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Nach Karl Schranz’ Landung standen am 8. Februar 1972 angeblich 100.000 Fans auf seinem Weg Spalier. Auch auf dem Ballhausplatz jubelten dem in Sapporo ausgeschlossenen Skistar Tausende zu. Er winkte vom Balkon des Bundeskanzleramts. Kreisky trat nicht mit hinaus.

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Avery Brundage wurde in Österreich zum Feindbild ...

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... weil Gerd Bacher mit dem ORF die Stimmung schürte ...

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... was Bruno Kreisky ziemlich unangenehm war.

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Teddy Podgorski "Man kann sich denken, woran die jubelnden Massen Kreisky erinnerten."

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Vor fünfzig Jahren, knapp vor dem Beginn der Olympischen Winterspiele 1972 in Sapporo, schloss IOC-Präsident Avery Brundage den österreichischen Skistar Karl Schranz aus. Dem IOC war ein Foto zugespielt worden, das Schranz bei einem Fußballspiel im Trikot mit Kaffeewerbung zeigte. Laut Brundage hatte Schranz damit gegen den Amateurparagrafen verstoßen. ORF-Generalintendant Gerd Bacher heizte das Feuer an, und die Volksseele kochte. Der damalige Sportchef Teddy Podgorski erinnert sich.

STANDARD: Was ist das erste Bild, das Sie vor Augen haben, wenn Sie an 1972, Sapporo und Karl Schranz denken?

Podgorski: Da sehe ich meinen Redaktionsraum im ORF und wie sich dort die Aufregung breitmacht. Ich war erst seit kurzem, seit Jahresbeginn 1972 Sportchef, und dann gleich so eine Geschichte. Ich habe den Kurt Jeschko in Sapporo angerufen, er war Chefkommentator und ein vernünftiger Mensch. Jeschko hat gesagt, es sei nicht viel los in Sapporo, dort rege sich jedenfalls kaum jemand darüber auf, dass Schranz ausgeschlossen wurde. Es gab auch wenig Solidarität der anderen Teammitglieder, Schranz war nicht so rasend beliebt.

STANDARD: Wie ist die Aufregung in Österreich, in Wien entstanden, und wieso ist sie so groß geworden?

Podgorski: Schranz fuhr Kneissl-Ski, und der Franz Kneissl hat sich wahnsinnig aufgeregt. Er war ein Choleriker und ein Patriarch wie andere heimische Skifabrikanten auch. Zwischen den Skifirmen hat damals beinah Krieg geherrscht. Kneissl hat durch den Schranz-Ausschluss vielleicht wirklich Millionen verloren, es ist ja grad das Geschäft in Amerika angesprungen, und ohne Olympiasieg war da nichts zu verkaufen. Einer der besten Freunde Kneissls war ORF-Generalintendant Gerd Bacher. Kneissl hat Bacher aufgehetzt, und Bacher hat die Österreicher aufgehetzt.

STANDARD: Hat sich Bacher also von Kneissl instrumentalisieren lassen?

Podgorski: Das wäre übertrieben. Bacher war schon auch selbst wirklich empört. Er war einer, der immer einen Gegner brauchte, und hier hat er den Brundage, das ÖOC und die österreichische Regierung gefunden. Aber was hätte das ÖOC tun sollen? Die ganze Mannschaft heimschicken? Lächerlich, das wollte auch niemand. Und die Regierung, was hätte sie tun sollen? Diplomatische Noten einreichen? Auch lächerlich. Also ist der Brundage übriggeblieben.

STANDARD: Wie ist Bacher vorgegangen?

Podgorski: Er hat die Sportredaktion in die Mangel genommen. Bacher verlangte Dinge, die an Aufwiegelung grenzten und redaktionell nicht vertretbar waren. Hinter meinem Rücken rief er Redakteure an und gab ihnen Anweisungen. Die waren ängstlich, Bacher hatte ja die absolute Macht. Ich habe gedacht, mit der Zeit wird sich die Aufregung legen.

STANDARD: Das war ein großer Irrtum.

