Bürgermeister Werner Krammer ist schon auf 180. "Warum twittern Sie so was?", fragt er – weder er noch Waidhofen seien undemokratisch! Der STANDARD-Reporter hat ein Foto des Stimmzettels auf Twitter veröffentlicht. Krammers Name ist darauf schon eingetragen. Das Wahlkampfteam der Waidhofner Volkspartei verteilt Hunderte davon. Völlig legal: In Niederösterreich sieht das Gesetz auch "nichtamtliche" Stimmzettel vor, die in der Wahlurne gültig sind. Das Missverständnis ist schnell aufgeklärt: Der kritische Kommentar, über den sich Krammer so geärgert hat, wurde von jemand anderem hinzugefügt.

Bürgermeister Werner Krammer (VP) will seine absolute Mehrheit verteidigen.
Foto: christian fischer

Vielleicht merkt man Krammer den Druck des Wahlkampfs an: Am Sonntag wird in Waidhofen an der Ybbs gewählt. Und die schwarze Bürgermeisterpartei hat ein fulminantes Ergebnis von 60 Prozent zu verteidigen. Aber. Dann kam Corona, dann kamen die Korruptionsvorwürfe gegen die ÖVP. "In Wirklichkeit starten wir alle bei null", sagt Krammer, nun sehr freundlich. Man habe noch selten so wenig Gespür für die Stimmung in der Stadt gehabt wie jetzt. Waidhofen steht eine Wahl bevor, bei der alles offen ist.

Stimmenfang auf dem Marktplatz

Sieben Listen stehen auf dem Stimmzettel. Die fast 10.000 Wahlberechtigten machen zwei Tage vor Inkrafttreten der Impfpflicht ihr Kreuz. Die Impfgegnerpartei Menschen-Freiheit-Grundrechte (MFG) tritt an; dazu kommt ein Ex-FPÖ-Urgestein, das wegen Herbert Kickls Corona-Politik für eine andere Liste antritt; und natürlich der freiheitliche Spitzenkandidat, der zuletzt einschlägig aufgefallen ist.

Am Freitag vor der Wahl werben fast alle Parteien auf dem Marktplatz um Stimmen.

Die Volkspartei platziert ihren Stand selbstbewusst direkt vor dem Rathaus. "Da kommt die gelbe Welle", sagt einer der Wahlhelfer, als die allesamt mit gelber Weste ausgestatteten Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer auf dem Platz ankommen und aufbauen: Wie in einer Produktionsstraße fädeln sie sich auf und stecken der Reihe nach Häferln, Hauben und Haftnotizzettel in die gebrandeten Stoffsackerl. So eine absolute Mehrheit will ja verteidigt werden. Ein Passant lehnt den Stoffbeutel ab, schimpft über die "Verrückten" in Wien, hält die Impfung für eine Gentherapie. "Jeder kann seine Meinung haben", sagt VP-Vizebürgermeister Mario Wührer, nachdem er den Impfgegner abgeschüttelt hat.

Urgestein tritt wegen Kickl aus der FPÖ aus

Karl-Heinz Knoll wird den Herrn wohl auch nicht überzeugen. Er saß 20 Jahre lang für die FPÖ im Gemeinderat und hätte auch Spitzenkandidat werden sollen. Doch Herbert Kickls Corona-Politik war ihm zu viel. Knoll, geimpft, freundliche Augen, trat aus und steht nun ganz oben auf der Liste Unabhängige Wahlgemeinschaft (UWG).

Karl-Heinz Knoll hat der FPÖ wegen der Coronapolitik den Rücken gekehrt.
christian fischer

"Hast du eine Idee, wen man wählen soll?", fragt ihn ein Waidhofner im Vorbeifahren am Marktplatz aus dem offenen Autofenster und brüllt Knoll ein Lachen entgegen. Den UWG-Bierdeckel, den ihm der Politiker gibt, klemmt er in die Lüftungsschlitze des Kombis.

MFG-Flyer neben Sheabutter und Cannabisöl auf dem Markt in Waidhofen.
christian fischer

Cannabis und Impfgegnerschaft

Knoll wird wohl viele in Waidhofen erreichen, denen Kickls Corona-Politik zuwider ist. Eine Vertreterin der anderen Seite lächelt hinter einem Marktstand hervor: Sonja Schwentner von der MFG verkauft hier Sheabutter, Cannnabisöl und weißen Salbei, daneben liegen Flyer der Impfskeptikerpartei. Es sei ausgemacht, dass nur der Spitzenkandidat Wolfgang Durst mit Journalistinnen und Journalisten spreche. Nur so viel ruft sie dem STANDARD hinterher: "Wir sind gar nicht so schlimm, wie uns die Medien darstellen."

Wenn Knoll die rechte Pro-Impf-Fraktion abdeckt und die MFG die Anti-Impf-Fraktion – was bleibt dann für die FPÖ? Vielleicht die Stimmen ganz, ganz rechts. Die Bezirksblätter fragten Spitzenkandidat Josef Gschwandegger, welches Buch er zuletzt gelesen hat. Seine Antwort: Adolf Hitlers Mein Kampf. Die Sache sorgte österreichweit für Entsetzen.

