auch Erwachsene berichten häufiger darüber. Studien gehen davon aus, dass jeder zweite Erwachsene im Laufe seines Lebens einen Albtraum hat, jeder zehnte hat gelegentlich Albträume.

In den seltensten Fällen ist das übrigens die Reaktion auf einen Horrorfilm im Fernsehen am Abend vor dem Zubettgehen oder auf Katastrophenmeldungen in den Nachrichten. Auch dafür, dass der Vollmond Albträume begünstige, gibt es keine wissenschaftlichen Belege. "Albträume haben vielmehr immer etwas mit der eigenen Person zu tun", sagt Klösch.

Denn sie spiegeln auf verfremdete Art Ängste aus dem eigenen Alltag wider. Das kann eine persönliche Krise, übermäßiger Stress, Angst vor Jobverlust oder Krankheit, Überlastung in der Familie oder Pflege eines Angehörigen sein. Auch durchlebte Traumata wie ein Verkehrsunfall, eine Vergewaltigung oder eine schwere Erkrankung können eine Ursache dafür sein.

Indikator für Alltagsbelastungen

Daraus leitet die moderne Psychologie mittlerweile auch die Funktion von Albträumen ab. Aus ihnen lässt sich gut schließen, was einen im Alltag belastet oder stark beschäftigt. "Albträume beleuchten quasi die Lebenssituation, ein konkretes Problem im Leben, und ermöglichen der Seele, ein Warnsignal abzusetzen, etwas in seinem Leben zu überdenken oder zu verändern", sagt der Schlaf-Wach-Experte Johannes Mathis vom Neurozentrum Bern.

Warum das Ganze im Traum so bizarr anmutet, habe damit zu tun, dass Albträume Themen abbilden, die einen auch im gelebten Alltag sehr emotional beschäftigen. "Zum anderen sind auch Albträume eigentlich nichts weiter als ein fortgesetztes Denken, aber zeitlich und örtlich ist es nicht mehr geordnet, das produziert dieses beeindruckende Chaos."

Menschen mit einem ruhigen, regelmäßigen Schlaf bekommen davon wenig mit, sie verschlafen quasi die meisten Träume und können sich am Morgen höchstens noch an den letzten Traum erinnern. Das macht auch Sinn, denn wahrscheinlich ist der Sinn des Träumens, dass das Gehirn aus dem Erlebten etwas lernt und Wichtiges von Unwichtigem unterscheidet und Letzteres in den geistigen Papierkorb entsorgt.

Begünstigt durch Medikamente

Warum Albträume aber auch nach dem Aufwachen viel länger in den Tag hineinhallen als normale Träume, hat damit zu tun, dass Betroffene sie nicht in der Tiefschlafphase, sondern in der REM-Phase erleben. "In dieser Schlafphase sind die Muskeln zwar entspannt, aber das Gehirn ist so aktiv wie im Wachzustand", sagt der Psychologe und Albtraumexperte Reinhard Pietrowsky von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Diese starken Emotionen würden daher auch intensiv und so präsent wahrgenommen. "Wacht man dann auf, erscheint der Traum fast real und erzeugt im ersten Moment Angst und Panik."

Gleichzeitig bleibt der schlimme Traum im Gedächtnis gespeichert, manchmal über Tage, oder der Traum wiederholt sich sogar in den folgenden Nächten. Kommt das häufiger vor, kann darunter durchaus die Lebens- und Schlafqualität der Betroffenen sowie der Alltag allgemein leiden. Dann ist der Gang zum Arzt oder Psychologen ratsam. "Zumal Albträume, sobald sie gehäuft vorkommen, nur selten wieder von allein gehen."

Als anfällig für Albträume gelten besonders kreative Menschen, aber auch emotional Labile oder jene mit Depressionen oder Angststörungen. "Diese Personengruppe nimmt zudem häufig auch Medikamente wie Antidepressiva, die ihrerseits Albträume begünstigen", sagt der Wiener Traumforscher Gerhard Klösch.

Ähnlich sei die Situation bei Senioren, die generell mehr über unangenehme Träume berichten, nicht zuletzt als Nebenwirkung von Arzneimitteln, etwa gegen Bluthochdruck, Parkinson oder Alzheimer. Allerdings suchen viele durch Albträume Belastete erst viel zu spät nach fachlicher Hilfe. "Weil sie nicht wissen, genauso wie immer noch sehr viele Hausärzte und Psychiater, dass es eine Therapie dagegen gibt".

Beruhigung mit sanften Mitteln

Rufen Albträume durch ihre Intensität oder Häufigkeit einen Leidensdruck hervor, gibt es verschiedene sanfte Abwehrstrategien. Versuchte man sie im Mittelalter durch Nachtschattengewächse zu vertreiben, lohnt heute durchaus der Versuch, den Schlaf mit sanften pflanzlichen Mitteln zu beruhigen.