Podgorski: Es hat eine Eigendynamik gekriegt. Wirtshausgruppen haben Protestaktionen veranstaltet, und darüber musste berichtet werden, weil Bacher es angeordnet hat. Man darf nicht vergessen, der ORF hatte das Monopol, wir hatten Millionen Zuseher. Die Menschen sind daheim oder im Wirtshaus mit den Stoppuhren vor dem Bildschirm gesessen, und sie hatten Tabellen, in die sie alle Zeiten eingetragen haben. Schranz war in Sapporo der große Abfahrtsfavorit. Die Leute haben gedacht, sie schauen sich das im Fernsehen an, der Schranz gewinnt, und dann umarmen sie sich und hängen die rot-weiß-roten Fahnen aus dem Fenster. Wir sind Olympiasieger, das hätte es geheißen. Jeder Österreicher wollte sich als Olympiasieger fühlen, dann haben sich alle erniedrigt gefühlt. Natürlich waren die Leute enttäuscht, als es nicht so gekommen ist wie erhofft, und daraus hat Bacher eine richtige Bewegung gemacht.

STANDARD: Heute würde man sagen, es wurde ein Shitstorm entfacht.

Podgorski: Viele Leute waren richtig aggressiv. Man durfte über die Angelegenheit, die doch auch skurril war, nur ja keinen Witz machen. Und gegenüber Bacher traute sich sowieso kaum jemand ein kritisches Wort sagen. Die Vernünftigen haben geschwiegen – wie so oft.

STANDARD: Auch der Herr Podgorski schwieg.

Podgorski: Ich hätte zurücktreten müssen. Ich habe später bewiesen, dass ich durchaus zurücktreten kann, aber da wollte ich nicht hinschmeißen – so kurz, wie ich Sportchef war. Immerhin habe ich mich dann geweigert, die Schranz-Fahrt vom Flughafen in die Stadt live zu übertragen. Der Sport hat gesagt, da machen wir nicht mehr mit. Daraufhin hat Bacher diese Übertragung einer anderen Redaktion angeschafft, die haben das willfährig gemacht. Ich habe im Scherz gesagt, man könnte den Schranz auch per Hubschrauber am Ballhausplatz einfliegen lassen – darüber wurde dann ernsthaft lange diskutiert.

STANDARD: Welche Rolle hat Bundeskanzler Bruno Kreisky gespielt?

Podgorski: Er hat sich gar nicht wohlgefühlt. Schranz wurde am Flughafen von den ÖVP-Spitzen empfangen. Kreisky war in der Zwickmühle, ganz entziehen konnte er sich nicht, weil die Geschichte so riesig war. Also hat er Schranz ins Bundeskanzleramt eingeladen. Aber er ist nicht mit hinaus auf den Balkon gegangen. Die jubelnden Massen waren ihm wirklich unangenehm. Man kann sich denken, woran ihn das erinnert hat.

STANDARD: Was haben Sie angesichts tausender ‚Karli‘ rufender Menschen empfunden?

Podgorski: Ich war erschrocken. Dabei war, zugegeben, am Anfang auch ich vor allem enttäuscht über die Disqualifikation von Schranz gewesen, ich habe das auch als ungerecht empfunden. Aber was sich daraus entwickelt hat, was herausgekommen ist, war beängstigend.

STANDARD: Hatte die Schranz-Geschichte im ORF irgendwelche Auswirkungen?

Podgorski: Die Schranz-Geschichte hat dazu beigetragen, wie 1974 das Rundfunkgesetz verändert worden ist. Es war sehr im Sinne Kreiskys, dass der Generalintendant nicht mehr so viel Macht hatte. Bachers Nachfolger Otto Oberhammer hatte tatsächlich keine Programmbefugnisse mehr, und es gab ab diesem Zeitpunkt zwei Intendanten, zunächst waren das Gerhard Weis für FS 1 und Franz Kreuzer für FS 2. Es ist bei weitem nicht alles besser geworden, teilweise ist ein Sauhaufen rausgekommen. Der Bacher, das muss man ihm zugestehen, hat nach seinem Comeback als Generalintendant 1978 einiges zu Recht repariert.

STANDARD: Was es unverändert gibt, ist Nationalchauvinismus im Sport und insbesondere in der Sportberichterstattung.

Podgorski: Das ist natürlich oft zu viel. Aber ich sage Ihnen etwas: Ein gewisser Chauvinismus ist notwendig im Sport. Ich muss zu jemandem halten, sonst ist es nicht spannend. Im Zirkus werden die tollsten Kunststücke gezeigt, aber den meisten ist das wurscht. (Fritz Neumann, 29.1.2022)