Sonja Schwentner kandidiert für die MFG in Waidhofen.
christian fischer

"Nur ein FPÖ-Politiker darf das nicht sagen"

Im Nachhinein versuchte Gschwandegger seine Antwort zu relativieren: Er lese halt nicht viel, sei beim Telefonat mit dem Journalisten unterwegs gewesen. "Ich lese zum Beispiel auch regelmäßig in der Bibel, aber das wäre mir zu klischeehaft gewesen", erklärt er. Er habe vor Jahren mal in Mein Kampf geblättert, auf einem Flohmarkt oder so, und das habe er halt dann gesagt. Die Ideologie dahinter lehne er ab, aber das Lesen des Buchs sei ja nicht verboten. "Nur ich als FPÖ-Politiker darf das nicht sagen, bei jeder anderen Partei wäre nichts passiert", sagt Gschwandegger zum STANDARD – am Telefon, denn auf dem Markt mit den anderen Parteien ist die FPÖ am Freitag nicht.

Armin Bahr, ein Steirer mit slogan-tauglichem Namen.
christian fischer

Corona hat den Waidhofner Wahlkampf durchgerüttelt, glaubt auch Armin Bahr. Er ist Spitzenkandidat der SPÖ, die hier vor fünf Jahren dramatisch abgestürzt ist, aber mit 15 Prozent immer noch auf Platz zwei liegt. In seinen Sackerln sind nur Broschüren und Äpfel. Es sei kaum einzuschätzen, wie sich die Impfpflicht auf das Ergebnis am Sonntag auswirken werde – "im Wirtshaus gilt 2G, das heißt: Da sitzt du halt nur mit Geimpften drin." Jeder sei heute in seiner eigenen Bubble unterwegs.

Die SPÖ hat hier keinen leichten Stand. Ein Mann nimmt am Markt zwar gern ein Sackerl, will es aber vorsichtshalber wegpacken, bevor er seinen Amtsweg im Rathaus erledigt.

Sobotka, fast privat

Das Ergebnis in Waidhofen hat landespolitisch Bedeutung, es geht auch um Prestige. Deshalb befindet sich am Freitag ein Drittel der Landesregierung auf dem Marktplatz, wo Wurst, Käse und Wahlwerbung an die Waidhofnerin und den Waidhofner gebracht werden wollen: Die beiden SPÖ-Regierungsmitglieder Franz Schnabl und Ulrike Königsberger-Ludwig sind genauso dort wie Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP). Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), selbst einst Bürgermeister, nun Bürger von Waidhofen, spaziert vorbei. Privat oder im Wahlkampfdienst? "Privat bin ich nie", sagt Sobotka – aber auch nicht im Wahlkampf. Er hat keine gelbe Weste an.

Die Statutarstadt Waidhofen wählt schon seit Jahrzehnten nicht am selben Termin wie der Rest Niederösterreichs, am Sonntag kommen außerdem Neuwahlen in Au am Leithaberge und Obersiebenbrunn dazu. Es werden die letzten Wahlen in Niederösterreich sein, bei denen auch Personen mit Zweitwohnsitz in den Kommunen wahlberechtigt sind: ÖVP und SPÖ haben am Donnerstag angekündigt, das Wahlrecht zu ändern. Für die Kommunen werden Zweitwohnsitze immer mehr zur Belastung, weil es für sie kein Geld vom Bund gibt. Auf Druck der Gemeinden hat die niederösterreichische Volkspartei ihren jahrelangen Widerstand gegen die Wahlrechtsreform aufgegeben.

Martin Dowalil sagt: Fufu arbeitet vier Jahre und elf Monate für die Stadt, im Wahlkampf macht man einen Monat Blödsinn.
Foto: christian fischer

Dann gibt es in Waidhofen noch Martin Dowalil. Er tritt für die Liste Farblose Unabhängige Formierte Uniformierte (Fufu) an und passt nirgendwo rein. Seine Markenzeichen: eine Halbglatze mit Haarkranz ("Wenn man ausschaut wie der Pröll, kann nichts mehr schiefgehen"). Und eine alte Bundesheeruniform, verziert mit Abzeichen und Buttons ("Ich weiß, dass es verboten ist, das ist mir aber wurscht"). Fufu ist eine Spaßpartei: Dowalil verteilt alte ÖVP-Sackerln aus vergangenen Wahlkämpfen und holt sich dann gleich vier neue vom Stand der Volkspartei. Er führt Schmäh und posiert für lustige Fotos.

Spaßpartei macht Sachpolitik

Aber Fufu ist nicht nur Spaß, sagt Dowalil, der als Planer im Gesundheitswesen arbeitet. "Vier Jahre und elf Monate Arbeit, ein Monat Blödsinn", sei das Programm für die Legislaturperiode und den Wahlkampf an deren Ende, sagt der Stadtrat, während ein Müllsammelwagerl vorbeigeschoben wird, auf dem das Nummerntafelpickerl der Volkspartei klebt ("WY-WERNER22"). Ab Montag will er sich wieder der Sachpolitik widmen: Barrierefreiheit sei ein großes Thema, aber auch Klimaschutz, begrünte Dächer, Verkehrspolitik. Vielleicht ist Fufu der Grund, warum die Grünen in Waidhofen mit vier Prozent so schwach sind.

Dowalil ist in der Stadt jedenfalls bekannt, bei vielen beliebt. Nicht einmal die Freiwilligen der Volkspartei können sich ein Grinsen verkneifen, als er sich ihre Sackerln schnappt. Auch die schwarze Landesrätin Teschl-Hofmeister kommt zum Plaudern vorbei: Die beiden besuchten dieselbe Schule. Als sie wieder weg ist, sagt Dowalil: "Die ist tatsächlich mal eine nette Person gewesen."

Fufu ist eine der vielen Unbekannten bei der Wahl am Sonntag, die Impfpflicht und andere Bundestrends sowieso. Es wäre eine Überraschung, wenn es am Sonntag in Waidhofen keine Überraschungen gäbe. (Sebastian Fellner, 30.1.2022)