Oder mit Naturgeräuschen. Der amerikanische Psychologe Richard Wiseman hat sich über seine Smartphone-App Dream:ON von 500.000 Menschen ihre Träume schildern lassen und sie ausgewertet. Darin fand er Hinweise, dass eine natürliche Geräuschkulisse wie Vogelgezwitscher, Regen oder Meeresrauschen beim Einschlafen für positive Träume sorgen. Hektische Klänge einer Großstadt wie Berufsverkehr bringen dagegen eher bizarre Träume. Der Schlafforscher Michael Schredl von der Uni Mannheim konnte in eigenen Versuchen zeigen, dass auch Gerüche Träume beeinflussen. So bescherte seinen Probanden ein Rosenparfum neben dem Bett angenehmere Träume.

Psychologen empfehlen zudem ein Traumtagebuch neben dem Bett. "Wer seine Träume nach dem Aufwachen in ein Tagebuch schreibt, der beschäftigt sich automatisch auch mit seinen Problemen vom Tag und schreibt damit seine Sorgen auf", sagt Klösch. Dadurch könne man einen möglichen Auslöser für den Albtraum auf die Schliche kommen.

Auch die Schlafhygiene sei wichtig: ein abgedunkeltes und ruhiges Schlafzimmer, ein bequemes Bett, eine angenehme Raumtemperatur. Meiden sollte man zudem Alkohol, deftiges Essen, Sport, Büroarbeit oder aufregenden Medienkonsum direkt vor dem Zubettgehen. Besser ist, mit einem guten Gefühl oder einer tollen Idee für den nächsten Tag ins Bett zu gehen.

Neues Albtraumdrehbuch schreiben

Kommt es nicht zu einer Verbesserung und ein Leidensdruck hat sich aufgebaut, lohnt der Versuch der sogenannten Imagery-Rehearsal-Therapie. Sie zeigt in Studien die besten Erfolge. Das Ziel der Therapie ist es, den Albtraum vor dem Zubettgehen positiv zu lenken, für ihn ein neues Drehbuch zu schreiben. "Einer meiner Patienten hatte den Albtraum, dass er von einem Mörder in einem Keller gefangen gehalten wurde, gefesselt auf einem Stuhl saß und der Mörder damit begann, ihn zu foltern und ihm die Haut am Arm abzuziehen", erzählt der Düsseldorfer Psychologe Reinhard Pietrowsky von einem der Fälle in seiner Praxis. Zusammen mit dem Patienten hat er den Traum in mehreren Sitzungen inhaltlich so umgeschrieben, dass der Patient in einem dunklen kellerartigen Raum sitzt, das aber ein billiges Tattoostudio ist.

Neben ihm sitzt der Tätowierer, der ihm Tattoos in den Arm sticht. "So spürte er den Schmerz im Arm, wie das im Alptraum auch der Fall war, aber er wusste, das ist nicht schlimm, weil er ja sein Tattoo bekommt, das er sich schon lange machen lassen wollte." Der Raum wurde zudem noch mit Details ausgeschmückt, um sich ihn gut vorstellen zu können. "Somit war die Rahmenhandlung noch nahe an dem ursprünglichen Albtraum, hatte aber nichts Bedrohliches mehr und endete positiv, als das Tätowieren beendet war und der Patient zwar mit Schmerzen, aber glücklich den Kellerraum verlassen konnte."

Die Erfolgsquote der Imagery-Rehearsal-Therapie liegt nach Erfahrungen von Pietrowsky bei 95 Prozent. "Die Betroffenen haben dadurch weniger Albträume, bekommen ein Gefühl, es kontrollieren zu können, und haben so weniger Angst", sagt der Albtraumexperte. In der Regel braucht es dafür nur acht bis zehn Therapiestunden. Noch bieten aber nur wenige Psychologen und Neurologinnen eine solche Albtraumtherapie an. Größere Erfolgschancen bei ihrer Suche nach einem Therapeuten hätten Patienten daher bei einem universitären Krankenhaus.

Bewusste Steuerung

Die eleganteste Möglichkeit, sich selbst zu helfen, haben Menschen, die luzid träumen und dadurch ihre Träume bewusst steuern können. Man spricht hier auch von einem Klartraum. Der Träumer ist sich dabei bewusst, dass er träumt und kann auf den Ablauf quasi selbst eingreifen und ihn steuern.

"Es gibt Studien, die zeigen, dass das gut funktioniert, aber die Evidenz ist eher noch dünn", sagt Schlafforscher Klösch. Techniken, um luzides Träumen zu erlernen, gebe es zwar, aber es sei nicht einfach, und nicht jeder könne es lernen. Und leider gebe es noch zu wenig Stellen, an die man sich wenden könne, um luzides Träumen beispielsweise in Workshops zu erlernen. "Noch ist das Internet hier leider für viele Hilfesuchende die einzige Quelle." (Andreas Grote, 30.1.2022)