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Schützengraben im seit 2014 umkämpften Donbass. Nun droht ein größerer Konflikt. Solange gesprochen wird, lässt sich dieser aber vielleicht noch vermeiden.

Foto: AP / Alexei Alexandrov

Immerhin: Die Drohkulissen sind zwar nach wie vor aufgebaut, doch alle Seiten beteuern, den Dialog nicht abreißen lassen zu wollen. So lautet grob gesagt die Bilanz nach einer weiteren Woche der Krisendiplomatie im Ukraine-Konflikt.

Knackpunkt bleiben die zentralen Forderungen Russlands an die USA und die Nato, die das Moskauer Außenministerium Mitte Dezember öffentlich gemacht hatte. Einige galten von Anfang an als unerfüllbar – insbesondere der Wunsch nach einer Garantie, dass die Ukraine, an deren Grenze etwa 100.000 russische Soldaten aufmarschiert sind, niemals der Nato beitreten werde.

Moskau hat die schriftlichen Antworten, auf die es gepocht hatte, mittlerweile bekommen – und zeigt sich entsprechend enttäuscht. Am Freitag machte das auch Kremlchef Wladimir Putin in einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron deutlich.

Laut Angaben der russischen Nachrichtenagentur Tass beklagte Putin gegenüber Macron, dass in den Stellungnahmen von USA und Nato zu den von Russland geforderten Sicherheitsgarantien die Hauptsorgen Moskaus gar nicht angesprochen worden seien.

Kiewer Störgeräusche

Macron habe laut französischen Diplomaten dagegengehalten, dass solche Differenzen in keinem Fall das Recht gäben, die territoriale Integrität eines Nachbarstaates zu verletzen, wie dies bei der Annexion der Krim geschehen sei. Beide Seiten kamen aber überein, die Gespräche im Normandie-Format – mit der Ukraine, Deutschland und eben Russland und Frankreich – fortzusetzen. Diese Woche hatte das Vierergremium erstmals seit Jahren wieder auf Beraterebene getagt.

Nicht dem Austausch dienlich sind da neue Einreiseverbote gegen mehrere Vertreter aus der Europäischen Union, die Russland am Freitag verhängt hat verhängt. Das Außenministerium in Moskau erklärte, es handle sich um eine Reaktion auf eine "absurde" Politik "einseitiger Restriktionen" aus Brüssel. Die Einreiseverbote beträfen vor allem Vertreter einiger EU-Länder, "die persönlich verantwortlich sind für die Propagierung antirussischer Politik".

Störgeräusche lieferten in den vergangenen Tagen aber auch Meinungsverschiedenheiten zwischen der Ukraine und einigen jener Staaten, die diese im Konflikt mit Moskau eigentlich unterstützen. So erneuerte Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Berlin, seinen Appell, dass auch Deutschland Defensivwaffen an sein Land liefern solle.

Kritik an Berlin, wo es auch interne Differenzen über die Einbeziehung der Gaspipeline Nord Stream 2 in ein eventuelles Sanktionspaket gegen Moskau gibt, kommt auch aus anderen Ländern. Die aktuelle deutsche Politik gegenüber Russland genügt "in keiner Weise" den Anforderungen der Nato und der EU, sagte etwa der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks im Gespräch mit der "Bild"-Zeitung.

Neue Bruchlinien

Auch zwischen Kiew und Washington läuft es nicht immer rund. Am Donnerstagabend telefonierte US-Präsident Joe Biden mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj. Laut Medien, die sich auf anonyme Kiewer Quellen berufen, sei das längere Gespräch "nicht besonders gut verlaufen".

Demnach habe Biden versucht, Selenskyj von der Unausweichlichkeit eines Angriffs noch im Februar zu überzeugen, sobald der Boden für Panzer ausreichend gefroren sei. Der ukrainische Präsident hingegen zeigte sich optimistischer und bat Biden, sich zurückhaltender auszudrücken. Von Russland gehe Gefahr aus, diese sei aber "nicht eindeutig", ein Angriff keineswegs ausgemacht.

Bei einer Pressekonferenz am Freitag schien Selenskyj diesen Eindruck zu bestätigen. Er wolle Biden nicht kritisieren, sagte er zur Lageeinschätzung, "aber ich bin Präsident der Ukraine und ich befinde mich in der Ukraine". Wenn es Kriegspanik gebe, destabilisiere das sein Land –und auch das helfe Russland. Zugleich kritisierte er aber mangelnden Beistand der Nato. Biden hatte im Gespräch offenbar keine Zusagen zu größeren Waffenlieferungen gemacht.

Russland hat indes erneut Angriffsabsichten zurückgewiesen. Außenminister Sergej Lawrow sagte am Freitag: "Wir wollen keine Kriege, aber wir werden es nicht erlauben, dass unsere Interessen grob geschädigt und ignoriert werden." Die Verhandlungen mit den USA seien noch nicht beendet. Vor allem für Gespräche über Kurz- und Mittelstreckenraketen zeigte sich Lawrow aufgeschlossen.

Gleichzeitig lud Lawrow Selenskyj zu Gesprächen nach Russland ein – allerdings nur für den Fall, dass dieser die bilateralen Beziehungen beider Länder besprechen wolle. Wenn Selenskyj über die Regulierung der Donbass-Krise reden wolle, müsse er direkt mit Vertretern der prorussischen Separatisten in Donezk und Luhansk verhandeln.

Debatten in Wien

Auch das Nicht-Nato-Mitglied Österreich diskutiert über seine Positionierung in der aktuellen Krise. Das betrifft – wie auch in Deutschland – vor allem die Haltung zur Zukunft der Pipeline Nord Stream 2. Die OMV ist Mitglied des Konsortiums, das hinter dem Projekt steht. Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg hatten sich zuletzt dagegen ausgesprochen, die Pipeline, die noch gar nicht in Betrieb ist, in westliche Sanktionspläne gegen Moskau einzubeziehen. Im Gespräch mit dem Nachrichtenportal Politico widersprach ihnen nun Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Österreichs Neutralität sei militärischer, nicht politischer Natur, sagte Sobotka: "Darauf haben wir uns am Ende mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs geeinigt – und das waren nicht nur Russland, sondern auch die USA, Großbritannien und Frankreich."

Am Freitagabend sollte angesichts der Krise auch der Nationale Sicherheitsrat in Wien zusammentreten. Die SPÖ hatte die Einberufung des Gremiums bereits am Dienstag beantragt. Ergebnisse der Beratungen waren vorerst noch nicht bekannt (André Ballin aus Moskau, Stefan Brändle aus Paris, Gerald Schubert, 28.1.2022)