Hackt als Geierwally Klischees kurz und klein: Gunda Schanderer.

Foto: Petra Moser

Er hat einen Bären erlegt, sie sich einen Geier gefügig gemacht. Wäre ihr Vater nicht neidig auf den Jagderfolg und hätte etwas gegen die eheliche Verbindung der beiden: Der Josef und die Geierwally wären in Wilhelmine von Hillerns Geierwally ein ländliches Powerpaar. Aber der Vater verspricht ihre Hand einem anderen, Reichen. So nimmt eine tragische Lovestory ihren Lauf. Zumindest fängt die originale Geierwally so an. In den Linzer Kammerspielen neidet der Vater dem Josef den Jagderfolg nicht, sondern ihm ist fast tierschützerisch leid um den Bären.

Sara Ostertag führt Regie und lüftet dabei den Stoff ordentlich durch, indem sie ihn einer feministischen Revision unterzieht: Eine Verbindung mit dem Josef (Helmuth Häusler) wäre auch ohne des Vaters Machtwort unter keinem guten Stern gestanden. Wie sich für Wally schmerzhaft zeigt, ängstigt Josef ihre Stärke – und reizt ihn zugleich.

Moderne Bühnenästhetik macht sich dazu breit. Der Boden ist in große schwarze Rampen und Schrägen zerbrochen, die der Wally als Hochgebirge dienen, in das sie vom Vater verstoßen wird. Dort hängt sie mit Geier und einem Bären (Bühne und keck verspielte Kostüme sind von Nanna Neudeck) lässig ab. Im Winter friert sie lieber, als zu buckeln.

Fantastischer Sound

Im Hintergrund hält auf einem Gerüstturm Jelena Popržan die ganzen 100 Minuten lang die Stellung und gibt dem Abend einen fantastischen Sound: leicht schräg im Takt, aber melodisch. Sie mixt Jodeln und Westernmusik, tönende Anleihen kommen auch von Wagner, Purcell und aus dem Hause Disney. Die Knechte des Bauern dienen als Chor.

Am Ende, als Wally (Gunda Schanderer) den Hof von ihrem Vater (Daniel Klausner) erbt, werden die Burschen wie Hündchen vor ihr um ihre Posten betteln. Derweil sind sie aber noch eitle Gecken, erinnern präpotent, aber schneidig an eine Straßengang aus West Side Story. Ostertags Regie ist sehr körperbetont, dabei zugleich minimalistisch und überbordend. Sie hätte das ganze Stück wohl auch ohne ein einziges gesprochenes Wort hinbekommen.

Geredet wird aber, und das im krachenden Dialekt. Das geht überraschend gut mit der modernen Bildsprache zusammen! Größere Brüche zeigen sich innerhalb des Textes. Wenn Felix Mitterers fast 30 Jahre alte Bühnenfassung des Romans von 1873 durchschlägt, klingt es oft belehrend und moralisierend. Wo aber Ostertag dazudichtet, öffnet sie den Abend hin zu einem heutigen Diskurs über Frauen in männlichen Machtstrukturen (einschlägige Volkslieder zeugen von ihnen), Selbstbestimmung und Femizide.

Ohne Schmalz, mit Pumps

Es gibt mit der historischen Figur der Anna Knittel ein Vorbild für den Roman. Im Original, auch in zahlreichen TV-Adaptionen, wurde sie verkitscht. In Linz inspiriert Wally aber die Kellnerin Afra dazu, ihren Fetzen wegzuwerfen und stattdessen in glitzernde Pumps zu schlüpfen und davonzuspazieren. Afra (Benedikt Steiner) sowie Mütter und Mägde werden übrigens von Männern gespielt. Das zeugt von der Lust der Inszenierung am ausgelassenen Spiel und sorgt für einige Lacher. Es entlarvt zugleich mit viel Augenzwinkern (inklusive Ritt auf dem Hexenbesen) humoresk missbrauchte und klischeehafte Frauenfiguren in der Volksstück-Tradition.

Der Abend kann gar nicht anders abschließen als ohne das gewohnte Happy End. Wally endet von Geiern und Bären begleitet als einsame Königin, eine Axt ist ihr Zepter. Sie hat die Vorlage famos kurz und klein gehauen. Verdient großer Applaus. (Michael Wurmitzer, 31.1.2022)