Sperrstund is’ um 22 Uhr – die Regierung hält das angesichts der Infektionsrekorde für legitim, einige Landeshauptleute nicht mehr.

Foto: imago

Nostalgikerinnen könnten behaupten: Österreich wird langsam wieder so wie früher. Die Republik ist bekanntlich eine des föderalen Meinungspluralismus. Oder viel mehr: So war es, bis Sebastian Kurz die schwarzen Bastionen in ihrem Kommunikationsbedürfnis zu zügeln begann. Inzwischen sind die politischen Positionen landauf, landab wieder laut und vielfältig. Aktuell verläuft die Front recht sauber zwischen West und Ost. Es geht ums Krisenmanagement.

Bei einigen der diskutierten Fragen sind sich selbst Fachleute nicht einig, in den Medien werden sie seit Tagen besprochen: Soll die Sperrstunde – derzeit 22 Uhr – wieder nach hinten verlegt werden? Ist es noch legitim, dass Ungeimpfte weder ins Gewandgeschäft noch ins Kino gehen dürfen? Wann sollen weitere Corona-Einschränkungen fallen, obwohl die Infektionszahlen noch steigen?

Umstrittene Regeln

Zum Überblick: Am Montag endet der Lockdown für Ungeimpfte, das haben Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) vergangenen Mittwoch verkündet. Viel ändert sich dadurch allerdings nicht. Denn die 2G-Regel – sprich: Eintritt nur für Geimpfte und Genesene – gilt weiterhin in fast allen Bereich abseits des Lebensnotwendigen. Ungeimpfte können ab Montag nun lediglich wieder das Haus verlassen, ohne einen Grund (etwa Arbeit oder Lebensmitteleinkauf) angeben zu müssen, sollten sie zufällig von einem Polizisten gefragt werden.

Mehreren schwarzen Landeshauptleuten ist das zu wenig an Lockerungen. Tirols Landeschef Günther Platter fordert die Aufhebung der Sperrstunde und die Anhebung der zulässigen Personenanzahl bei Veranstaltungen. Auch über die Maskenregel in Schulen will der ÖVP-Politiker diskutieren. Ähnlich sehen das seine Kollegen in Salzburg und Vorarlberg: Wilfried Haslauer will die 2G-Regel abschaffen und getesteten Ungeimpften überall Zutritt gewähren. Markus Wallner, Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, hält überhaupt nur noch Masken, die Impfpflicht und 3G am Arbeitsplatz für sinnvoll. Der Rest der Regeln sei "zügig zu beseitigen".

Warten auf den Peak

Im Wiener Regierungsviertel ist man anderer Ansicht. Der Höhepunkt der Omikron-Welle wird für Mitte Februar prognostiziert. Bis der Peak erreicht ist, wollen ÖVP und Grüne im Bund lieber abwarten. Unterstützt wird die Regierung ausgerechnet von roten Ländern: In Wien wird die Vorgehensweise begrüßt. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil will zwar auch die frühe Sperrstunde diskutieren, auf Nachfrage in seinem Büro heißt es aber: Über Lockerungen im Handel müsse man reden – jedoch für die Zeit, wenn die Infektionszahlen dann wieder sinken. Auch in Oberösterreich ist man vorsichtig. Landeshauptmann Thomas Stelzer spreche sich für die Ausarbeitung eines "Stufenplan für weitere Öffnungsschritte" aus, sagt sein Sprecher auf STANDARD-Anfrage.

Aus der Wissenschaft erhält die Regierung Unterstützung. "Die Coronaviren verbreiten sich hauptsächlich durch Tröpfchen und Aerosole. Omikron ist wesentlich ansteckender als sein Vorgänger", sagt die Hygienikerin Miranda Suchomel von der Med-Uni Wien. Die FFP2-Maske sei ein guter Schutz, in der Gastro fehle dieser. "Es ist ein anderes Setting als Orte, an denen die Maskenpflicht gilt, wie etwa das Theater. Allein dadurch finden wir in Lokalen eine höhere Virenlast."

