Ob es um die Überförderung von Unternehmen in der Pandemie oder um die Ungleichverteilung von Vermögen geht: Das Team hinter dem Momentum-Institut ist es gewohnt, Themen zu setzen. Doch plötzlich ist Momentum selbst zum Thema geworden.

Barbara Blaha, Momentum
Blaha gründete 2019 Momentum, den "Thinktank der Vielen", samt integriertem Onlinemedium. Ziel war, die Seite der Arbeitnehmer mit frischem Wind in den politisch-ökonomischen Diskurs einzubringen. Sie engagierte sich im roten Studierendenverband VSStÖ, wurde Vorsitzende der Hochschülerschaft ÖH. 2007 trat sie aus Protest wegen der Beibehaltung der Studiengebühren aus der SPÖ aus.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

900.000 Euro hat die Arbeiterkammer (AK) im Jahr 2020 an den Thinktank gezahlt. Der Vorgang hat aus mehreren Gründen Interesse erweckt. Momentum-Gründerin Barbara Blaha hatte ihre Denkfabrik als von Parteien und Konzernen unabhängig beworben.

Wie sich herausstellte, finanzierte die AK zuletzt mehr als die Hälfte des 1,6 Millionen Euro schweren Jahresbudgets. Die AK hat die Zahl zwar in ihrem Tätigkeitsbericht genannt, allerdings im Kleingedruckten. Gerade für die Arbeiterkammer ist das ungewöhnlich, die sonst stolz darauf ist, was und wen sie finanziell unterstützt, seien es Bildungs- oder Forschungseinrichtungen.

Mangelnde Transparenz

In der Ökonomenszene schlägt die Causa Wellen. Plötzlich interessieren sich Medien für die Finanzierung der verschiedenen Institute. Die Debatte, die sich seither entspinnt, hat mehrere Stränge. Einer dreht sich um mangelnde Transparenz. Barbara Blaha rechtfertigte ihre Vorgehensweise bisher damit, dass auch andere Denkfabriken wie Agenda Austria nur die Namen ihrer Spender nennen, ohne konkrete Zahlen zu veröffentlichen, wer wie viel gibt.

Nun kündigte sie jedoch mehr Offenheit an. Eingelöst werden soll dieses Versprechen aber nicht sofort, sondern erst mit dem nächsten Finanzbericht. Zur Frage, wie viel der ÖGB an Momentum zahlt, wird vorerst geschwiegen.

Der zweite Debatten-Strang dreht sich um die Frage, ob es legitim sei, wenn Institutionen wie die Arbeiterkammer mit den Beiträgen aus der Pflichtmitgliedschaft aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Denkfabriken finanzieren.

Viel Geld, viel Kritik

Die einen sagen, das sei okay, weil die Arbeitnehmerverbände ihre Anliegen über den Umweg einer Denkfabrik besser in Medien und damit im Diskurs platzieren können. Momentum wurde 2019 gegründet, nachdem auf der anderen Seite zuvor Agenda Austria, das von Unternehmen und reichen Einzelpersonen finanziert wird, auf viel Resonanz stieß. Das Gegenargument der Kritiker dazu lautet: Die Arbeiterkammer verfügt selbst über Expertise – wozu muss sie für viel Geld eine externe Denkfabrik bezahlen?

Diese Debatte ist wenig ergiebig, weil sie moralischer Natur ist.

Der dritte Strang der Diskussion ist der interessanteste. Dabei geht es um die Frage, wie sehr Ökonominnen und Ökonomen von Interessenvertretungen und Parteien unabhängig sein müssen. Vor allem von Wissenschaftern an Universitäten kommt Kritik an der Tendenz, dass auch in Österreich mehr Thinktanks Fuß fassen. Der Tenor: Ökonomen an außeruniversitären Einrichtungen leisten weniger für die Forschung, argumentieren oft ideologisch getrieben, kommen dafür in den Medien prominent vor.

Wer ist Experte?

Die Vorwürfe sind im Prinzip richtig, aber es gibt ein paar gute Gründe für die Entwicklung. Medien interessieren sich selten dafür, ob ein Paper wissenschaftlich nach höchsten Standards begutachtet wurde ("Peer Review"). Der universitäre Betrieb produziert oft spannende Arbeiten, die das Forschungsfeld insgesamt weiter bringen mögen, die aber keine Verknüpfung zu aktuellen politischen Debatten erlauben. "Den meisten Experten im akademischen Umfeld entgeht, dass ihr Wissen im öffentlichen Diskurs nicht verwendbar ist", sagt der US-Politikwissenschafter Frank Fischer von der Humboldt-Universität in Berlin.

