Um deutlich zu machen, aus welchen Verhältnissen sie kommt, hat Ketanji Brown Jackson die Biografie ihrer eigenen Familie einmal mit der ihres Mannes verglichen. Letztere, seit Generationen zur Prominenz der Bildungsmetropole Boston zählend, könne ihren Stammbaum über Jahrhunderte zurückverfolgen. Bis nach England, bis zu Zeiten vor der "Mayflower" – dem Schiff, in dem die Pilgerväter 1621 über den Atlantik nach Amerika segelten. Ihr Ehemann Patrick stehe für die sechste Familiengeneration, die ihren Abschluss an der Universität Harvard mache. Sie dagegen: "Ich bin die zweite Generation, die überhaupt irgendein College besuchte. Und ich bin sicher, wollte man in unserer Geschichte länger zurückgehen als bis zu meinen Großeltern, würde man herausfinden, dass meine Vorfahren Sklaven waren."

Die 51-jährige Ketanji Brown Jackson hat gute Chancen, Höchstrichterin in den USA zu werden.

Ketanji Brown Jackson, 51 Jahre alt, Richterin an einem Berufungsgericht des amerikanischen Bundes, könnte demnächst Geschichte schreiben. Am Supreme Court ist der Platz des demnächst in den Ruhestand wechselnden Juristen Stephen Breyer neu zu besetzen. Präsident Joe Biden hat klargestellt, dass er ein Wahlversprechen einzulösen und eine Afroamerikanerin zu nominieren gedenkt, womit erstmals eine schwarze Frau in die illustre Runde aufrückt. Bevor der Präsident die Personalie entscheidet, nach seinem Zeitplan bis Ende Februar, dürften noch einige Namen gehandelt werden. Momentan sind drei im Gespräch. Neben Jackson wären da Leondra Kruger, 45, Richterin am Obersten Gerichtshof Kaliforniens, und Michelle Childs, 55, die an einem Bundesgericht in South Carolina Urteile spricht. Kurzum, dass Ketanji Brown Jackson das Rennen macht, ist nicht garantiert. Wohl aber gilt sie als Favoritin.

Konservative Mehrheit

Egal, wen er ernennt, die Kräftebalance des Gerichts kann Biden nicht verschieben. Sechs – mal mehr, mal weniger – konservative Richterinnen und Richter stehen drei eher progressiven gegenüber, dabei wird es bleiben. Allerdings soll der Supreme Court in seiner Zusammensetzung, im Idealfall, immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft sein.

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Auch im Gespräch: Michelle Childs...
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In der ernüchternden Realität war er, länger noch als andere Institutionen, indes eine reine Männerbastion. Erst 1981 schaffte es die erste Frau, Sandra Day O’Connor, auf den juristischen Olymp. 2009 folgte die erste Latina, Sonia Sotomayor, eine New Yorkerin mit familiären Wurzeln in Puerto Rico. Nun, in Bidens Worten "längst überfällig": die erste Afroamerikanerin.

Jackson wäre nicht nur die erste schwarze Frau, sondern auch eine, die aus nächster Nähe beurteilen kann, welche diskriminierenden Irrwege sich Justitia im Namen des Kampfes gegen die Kriminalität leistete. Gerade in den Achtzigern, als man auf drakonische Härte setzte, um Drogenmissbrauch zu bekämpfen, woran später auch ein demokratischer Präsident wie Bill Clinton nichts änderte. Wer fünf Gramm Crack-Kokain besaß oder damit handelte, wurde genauso hart bestraft wie jemand, bei dem man ein halbes Kilo Kokain in Pulverform fand: mit mindestens fünf Jahren Haft. Da Crack hauptsächlich von Schwarzen konsumiert wurde, Kokainpulver dagegen von Weißen, mussten Schwarze für ein vergleichbares Delikt sehr viel länger in Haft. Eine Expertenkommission, deren Stellvertreterin Jackson war, kam 2011 zu dem Schluss, dass 12.000 Häftlinge umgehend freizulassen seien, weil das Strafmaß in keinem Verhältnis zur Straftat stehe.

Redetalent

Geboren in Washington, wuchs sie in Miami auf, wo ihr Vater Rechtsanwalt einer Schulbehörde und ihre Mutter Schuldirektorin war. Als Mitglied im Debattenteam konnte sie an der High School, wie sie einmal zurückblendete, Selbstvertrauen erwerben, "etwas, was Frauen und Minderheiten in jungen Jahren oft nur schwer entwickeln".

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...und Leondra Kruger.
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Während des Studiums in Harvard gehörte sie zur Redaktion des "Harvard Law Review", eines prestigeträchtigen Fachmagazins. 2013 wurde sie an ein Bundesgericht in Washington berufen, wo sie im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens gegen Donald Trump ein wichtiges Urteil zu fällen hatte.

Jackson entschied, dass Donald McGahn, damals Rechtsberater im Weißen Haus, vor dem Kongress aussagen müsse, statt sich auf eine vermeintliche Immunität von Mitarbeitern der Regierungszentrale berufen zu können. Daraus wurde zwar zunächst nichts, weil Trump, wie so oft mit Erfolg, mauerte. Ihre Urteilsbegründung aber ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Eine solche Immunität gebe es nicht, schrieb sie. "Präsidenten sind keine Könige." Daher hätten sie auch keine Untertanen, die sie nach Gutdünken kontrollieren könnten. (Frank Herrmann, 29.1.2022)