2G sei in dem Fall zu wenig, um sich gegen eine Ansteckung zu schützen, sagt Suchomel. "Wir wissen seit langem, dass man ansteckend oder infiziert bzw. infektiös sein kann, obwohl man genesen oder geimpft ist." Ein aktueller Test, bevor man sich trifft, reduziere das Risiko bei Zusammenkünften ohne Maske, sei aber "kein 100-prozentiger Schutz". Die Hygienikerin würde daher in der Gastro das Plus beim G-Nachweis und auch eine angemessene Sperrstunde begrüßen, denn je später es werde, besonders auch in der Nachtgastronomie und – mit Blick auf den Westen des Landes – beim Après Ski, würden die Übertragungsmöglichkeiten automatisch steigen: "Da handelt es sich ja dann nicht mehr ein gesetztes Essen, da wird getanzt und gefeiert."

Weniger Bewegung

Einen anderen Aspekt führt der Komplexitätsforscher Peter Klimek für die Sperrstunde ins Rennen: Wegen des aktuellen Maßnahmenbündels sei nach 22 Uhr im öffentlichen Raum "nichts mehr los" – es gebe lediglich einzelne Privattreffen. Die Auswirkung: Das Infektionsgeschehen würde um 15 Prozent verringert. Das Mobilitätsniveau liege derzeit zwischen jenem im vergangenen Lockdown und "der Normalität".

Auch an 2G im Handel will Klimek festhalten: Shoppen gehe mit Sozialkontakten einher, durch die 2G-Kontrollen würden sie reduziert. Suchomel sieht die Einschränkung für Ungeimpfte kritisch. "Wenn die Maskenpflicht bleibt, ist das neben der Impfung die einfachste Möglichkeit, sich selbst zu schützen." Solange die Spitäler nicht überlastet seien, könne man 2G überdenken. Von einer Überlastung sind die Intensivstationen derzeit weit entfernt: 183 Menschen wurden am Freitag österreichweit in Intensivbetten betreut. Die Zahl der Belegung ist rückläufig.

Verzögerung im Spital

Auf den Normalstationen kam es zuletzt zu Patientenzuwächsen: 80 Personen mehr als am Vortag waren am Freitag hospitalisiert. Insgesamt waren um ein Viertel mehr Menschen als noch vor einer Woche im Spital. "Bei so stark steigenden Zahlen kann man nicht lockern", kritisiert der Public-Health-Experte Thomas Czypionka. Jene, die aktuell in den Spitalszahlen aufscheinen, seien vor einer Woche als Neuinfektionen gemeldet worden. Seither gab es einen starken Anstieg: Am Freitag wurden 38.631 Ansteckungen gemeldet.

Czypionka plädiert für eine "Strategieänderung": Man solle knapp vor Treffen testen, auch mit professionell abgenommenen Antigentests. Denn anders als bei früheren Varianten habe man bei Omikron haben wir den Vorteil, dass die Ansteckungsfähigkeit oft mit den Symptomen beginne. "Wenn ich. Halskratzen habe, sollte ich nicht in die Arbeit gehen, sondern testen", sagt der Czypionka. Viele PCR-Tests würden ohne Symptome gemacht. "Das ist nicht sinnlos", sagt er aber es gibt den Menschen eine Sicherheit, die sie so nicht hätten. Meist komme das Ergebnis erst einen Tag nach der Probeentnahme. "Dazwischen kann sich etwas getan haben", sagt er.

ÖVP-Parteivorstand am Montag

Am Freitag berichtete ein Boulevardmedium übrigens von einem "Geheimgipfel" am Sonntag, bei dem Regierung und Landeshauptleute Lockerungen besprechen würden. Davon will aber niemand der angeblich Teilnehmenden etwas wissen. Am Montag tagt allerdings der ÖVP-Parteivorstand. Davor werden sich auch die schwarzen Landeschefs noch einmal besprechen – wohl auch zum Thema Corona. (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, 28.1.2022)