Wichtig ist im öffentlichen Diskurs die Einordnung aktueller Themen, sei es zu Arbeitsmarkt oder Gleichstellungsfragen. Das leisten Denkfabriken wie Agenda oder Momentum. Weil sie keine Auftragsarbeiten annehmen, können sie sich darauf konzentrieren. Das leistet auch ein Institut wie Eco Austria.

Dabei sieht jedes Institut eine eigene Daseinsberechtigung: Agenda Austria sei geründet worden, um als von Kammern und dem Staat unabhängige Denkfabrik Themen aufgreifen zu können, die andere lieber auslassen, sagt Agenda-Chef Franz Schellhorn. Momentum argumentiert, dass es zahlreiche unternehmerfreundliche Institute und Institutsleiter gibt, da sei ein Gegengewicht auf dem gleichen Feld relevant.

Die rasche Einordung tagesaktueller Themen leisten aber natürlich auch Forschungsinstitute wie Wifo, IHS oder Wiiw. Diese haben eine breite Finanzierung, Abhängigkeiten gibt es auch hier. Beispiel Wifo: Von 13,6 Millionen kamen dort zuletzt 4,2 Millionen vom Finanzministerium, 2,4 Millionen von Sozialpartnern und Industriellenvereinigung.

Bandbreite der Geldgeber

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sagt, dass es diese Bandbreite der Geldgeber sei, die das Wifo von advokatorischen Instituten wie Agenda, Momentum oder Eco unterscheide. "Wir haben eine sehr österreichische Form der Finanzierung, mit einem Gleichgewicht der Geldgeber aus unterschiedlichen Sphären. Das sorgt für einen Interessenausgleich."

Das ist sicher richtig, führt aber zu einer anderen Frage. Bei Agenda und Momentum weiß die informierte Öffentlichkeit, was sie bekommt. Die Nähe zum ÖGB war bei Momentum immer schon bekannt. Auch Industriellenvereinigung und Arbeiterkammer beschäftigen gute Ökonomen. Natürlich haben auch sie eine politische Agenda. Aber diese kennt jeder.

"Auf dem demokratischen Marktplatz geht es um die besten Argumente", sagt der Chefökonom der Industriellenvereinigung, Christian Helmenstein, der nebenbei das Wirtschaftsforschungsinstitut Economica leitet. "Das ist ein wenig wie in einem Gerichtsverfahren: Alle sollen ihre Argumente vorbringen, wie Staatsanwälte und Anwälte. Der Richter ist dann die Öffentlichkeit."

Der objektive Ökonom?

Viele Uni-Ökonomen sind ideologisch ebenso klar positioniert. Doch das wissen nur Insider. "Viele klassische Ökonomen an Unis haben ein altmodisches Verständnis von Wissenschaft. Sie unterschätzen, wie sehr ihre Arbeit von ihren Normvorstellungen geprägt ist", sagt Politologe Fischer. Hier werde ein Ideal einer Objektivität hochgehalten, das real nicht existiert, weil das Stellen von Forschungsfragen und die Interpretation von Daten immer auch ein politscher Prozess ist. Auch Themenfelder in einer Wissenschaft unterliegen zudem Konjunkturen und Trends.

Dazu kommt: Auch an der WU-Wien gibt es 14 Institute, die Drittmittel-finanziert sind, die Geldgeber sind Unternehmen oder die Sozialpartner.

Und: Auch Ökonomen von Universitäten sprechen, wenn sie zu aktuellen Themen befragt werden, im Regelfall nicht über ihre Forschungsarbeiten. Sie schätzen aktuelle wirtschaftspolitische Entwicklungen ein – und bringen damit eigentlich abseits ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeiten ihre Positionen ein.

Vielleicht lautet die Conclusio: Die Qualität einer Analyse ist wichtig, sie muss man kritisch diskutieren. Das tun Medien sicher insgesamt zu wenig, hier müssen sie besser werden. Allein zu wissen, wer eine Analyse geschrieben hat, reicht nicht aus, um Ergebnisse zu verwerfen. Aber für die Beurteilung der Arbeit ist auch wichtig, den Hintergrund der Autoren zu kennen. Das kann eine Stärke der klar positionierten Thinktanks sein. Dafür müssen sie eines sein: transparent. (András Szigetvari, 29.1.2022)